«Die Richterin musste ihr Nastücher reichen»
2:33
Blick-Reporterin beim Prozess:«Die Richterin musste Marion W. Nastücher reichen»

Neugeborenes im tiefen Winter auf Werkhof in Därstetten BE ausgesetzt – nun enthüllt die Anklageschrift
Nach der Geburt ging Marion W. Koks kaufen

Von der Mutter im Stich gelassen und dem Erfrierungstod geweiht: Am 4. Januar 2020 wurde auf dem Werkhof in Därstetten BE ein stark unterkühltes Baby gefunden. Nun muss sich Marion W. (44) vor Gericht verantworten, und die Anklageschrift enthüllt die traurigen Details.
Publiziert: 21.06.2022 um 00:34 Uhr
|
Aktualisiert: 21.06.2022 um 14:14 Uhr
1/12
Marion W. erscheint am Dienstag vor dem Gericht.
Foto: Luisa Ita
Luisa Ita

Diese Geschichte schockte damals das Berner Oberland: Am 4. Januar 2020 fand Bauer Paul Tschabold (58) ein Neugeborenes auf dem Werkhof in Därstetten BE – eingewickelt in Decken, zurückgelassen in einer Kartonschachtel mit leeren Kaffeekapseln. «Wer tut so was?», fragte man sich – die Kantonspolizei Bern ermittelte unter Hochdruck.

Schon einen Tag später war die Frau gefunden, die ihr Kind bei den eisigen Temperaturen zurückgelassen hatte: Es ist Marion W.* (44). Sie und ihr Lebenspartner kamen beide für kurze Zeit in U-Haft, unterdessen leben sie jedoch laut ihrem Anwalt in Österreich – nach wie vor als Paar. Das überrascht, angesichts der Details, die die Anklageschrift für den Prozess vor dem Regionalgericht Oberland in Thun BE am Dienstag nun enthüllt.

«Ich schaute rein, sah ein Händchen und dann das Neugeborene»
2:07
Er fand das ausgesetzte Baby:«Ich schaute rein und sah ein Händchen»

Kind entstammte einer Affäre

Die Staatsanwaltschaft schreibt nämlich, dass die Beschuldigte im Frühjahr 2019 schwanger wurde – jedoch nicht etwa von ihrem Lebenspartner! Dieser sei zum Zeitpunkt in Deutschland im Knast gesessen, während die arbeitslose Deutsche mit einem anderen Mann das Baby gezeugt haben soll. Obwohl sie selbst über die Schwangerschaft Bescheid gewusst habe, habe sie diese vor beiden Männern verheimlicht.

Am Abend des 3. Januar 2020 sei sie zwischen 18 und 19 Uhr zum Entsorgungshof gefahren, um dort die beiden Hunde an der Simme auslaufen zu lassen. Sie sei in der 35. bis 36. Schwangerschaftswoche gewesen. Beim Auto habe sie eine Zigarette geraucht, als sie plötzlich heftige Bauchschmerzen sowie einen starken Druck im Unterleib verspürt habe. Spontan gebar sie vor Ort ein Mädchen. Dann habe sie das Baby aus ihrer Hose geholt, mit der Schere aus der Autoapotheke die Nabelschnur durchtrennt und es schliesslich im ungeheizten Entsorgungsraum deponiert.

Heimlich geboren, dann zu McDonald's

Gemäss Anklage habe sich die Frau nach ihrer Rückkehr zu Hause heimlich gesäubert und umgezogen, damit ihr Lebenspartner Klaus K.* nichts mitkriegte. Um 21.09 Uhr sei das Paar gemeinsam zu McDonald’s nach Spiez BE gefahren, nach einem anschliessenden Einkauf bei der Tankstelle ging es angeblich wieder zurück nach Hause und später noch nach Münsingen BE, um dort – so der Vorwurf – Koks zu kaufen.

Durch Zufall wurde das Neugeborene am frühen Samstagmorgen aufgefunden. Das Kind habe noch eine Körpertemperatur von 26,4 Grad gehabt, heisst es in der Anklage weiter: «Der Unterkühlungstod dürfte unmittelbar bevorgestanden haben.»

«Sie bereut ihre Tat»

Marion W. habe zumindest in Kauf genommen, dass das hilflose Geschöpf einen qualvollen Tod sterbe, da sie es ohne Nahrung an einem bloss wenig frequentierten Ort in der Kälte zurückgelassen habe. Obwohl sie noch mehrfach durchs Dorf gefahren sei, habe sie nicht nach dem Wohl des Säuglings geschaut und sich so der versuchten Kindstötung schuldig gemacht. Auch für Drogendelikte ist die Kindsmutter angeklagt.

Ihr Rechtsanwalt Daniel Schütz (38) liess im Gespräch mit Blick verlauten, dass die Frau sich damals in einer «sehr schwierigen Situation» befunden habe: «Sie hat direkt zu Beginn ein Geständnis abgelegt und bereut ihre Tat.» Das Urteil fällt voraussichtlich am Donnerstag, es gilt die Unschuldsvermutung.

* Namen geändert

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?