Das Chaos ist ausgebrochen! Es geht um umstrittene Panzer-Lieferungen ins Ausland. Gerungen wird um Leopard-1-Panzer und um solche vom Typ Leopard 2. Welche stehen jetzt in der Ostschweiz? Und welche in Italien? Welche sollen geliefert werden – und welche nicht? Und worum geht es eigentlich beim bundeseigenen Rüstungskonzern Ruag, der nicht aus der Kritik kommt? Blick liefert Orientierung im Panzer-Tohuwabohu.
Um welche Panzer geht es jetzt eigentlich? Leopard 1 oder 2?
Diskutiert wird über beide. Beim Leopard 1 handelt es sich um das ältere Modell. 96 Leopard-1-Panzer stehen ungenutzt in Italien und gehören der Ruag. Vom moderneren «Leo 2» hat die Schweizer Armee ebenfalls 96 Stück in der Ostschweiz eingemottet.
Was ist mit diesen Panzern?
Für Irritation sorgt die Ruag mit ihren Leopard-1-Panzern. Schon 2016 hat das Unternehmen diese von der italienischen Agenzia italiana difesa (Aid) gekauft. Gesamtpreis: 4,5 Millionen Euro, eine grosse Menge Ersatzteile inklusive.
96 Panzer stehen seither im norditalienischen Villesse ungenutzt unter freiem Himmel. Mit dem Ukraine-Krieg ist das Interesse an ihnen enorm gestiegen. Im Januar traf eine Anfrage der deutschen Waffenschmiede Rheinmetall dafür ein. Das Rüstungsunternehmen wollte die Panzer kaufen, überholen und dann in die Ukraine schicken. Um das kriegsgebeutelte Land zu unterstützen, wollten die Niederlande den Deal finanzieren. Doch der Bundesrat stoppte das Geschäft.
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Warum machte das Rüstungsgeschäft derart Schlagzeilen?
Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs macht halb Europa Druck auf die Schweiz. Erwartet wird, dass sich unser Land an der militärischen Hilfe für die Ukraine beteiligt – oder sie zumindest nicht behindert. Wegen des unlängst verschärften Kriegsmaterialgesetzes hat der Bundesrat aber mehrere Gesuche zur Weitergabe von Waffen aus Schweizer Produktion abgelehnt. Auch neutralitätspolitisch ist eine Panzer-Weitergabe umstritten.
Im Ausland war grosse Hoffnung auf den Leopard-1-Deal gesetzt worden. Die Ruag soll diese Hoffnungen zudem geschürt haben. Ein Vorvertrag war bereits unterzeichnet, obwohl die Bewilligung des Bundes zur Weitergabe fehlte, wie dem Konzern später aus dem Parlament vorgeworfen wurde. Die Hoffnungen wurden denn auch zerschlagen, was zu diplomatischen Verstimmungen führte.
Wie reagierte das Ausland auf den Entscheid?
Das Njet des Bundesrats sorgte für rote Köpfe. «Ehrlich, ich war echt enttäuscht, und ich finde es schwierig zu verstehen», meinte der abtretende niederländische Ministerpräsident Mark Rutte (56) verärgert. Und dabei blieb es nicht. Das niederländische Parlament hat beschlossen, künftig möglichst gar keine Schweizer Waffen und Munition mehr zu kaufen.
Auch Deutschland handelte. Dass auf Bern als Rüstungspartner in Kriegszeiten kein Verlass sei, wie Vizekanzler Robert Habeck (54) wetterte, hat Folgen: Berlin lässt wieder selber Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard produzieren. Man wolle nicht mehr von der Schweiz abhängig sein. Schweizer Politiker machen sich bereits Sorgen um die hiesige Rüstungsindustrie.
Aber warum ist der geplatzte Deal weiterhin in den Schlagzeilen?
Nachdem der Bundesrat das Geschäft gestoppt hat, wurden immer mehr Unregelmässigkeiten bekannt. So war zunächst strittig, warum die Ruag auf den Deal beharrte, obwohl die behördliche Absage absehbar war. Dann zeigte sich, dass das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) bei einer ersten informellen Anfrage positive Signale ausgesendet hatte. Erst eine gründlichere Vorabklärung fiel negativ aus. Folglich fiel auch das offizielle Gesuch durch.
Und warum ist auch Bundesrätin Viola Amherd in die Kritik geraten?
Bis heute ist umstritten, ab wann Verteidigungsministerin Viola Amherd (61), die im Bundesrat für die Ruag verantwortlich ist, vom geplanten Leopard-1-Deal gewusst hat – und ob sie ihre Bundesratskollegen rechtzeitig informiert hatte oder nicht.
Gleichzeitig fielen dem Ruag-Verwaltungsrat Ende August weitere Unstimmigkeiten auf. Nicht alle Zusammenhänge seien lückenlos nachvollziehbar, räumt die Ruag-Spitze ein. Ein weiterer Hinweis auf die offensichtlich chaotischen Zustände in der Rüstungsschmiede des Bundes.
Welche weiteren «Unstimmigkeiten» wurden denn entdeckt?
