Am 1. April sollen die letzten Corona-Schutzmassnahmen fallen. Ein Schritt, vor dem SP-Co-Chefin Mattea Meyer (34) im Blick-Interview warnt: «Bei diesen hohen Fallzahlen fände ich es angebracht, wenn im ÖV die Maskenpflicht noch bleiben würde. Damit könnten vulnerable Menschen geschützt werden.» Auch die Isolationspflicht würde sie noch aufrechterhalten.
Doch dafür hat Meyers eigener Bundesrat Alain Berset (49) kein Gehör. Der Öffnungsschritt wird kommen, im Bundesrat will niemand mehr die Notbremse ziehen. «Wieso auch?», heisst es in Bundesbern. Der Öffnungsschritt sei schon längst beschlossen, in den Spitälern habe man die Lage im Griff und die Fallzahlen seien am Sinken. Tatsächlich gibt es für eine bundesrätliche Kehrtwende keinen Grund. Denn sein Hauptziel, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern, hat der Bundesrat erreicht.
Konsultation zu Corona-Herbst
Und trotzdem steht die Corona-Pandemie am Mittwoch auf der bundesrätlichen Traktandenliste. Blick weiss: Der Bund wappnet sich für eine allfällige Corona-Welle im Herbst und Winter. Es geht um die Mittel- und Langfristplanung und darum, wie die Kompetenzen und Zuständigkeiten zwischen Bund und Kantonen nun verteilt werden. Denn mit dem Wechsel von der besonderen in die normale Lage gibt der Bund wieder mehr Verantwortung an die Kantone ab. Dafür plant SP-Gesundheitsminister Berset eine neue Konsultation.
Entscheidend sei dabei, dass Bund und Kantone den Herbst «nicht verschlafen», wie es aus der Bundesverwaltung heisst. Deshalb müssten die Verantwortlichkeiten rechtzeitig geklärt sein. Dabei geht es etwa um neue Impfungen, wenn etwa ein zweiter Booster notwendig wird. Zudem liegt die Quote der vollständig Geimpften mit mindestens zwei Impfdosen noch immer unter 70 Prozent. In den Kantonen holt sich fast niemand mehr die Impfung, weshalb diese ihr Angebot deutlich reduziert haben.
Damit steigt das Risiko, dass man im Ernstfall der Entwicklung wieder hinterherhinkt. Es geht deshalb darum, für einen gewissen Strukturerhalt während einer Übergangsphase bis in den Frühling 2023 zu sorgen, sollte man schnell reagieren müssen. Bis dahin braucht es weiterhin eine genügende Koordination zwischen Bund und Kantonen.
Entscheidend ist, dass die Kantone ihre mittlerweile zurückgefahrenen personellen und strukturellen Kapazitäten bei Bedarf innert kurzer Frist wieder hochfahren können. Dabei geht es nicht nur ums Impfen, sondern auch ums Testen. Weitere Rahmenbedingungen für die Kantone wie das Corona-Monitoring oder Meldepflichten sind ebenfalls ein Thema. Schliesslich müssen die Kantone auch für ausreichende Spitalkapazitäten sorgen und der Bund für die Förderung von Covid-Arzneimitteln. Auf die Long-Covid-Problematik wird ebenfalls ein Fokus gerichtet.
Drei Szenarien für den Herbst
In seinem strategischen Grundlagenpapier rechnet Berset dem Vernehmen nach mit drei Szenarien. Das «mittlere» gilt dabei als wahrscheinlichstes Szenario. In diesem rechnet man im Herbst wieder mit einem Anstieg der Fallzahlen und einem erhöhten Druck auf das Gesundheitssystem.
Zudem wird mit einer Abnahme der Immunität bei gewissen Bevölkerungsteilen – etwa Risikogruppen wie älteren oder vorerkrankten Personen – gerechnet, sodass für diese eine weitere Auffrischimpfung notwendig wird. Das mittlere Szenario geht zudem von einer starken Krankheitslast in den Spitälern, lokalen Infektionsausbrüchen und einem hohen Informationsbedarf in der Bevölkerung aus.
Daneben beschreibt der Bund auch ein positiveres Szenario, wonach die Corona-Pandemie nochmals deutlich nachlässt. Das Schreckensszenario dagegen richtet sich auf eine neue Corona-Mutante und das Nachlassen des Impfschutzes in der breiten Bevölkerung aus. Dann müsste nochmals auf breiter Front geimpft und geboostert werden.
Je nach Szenario rechnet der Bund als mit tiefen Fallzahlen, die kaum Probleme schaffen; stärkeren Anstieg, der aber bewältigt werden kann; oder eben mit einem massiven Anstieg, bei dem es wieder Massnahmen braucht. Je nach Szenario werden daher unterschiedliche Vorbereitungsarbeiten und Zuständigkeiten definiert.
Die Konsultation zum Grundlagenpapier läuft bis am 22. April. Bis spätestens Anfang Mai soll Berset dem Bundesrat danach einen Bericht und allfällige Anträge vorlegen.
Hauri: «Spitalkapazitäten sicherstellen»
Auch der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri (61) macht deutlich, dass es sich rechtzeitig zu wappnen gilt. «Nach den bisherigen Erfahrungen müssen wir auch diesen Herbst durchaus nochmals mit einer bedeutenden Zunahme der Virusaktivität rechnen», sagt er zu Blick. Auch wenn die Strukturen nun geordnet zurückgebaut würden, brauche es weiterhin Kernstrukturen und Kernteams, welche zur Vorbereitung auf den kommenden Herbst dienen würden und innert Wochen wieder ausgebaut werden könnten.
Hauri verweist zudem auf das Epidemiengesetz. Demnach ist der Bund in erster Linie für das Überwachungssystem zuständig, die Kantone für die Massnahmen. «Je nach Empfehlung der Eidgenössischen Impfkommission müssen wir die Impfung im Herbst auch auf breiter Front sicherstellen können», so Hauri. «Ebenso müssen sich die Kantone darauf vorbereiten, die Spitalkapazitäten sicherzustellen – für jeden Fall.»
Anpassung des Testregimes
Neben der Vorbereitung auf den Herbst ist auch die Übernahme der Testkosten ein Thema. Im Grossen und Ganzen dürfte es bei aktuellen Testregime und damit auf breiter Front bei Gratis-Tests bleiben. Wie vorgesehen will der Bund die Kosten für repetitive Tests an den Schulen ab April aber nicht mehr übernehmen. Analog dazu sollen nun auch die Testkosten in Lagern im Kultur-, Freizeit- und Sportbereich nicht mehr übernommen werden.
Entscheiden wird der Bundesrat am Mittwoch auch über die vorübergehend Deaktivierung der Swiss-Covid-App ab 1. April. Je nach Entwicklung der epidemiologischen Situation im Winter 2022/2023 soll der Betrieb der App aber rasch wiederaufgenommen werden können.