Am Samstag findet Bauer Paul Tschabold (55) einen Säugling. In einer Kartonschachtel. Auf dem Werkhof von Därstetten BE. Ein kleines Mädchen, eingewickelt in eine weisse Decke. Einfach abgelegt auf den Sammelbehälter für Kaffeekapseln (BLICK berichtete). Das Baby wimmert. Droht zu erfrieren. Hätte Tschabold seinen Hausmüll nicht bereits am frühen Morgen abgeliefert, das Neugeborene wäre wohl tot.
Wer ist zu so einer Tat fähig? BLICK-Recherchen zeigen: Es ist Marion W.* (41). Die Deutsche lebt nur wenige Kilometer vom Fundort entfernt – mit ihrem Partner Klaus K.* in einem heruntergekommenen Chalet-Bau. Das Paar besitzt zwei Jack Russell Terrier, man spaziert viel und teilt die Tierliebe auch gerne auf Facebook. Die Arbeitslose präsentiert dort nicht nur ihre Hunde, sondern auch Autos und freche Sprüche. An Neujahr wünscht sie ihren Freunden noch alles Gute – nur zwei Tage später setzt sie ihr Kind aus.
Alkohol, Geldprobleme – versteckte Schwangerschaft
Von der Schwangerschaft wusste von den Leuten im Dorf kaum jemand. Eine Nachbarin sagt: «Ich habe es bemerkt und mich gefragt, ob das gut kommt.» Das Paar soll Alkoholprobleme haben. Immer wieder wurden sie unweit des Werkhofs gesehen – an der Simme sitzend, mit Randständigen und Bier in der Hand. Auch von Geldproblemen wird gesprochen.
Warum Marion W. ihr Baby quasi entsorgte, ist zum heutigen Zeitpunkt nicht bekannt. Die Polizei ermittelt. In einer ersten Einvernahme durch die Polizei zeigte sich die Deutsche geständig. Sie gibt an, bewusst einen frequentierten Ort ausgewählt zu haben, in der Hoffnung, dass das Kind dort rasch aufgefunden würde. Zuvor habe sie es ohne fremde Hilfe direkt am Flussufer zur Welt gebracht. Die Regionale Staatsanwaltschaft Oberland hat ein Verfahren eröffnet. Derweil liegt das Mädchen weiter im Spital und kämpft ums Überleben.
Bekannte hadern mit der Tat der Mutter
«Warum hat sie mir das Kind nicht einfach vor die Tür gelegt?», fragt eine Bekannte aus der Nachbarschaft. Dominik Müggler, Präsident der schweizweit grössten Betreiberin von Babyfenstern (SHMK), sagt dazu: «Vielleicht wusste die Frau gar nicht, was sie für Möglichkeiten hat.» Die Babyfenster sollen verhindern, dass Fälle wie der in Därstetten passieren. Mütter können dort anonym ihre Kinder durch ein Spitalfenster in ein Bettchen legen, das sich zu wärmen beginnt, sobald ein Körper darin liegt. Gleichzeitig wird das Pflegepersonal alarmiert. 24 Kinder wurden bisher auf diese Weise abgegeben.
In fünf Fällen wollte die Mutter später ihr Kind zurück. In sieben weiteren Fällen gaben sie ihre Identität nachträglich bekannt. «Die Muttergefühle sind einfach extrem stark», weiss Dominik Müggler. Eine Frau habe, 20 Minuten nachdem sie ihr Baby abgegeben habe, angerufen und gefragt, wie es ihm gehe. Ein Babyfenster gäbe es auch in Bern – keine Autostunde von Därstetten entfernt. Marion W. entschied sich für den Werkhof.
* Namen geändert
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