Erst Ende August wurde bekannt, dass vielleicht gar nicht alle 96 Leopard-1-Panzer in Italien tatsächlich der Ruag gehören. Wegen der Aufsplittung des Konzerns scheint der Überblick komplett verloren gegangen zu sein. Tatsache ist: Jetzt fordert die deutsche Global Logistics Support GmbH 25 Panzer ein, die sie bereits 2019 gekauft haben will. Doch nicht einmal das kann die Ruag mit Sicherheit sagen. Sie spricht nur von «einem potenziellen Eigentumsanspruch». Die Situation werde juristisch geprüft.
Und das ist noch nicht alles. Mittlerweile ist klar, dass neben weiteren Verdächtigen auch ein ehemaliger Ruag-Manager ins Visier der Staatsanwaltschaft im deutschen Verden geraten ist: Beim Panzer-Deal soll nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Gegenstand der Ermittlungen seien Unregelmässigkeiten im Zusammenhang mit dem Handel mit Ersatzteilen für militärisches Gerät. Der Verdacht der Untreue, der Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr steht im Raum. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Wars das?
Nein, zu guter Letzt schaltet sich wohl auch noch Italien ein. Der Grund: Für den geplanten Verkauf und Export der 96 Kampfpanzer habe die Ruag gar nie die nötige italienische Genehmigung eingeholt. Zu diesem Schluss komme die auf Sicherheitspolitik spezialisierte Nichtregierungsorganisation Opal nach Auswertung offizieller italienischer Regierungsunterlagen, heisst es. Nun soll das italienische Parlament den Sachverhalt klären.
Musste Ruag-CEO Brigitte Beck wegen all dem den Hut nehmen?
Zumindest nicht offiziell. Dennoch wurde der Druck auf sie so gross, dass sie nach nur knapp einem Jahr im Amt Anfang August den Konzern bereits wieder verlassen hat. Beck war wegen zweier öffentlicher Auftritte und der daraus entstandenen Kontroverse um Rüstungsdeals in die Kritik geraten.
So hatte Beck den Bundesrat für dessen Blockadehaltung in der Frage allfälliger Panzer-Lieferungen an die Ukraine kritisiert und Empfängerländern von Schweizer Kriegsmaterial empfohlen, sich nötigenfalls über die Neutralitätspolitik der Schweiz hinwegzusetzen. Der Ruag-Verwaltungsrat sah darauf nur noch die Möglichkeit eines Führungswechsels.
Bis heute allerdings ist umstritten, ob Becks Vorgehen nicht sogar im Sinne von Bundesrätin Amherd war. Und ob diese Beck einfach fallengelassen hat, um die eigene Haut zu retten. Das Verteidigungsdepartement will davon nichts wissen.
Wie reagiert der Bund auf all das? Immerhin ist er alleiniger Besitzer.
Nicht nur Bundesrätin Amherd hat eine «umfassende externe Untersuchung» in Auftrag gegeben, auch die Ruag-Spitze hat eine solche angekündigt. Prüfen will der Bund auch, wie der Verwaltungsrat seine Aufsichtspflicht über die Geschäftsleitung wahrnimmt.
Amherds Vertrauen in die Ruag-Spitze scheint angeknackst zu sein. Mittlerweile stellen sich für sie Fragen zur künftigen Zusammenarbeit von Ruag mit dem Bund als Eigner. Sie lege für weitere Altlasten der Ruag die Hand nicht ins Feuer. Allerdings hat Amherd eigentlich die Oberaufsicht über den Konzern.
Wie reagiert das Parlament auf all das?
Es schaut diesen Irrungen und Wirrungen vor allem ungläubig zu. Die zuständigen Kommissionen haben die angekündigten Untersuchungen begrüsst. Sie sollen endlich Klarheit schaffen. Mittlerweile wurde auch die Forderung laut, dass wieder ein Bundesratsmitglied Einsitz im Ruag-Verwaltungsrat nimmt. So sei besser zu kontrollieren, ob die Konzernstrategie im Einklang mit den politischen Zielen der Landesregierung steht.
Was passiert nun mit den Leopard-1-Panzern in Italien?
Bis jetzt hat die Ruag keinen Plan B. Es seien keine Geschäftsaktivitäten vorgesehen. Die Hoffnung, dass Deutschland die Panzer für eigene Bestände doch noch übernehmen will, hat sich zerschlagen. Berlin wollte sie nur für die Ukraine. Selber habe man keinen Bedarf für den Leopard 1, hatte das Verteidigungsministerium gegenüber Blick erklärt.
Und was ist mit den «Leo 2»?
Die modernere Panzer-Variante, der Leopard 2, ist in den Beständen der Schweizer Armee. Auch hier geht es um 96 Stück. Sie stehen ungenutzt in einer Halle in der Ostschweiz. Weil unser Militär auf 25 Stück davon verzichten kann, sollen diese an die deutsche Herstellerin Rheinmetall zurückverkauft werden. Und der Rest soll wieder von der Armee genutzt werden.
Die 25 «Leos» sollen Lücken in den Beständen von Nato-Ländern auffüllen, die ihrerseits Panzer in die Ukraine geliefert haben. Weil die Schweizer Panzer selber nicht ins Kriegsgebiet sollen, wäre der Deal mit dem Neutralitätsrecht wohl vereinbar. Bundesrat und Nationalrat haben bereits grünes Licht für gegeben. In der Herbstsession dürfte auch der Ständerat zustimmen. Damit wäre der Weg frei, dass die Schweiz doch noch Panzer liefert.