Kardinal Koch über Terror und pervertierte Religion
«Terroristen haben auch Rom im Auge»

Publiziert: 15.11.2015 um 13:14 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 04:40 Uhr
Pause am Rhein: Kardinal Kurt Koch bei seinem Besuch in Basel.
Foto: Stefan Bohrer
Interview: Philippe Pfister

Eminenz, Ihr Besuch in der Heimat wird von der schrecklichen Gewaltwelle in Paris überschattet. Was ist Ihre Reaktion?
Kardinal Kurt Koch:
Ich habe am Samstag früh davon erfahren. Es ist einfach nur ein Wahnsinn, wenn das einzige Ziel offensichtlich darin besteht, möglichst viele Menschen zu töten. Der Konflikt im Nahen Osten greift immer deutlicher auf Europa über. Offenbar ist es ein Racheakt für Interventionen gegen den IS. Es braucht jetzt eine weltweite Solidarität zwischen Europa, Russland und den USA, um endlich Lösungen zu finden, die den Terror beenden.

Und was macht die Kirche im Kampf gegen den Terror?
Wenn im Namen der ReligionGewalt ausgeübt wird, hat das mit Religion nichts mehr zu tun, sondern ist eine schiere Perversion davon. Deshalb braucht es ein klares Zeichen von allen Religionen, dass die Zwillingsschwester der Religion Frieden und nicht Gewalt ist.

Papst Franziskus oder Sie selbst könnten ins Visier von islamistischen Terroristen geraten. Wie gehen Sie damit um?
Gewisse Äusserungen des IS weisen tatsächlich darauf hin, dass die Terroristen auch Rom im Auge haben. Die Attentate zeigen ja auch, dass heute kein Ort mehr sicher ist. Angst habe ich aber keine, weil überall etwas passieren kann. 

Der Terror ist verantwortlich für die beispiellose Flüchtlingskrise. Wird diese in den nächsten Jahren zum wichtigsten Thema für die katholische Kirche?
Wir haben Flüchtlingsströme, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr hatten. Die Aufnahme der Flüchtlinge ist das eine. Aber wir müssen uns noch mehr Gedanken machen, wie wir die Probleme in den Herkunftsländern lösen können. Damit die Leute gar nicht flüchten müssen, denn das wollen sie ja auch nicht – sie möchten zu Hause bleiben.

Und die Katholiken in der Schweiz: Was sollen sie tun?
Zunächst für die Flüchtlinge beten, das ist sehr wichtig. Ich habe letztes Jahr ein Flüchtlingslager in Jordanien besucht. Fast alle da haben mir gesagt: «Bitte vergesst uns nicht!» Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass sich Solidarität entwickelt. Dass wir offene Herzen haben, die Flüchtlinge anzunehmen, die in Not sind. Das ist eine menschliche, christliche Pflicht.

Viele würden Ihnen jetzt antworten: «Aber wir können nicht alle aufnehmen.»
Ich glaube schon, dass man noch viel mehr machen kann, als man jetzt macht. Schauen Sie mal den Libanon an: Er hat fünf Millionen Einwohner und 1,5 Millionen Flüchtlinge. Eine solche Situation haben wir in der Schweiz ja nicht annähernd. Aber ja: Natürlich kann ein Land nicht alle aufnehmen. Es braucht mehr Solidarität in Europa. Dass es nicht einfach Länder gibt, die Flüchtlinge in andere Länder schleusen, sondern dass man diese Frage gerecht angeht.

Ihr Nachfolger, Bischof Felix Gmür, hat zwölf Flüchtlinge aufgenommen.
Franziskus hat gewünscht, dass jede Pfarrei eine Flüchtlingsfamilie aufnimmt. Wenn nun ein Bischof mit gutem Beispiel vorangeht, kann man das nur dankbar loben.

Schweizer Pfarreien sollten das auch tun?
Ja, dann wäre schon viel erreicht.

Intern ringt die Kirche zurzeit mit Reformen. Besonders umstritten ist die katholische Praxis, dass Geschiedene, die wieder heiraten, nicht zur Kommunion zugelassen sind. Franziskus hatte unter anderem dazu eine Familiensynode einberufen, die im Oktober zu Ende ging. Kardinal Koch nahm daran teil.

Kardinal Kurt Koch im Gespräch mit Philippe Pfister vom SonntagsBlick.
Foto: Stefan Bohrer

Was die Synode dem Papst vorschlägt, ist eine unklare Gummi-Lösung: Zweimal verheiratete Katholiken dürfen nicht zur Kommunion, ausser in Ausnahmefällen. Erzeugt das nicht noch mehr Unsicherheit?
Eine generelle Lösung hat niemand gewollt. Es ist ein grundlegender Unterschied, ob eine Frau die Ehe scheiden lässt, weil sie von ihrem Mann geschlagen wird, von einem Mann, der fremdgeht und sie dann noch missbraucht. Oder ob ein Mann findet, die nächste Frau hat schönere Augen – und diese dann heiratet. Deshalb hat die Synode gesagt: Der Seelsorger muss mit den Menschen einen Weg finden, was in einer konkreten Situation das Beste ist.

Entscheiden wird der Papst. Was erwarten Sie?
Er hat sich dazu nicht geäussert. Aber ich hoffe, dass er bald Stellung nehmen wird. Sonst bleibt diese Unklarheit, die Sie angesprochen haben, und die ist schwierig. Es ist üblich, dass der Papst nach einer Synode ein apostolisches Schreiben verfasst. Was Franziskus machen wird, wird man sehen.

Bei der Synode hatte man den Eindruck, dass sich die Kirchenleitung zunehmend spaltet, in Bewahrer und Reformer.
Von einer Spaltung kann man nicht sprechen, es gab verschiedene Ansichten, die miteinander rangen. Für mich war die Synode auch ein Beweis, wie notwendig das Papstamt für die katholische Kirche ist. Denn wenn die Synode hätte entscheiden müssen, dann befürchte ich, dass es zu Lagern gekommen wäre. Das Bewusstsein, dass wir dem Papst Lösungsvorschläge unterbreiten, er aber letztlich entscheidet, hat eine Spaltung verhindert.

Letzte Woche erschienen zwei Enthüllungsbücher, welche Günstlingswirtschaft, Missmanagement und Verschwendung im Vatikan anprangern.
Ich finde es tragisch, wenn engste Mitarbeiter des Papstes vertrauliche Dokumente rausgeben. Das ist ein Vertrauensbruch und ein Verbrechen, das man klar benennen muss. Zweitens finde ich gerade das Buch von Gianluigi Nuzzi nicht sehr fair. Was er bringt, liegt weit in der Vergangenheit zurück, vieles ist aufgearbeitet worden. Das Buch belegt die positiven Aspekte der Reform. Was falsch gemacht worden ist, muss korrigiert werden.

Hat der Papst den falschen Leuten vertraut?
Das kann in jeder Regierung passieren, in jeder Unternehmung, auch beim SonntagsBlick. Es ist immer sehr schmerzlich, wenn Vertrauen missbraucht wird. 

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