Wie SonntagsBlick letzte Woche enthüllte, erhebt der Berner Pfarrer Nicolas Betticher (62) schwere Vorwürfe gegen Schweizer Bischöfe und Priester. Es geht um Missbrauch und Vertuschung. Der Bischof von Chur, Joseph Bonnemain (75), erhielt von der Bischofskongregation in Rom den Auftrag, gegen seine Amtskollegen zu ermitteln.
Weder Gmür noch Bonnemain informierten die Polizei
Neue Recherchen von SonntagsBlick zeigen nun: Die Bischöfe haben nach wie vor Mühe, Missbrauchsfälle zur Anzeige zu bringen. Der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Felix Gmür (57), wurde am 24. Mai über mehrere Anschuldigungen informiert. Kurz darauf erfuhr Bonnemain davon. Er leitet innerhalb der Bischofskonferenz das Fachgremium «Sexuelle Übergriffe».
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Zwar kamen daraufhin kirchenrechtliche Ermittlungen ins Rollen; Rom schaltete sich ein und gab Joseph Bonnemain den Auftrag, gegen seine Mitbrüder zu ermitteln. Doch auf den Gedanken, die Polizei einzuschalten, kam offenbar keiner. Erst nach Recherchen von SonntagsBlick wurden die Bischöfe aktiv. Die Kantonspolizei Freiburg und die Staatsanwaltschaft Waadt bestätigen gegenüber SonntagsBlick, dass erst am Freitag, 8. September, Anzeigen eingingen.
Bischof Gmür schweigt
Warum gingen die Bischöfe nicht sofort zur Polizei? Bischof Gmür lässt eine Anfrage von SonntagsBlick unbeantwortet. Und das Bistum Chur begründet Bonnemains Zögern mit den vagen Informationen des Whistleblowers Nicolas Betticher: «Es handelt sich um Anschuldigungen, Vermutungen und Fragen. Je nach beschriebener Situation fehlten jedoch konkrete Angaben.» Der Bischof habe in seiner kirchlichen Voruntersuchung diese Unklarheiten klären wollen: «Bonnemain garantiert, dass er in Kenntnis der geltenden Strafgesetze der Schweiz sowie geltender Anzeigepflichten gehandelt hat und handeln wird.»
«Wie dumm kann man sein?»
In kirchlichen Kreisen sorgt das Verhalten der Oberhirten für Kopfschütteln. Ein Kadermann des Bistums Chur, der nicht genannt werden will: «Wie dumm kann man sein, all die bekannten Fehler in einem so brisanten Fall nochmals zu machen? Die Bischöfe beteuern doch, dass sie sofort die Polizei einschalten.» Simon Spengler (61), Sprecher der Zürcher Katholiken: «Es ist ein Elend! Bischöfe handeln weiterhin erst, wenn der Druck der Medien zu gross wird. Was den Schein stört, wird so lange als möglich vertuscht. Das hat System, und daran hat sich nichts geändert.»
Auch sonst lässt der Aufklärungswille der katholischen Kirche zu wünschen übrig. Die Zürcher Historikerinnen Monika Dommann (57) und Marietta Meier (57) fordern den Zugang zum Archiv der Vatikan-Botschaft in Bern. Die Wissenschaftlerinnen gehen davon aus, dass hier zahlreiche Missbrauchsfälle dokumentiert sind. Doch wie alle Botschaften geniesst auch die Nuntiatur in Bern diplomatischen Schutz.
Papst-Botschafter sagt Nein
Der Botschafter des Papstes in der Schweiz, Erzbischof Martin Krebs (66), lehnt gegenüber SonntagsBlick eine Öffnung des Archivs rundweg ab. Er verweist auf das «Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen», wonach Botschaftsarchive «jederzeit unverletzlich» seien, «wo immer sie sich befinden». Auch eine punktuelle Akteneinsicht, die sich auf Fälle von Missbrauch konzentriert, lehnt Krebs ab.
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