«Ich bitte um Entschuldigung»
Kochs Kardinalsünde: Die Akte Adolf

Der Priester Adolf G.* küsste einen Neunjährigen und lud Minderjährige in die Sauna ein. Bischof Kurt Koch und dessen Nachfolger Felix Gmür zeigten ihn nicht an.
Publiziert: 01.10.2023 um 10:11 Uhr
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Aktualisiert: 02.10.2023 um 09:36 Uhr
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Die Uni Zürich belastet Kurt Koch (links). Auch sein Nachfolger Felix Gmür hat nichts gegen den Priester Adolf G. (Name bekannt) unternommen.
Foto: Keystone
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Der Schweizer Kurt Koch (73) hat einen der spannendsten Jobs, die der Vatikan zu vergeben hat: Früher war er Bischof von Basel, heute ist er Kardinal – und der Ökumene-Minister von Papst Franziskus (86).

Anders als in der Schweiz, wo unter Ökumene oft Senioren-Apéros für Katholiken und Reformierte verstanden wird, gilt die Zusammenarbeit zwischen den christlichen Konfessionen im Vatikan als hochbrisante Angelegenheit.

Da geht es beispielsweise um Putins verlängerten Arm, die russisch-orthodoxe Kirche: Kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs versuchten Papst Franziskus und Kardinal Koch, in einer Zoom-Konferenz auf den Moskauer Patriarchen Kyrill (76) einzuwirken – allerdings ohne Erfolg.

Missbrauchsstudie belastet Kardinal Koch

Seit Veröffentlichung der Missbrauchsstudie der Uni Zürich hat Koch nun ein weiteres Problem. Denn die Autoren der Studie, Historikerinnen der Uni Zürich, beschuldigen den mächtigsten Schweizer Kirchenfürsten, einen von nur zwei Kardinälen des Landes, Missbrauchsfälle weder der Polizei noch dem Vatikan gemeldet zu haben. Kochs Nachfolger in Basel, Felix Gmür (57), unternahm ebenfalls nichts.

Die zentrale Figur dieses Skandals wird in der Studie «K.S.» genannt. Recherchen von SonntagsBlick zeigen: Hinter dem Pseudonym steckt der Priester Adolf G.*.

Er war ein strammer Konservativer: 1945 in Rumänien als Angehöriger der deutschen Minderheit geboren, predigte er später in Österreich, Deutschland und der Schweiz. 1985 wurde er Priester des Bistums Basel, 1988 trat er eine Stelle als Pfarrer in Utzenstorf BE an, wo er beinahe 20 Jahre tätig war. 2019 starb er.

Schon 2003 wurde das Bistum Basel darüber informiert

G. wurde mehrmals übergriffig: 2003 meldete sich ein Betroffener beim Bistum Basel und berichtete «von mehreren sexuellen Missbräuchen sowohl bei sich zu Hause als auch im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Jungwacht und als Ministrant», schreibt die Uni Zürich.

Einige Monate darauf musste der Priester beim Bistum Basel antraben und sich zu den Anschuldigungen äussern. Ein neunjähriger Jungwächtler beschuldigte G., ihm Zungenküsse aufgedrängt zu haben. G. unterschrieb eine Erklärung, dass es nie «in irgendeiner Form zu sexuellen Kontakten zwischen ihm und Kindern/Jugendlichen gekommen» sei.

«Damit war die Angelegenheit für das Bistum Basel vorläufig erledigt, weitere Konsequenzen sind aus den Akten nicht ersichtlich», hält die Studie fest. 2005 wurde der Priester kirchenrechtlich wieder seinem rumänischen Heimatbistum unterstellt, blieb aber als Pensionär in der Schweiz.

Nach 2005 meldeten sich weitere Betroffene. G. habe während seiner aktiven Zeit als Pfarrer Minderjährige in die Sauna eingeladen und sie aufgefordert, sich bei Jugendgruppenausflügen öffentlich auszuziehen.

Warum schaltete Koch die Staatsanwaltschaft nicht ein?

Obwohl G. kirchenrechtlich nicht mehr zum Bistum Basel gehörte, wäre der damalige Bischof Kurt Koch verpflichtet gewesen, die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis zu bringen. Er hätte eine kirchliche Voruntersuchung durchführen und den Fall nach Rom melden müssen. «Aus welchen Gründen dies nicht geschah, geht aus den konsultierten Dokumenten nicht hervor», schreibt die Uni Zürich.

Als ein weiterer Betroffener Vorwürfe gegen G. erhob, verlangte das Bistum Basel, dass sich der Priester selbst anzeigt. Dazu heisst es in der Studie: «Ob tatsächlich Anzeige erstattet wurde, ist aus den Dokumenten nicht ersichtlich und auch in den entsprechenden staatlichen Archiven sind keine Hinweise zu finden.»

Zur Untätigkeit von Kochs Nachfolger im Fall G. teilt das Bistum Basel mit: «Bischof Felix Gmür ist davon ausgegangen, dass der damalige Bischof Kurt Koch alles nach bestem Wissen und Gewissen gemacht habe.»

Koch hielt sich nicht an die Richtlinien der Schweizer Bischofskonferenz

Gegenüber SonntagsBlick hat sich Koch erstmals über die Schweizer Missbrauchsstudie geäussert. Zur Akte Adolf G. sagt er, die Mitarbeitenden im Personalamt hätten den Fall zunächst persönlich bearbeiten und vorabklären wollen: «Dieses Vorgehen hat nicht die Intention gehabt, irgendetwas vertuschen zu wollen.»

Dabei sahen die Richtlinien der Schweizer Bischofskonferenz und das Kirchenrecht etwas anderes vor. Koch räumt ein: «Von heute aus betrachtet muss ich eingestehen, dass dieses Vorgehen nicht zufriedenstellend funktioniert hat und dass es ein Fehler gewesen ist, die vorgesehenen Massnahmen nicht ergriffen zu haben. Ich bedaure dies vor allem im Hinblick auf die Opfer, wenn dieses Vorgehen bei ihnen den Eindruck erweckt haben sollte, von uns nicht ernst genommen worden zu sein. Dafür bitte ich um Entschuldigung.»

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«Alle kirchlichen Verantwortungsträger müssen sich ihrer Verantwortung stellen und die Fälle extern untersuchen lassen.»
Jubla-Geschäftsführerin Andrea Pfäffli (34)
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Die Jugendorganisation Jungwacht Blauring (Jubla) zeigt sich entsetzt über das Versagen von Koch und Gmür: «Die aktuellen Strukturen in der katholischen Kirche begünstigen Missbrauch und Vertuschung», sagt Geschäftsführerin Andrea Pfäffli (34). «Die Jubla Schweiz fordert bereits seit Jahren Veränderungen in der katholischen Kirche. Dazu gehören eine Gleichstellung aller Geschlechter, mehr demokratische Strukturen, mehr Kontrollmechanismen und die Bereitschaft für eine radikal transparente Aufarbeitung.»

Jubla-Geschäftsführerin Pfäffli sieht Kardinal Koch und Bischof Gmür in der Pflicht: «Alle kirchlichen Verantwortungsträger müssen sich ihrer Verantwortung stellen und die Fälle extern untersuchen lassen.»

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