Die Linke verspürt seit dem Ja zur 13. AHV-Rente Rückenwind – und will am 9. Juni den nächsten Sieg einfahren. Dann kommt die Prämienentlastungs-Initiative der SP vors Volk. Sie will die Prämienlast je Haushalt auf 10 Prozent des verfügbaren Einkommens deckeln. In den jüngsten Umfragen liegen die Initianten noch vorn.
SP-Co-Chefin Mattea Meyer (36) will nun den nächsten Abstimmungserfolg einheimsen, FDP-Chef Thierry Burkart (48) diesen verhindern. Im Blick-Streitgespräch im Bundeshaus schenken sich die beiden Alphatiere nichts.
Blick: Die SP fordert ein Prämiendeckel von 10 Prozent des Einkommens. Würden Sie persönlich von einem Ja zu dieser Initiative profitieren?
Thierry Burkart: Das weiss ich nicht. Es gab bei mir eine Zeit, in der ich auf Prämienverbilligung Anspruch gehabt hätte. Heute wohl nicht mehr. Bei Annahme der Initiative müssten aber alle deutlich mehr Steuern bezahlen.
Mattea Meyer: Mein Partner und ich sind beide berufstätig, auch dank des Nationalratsmandates haben wir ein sehr gutes Einkommen. Deshalb profitieren wir nicht vom Prämiendeckel. Im Gegensatz zu sehr vielen Familien und Rentnerpaaren in diesem Land, die finanziell stark unter Druck stehen.
Die Initiative würde vor allem den Mittelstand entlasten. Haushalte müssen einen immer grösseren Lohnanteil für Prämien hinblättern.
Burkart: Das Geld, das die SP hier verteilen will, müssen wir aber irgendwo hernehmen. Wieso sagt die SP nicht, dass dafür die Steuern erhöht werden müssten? Es sind satte 1200 Franken pro Haushalt und Jahr, Tendenz steigend. Die Initiative ist ein teures Umverteilungsprojekt, das wir nur finanzieren können, wenn wir den Mittelstand mehr belasten.
Meyer: Das sind Fantasiezahlen der FDP, um Angst zu schüren. Was aber Realität ist: Eine vierköpfige Familie musste letztes Jahr 1000 Franken mehr Krankenkassenprämien zahlen als noch ein Jahr zuvor. Wenn diese Familie jährlich total 15'000 Franken zahlen muss oder eine Rentnerin 650 Franken monatlich, ist das nicht mehr tragbar. Wenn man einfach nichts macht, steigen die Prämien immer weiter, ohne Ende. Der breite Mittelstand kann diese Last nicht mehr tragen.
Burkart: Es sind keine Fantasiezahlen. Genau diesem Mittelstand greifen Sie hier nach dem Lohn. In der Botschaft des Bundesrats steht, dass die Initiative bis im Jahr 2030 bei Bund und Kantonen zu einem Finanzierungsbedarf von bis zu 11,7 Milliarden führt. So müsste der Bund zum Beispiel die Mehrwertsteuer um ganze 2,3 Prozentpunkte erhöhen. Auch die Kantone müssten für ihren Anteil die Steuern erhöhen, insbesondere in der Deutschschweiz. Diese Rechnung würde der Mittelstand bezahlen.
Ist das Schwarzmalerei, Frau Meyer?
Meyer: Die Initiative führt zu keinem einzigen Franken Mehrkosten! Die Kosten werden heute schon getragen – durch die mittelständischen Familien, Rentnerpaare und Alleinerziehende mit tiefen und mittleren Einkommen. Unsere Initiative verschiebt einen Teil der Rechnung dorthin, wo die Politik eingreifen kann – zu Bund und Kantonen. Dann muss die Politik genauer hinschauen, wenn es um überhöhte Medikamentenpreise oder überzogene Saläre von Krankenkassen-Managern geht.
Burkart: Mit Verlaub, die Bürgerinnen und Bürger haben hier eine Antwort verdient, wie Sie diese Vorlage finanzieren wollen. Die SP will hier unglaubliche Summen umverteilen: Wir sprechen von über 10 Prozent des Bundesbudgets. Die müssen Sie irgendjemandem wegnehmen.
Zu Beginn würden jährlich 3,5 bis 5 Milliarden Franken mehr für Prämienverbilligungen eingesetzt. Woher nehmen Sie das Geld für diese Umverteilung, Frau Meyer?
Meyer: Diese Rechnung wird von uns allen heute schon bezahlt. Bei den Prämien handelt es sich quasi um eine Kopfsteuer, die jedes Jahr weiter explodiert. Heute zahlt der Lastwagenchauffeur gleich viel wie ein Millionär. Dem setzen wir mit einem Prämiendeckel ein Ende. Das stärkt die Kaufkraft der Bevölkerung. Davon profitiert die Wirtschaft, was automatisch zu mehr Steuereinnahmen führt.
Das allein wird nicht reichen.
Meyer: Es stehen verschiedene Instrumente zu Debatte, die auch von bürgerlicher Seite eingebracht wurden – von einer Finanzmarkt-Transaktionssteuer bis hin zu einer höheren Unternehmensgewinnsteuer. Da werden wir eine Lösung finden, die den Mittelstand nicht belastet. Zudem erhöhen wir mit der Initiative den Druck auf die Politik, die Kosten in den Griff zu bekommen.
Burkart: Genau das Gegenteil passiert, das sagt auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (60). Sparanreize bei den Kantonen und den Versicherten nehmen ab, weil der Staat mehr umverteilt und zwischen den Kantonen quersubventioniert. Damit geht jedes Kostenbewusstsein verloren. Einmal mehr bringt die SP eine Initiative, welche die Finanzierung offenlässt. Stattdessen werden vage Ideen wie eine Finanztransaktionssteuer lanciert, bei denen es völlig offen ist, ob sie umsetzbar sind. Das ist brandgefährlich.
Wo sehen Sie die Belastungsgrenze erreicht, wenn nicht bei 10 Prozent?
Burkart: Das lässt sich nicht mit einer Zahl beantworten. Denn ein grosser Teil der Gesundheitskosten wird über Steuern und Abgaben finanziert. Gutverdienende finanzieren das Gesundheitswesen bereits heute überdurchschnittlich mit. Trotzdem ist klar: Wer Unterstützung nötig hat, wird sie erhalten. Dafür hat das Parlament einen Gegenvorschlag beschlossen, der gezielt und mit Augenmass dort eingreift, wo es am nötigsten ist.
Wird die Initiative abgelehnt, tritt ein Gegenvorschlag in Kraft. Die Kantone müssten damit rund 360 Millionen Franken mehr in die Prämienverbilligung stecken. Das sind doch Peanuts.
Burkart: 360 Millionen sind für Sie Peanuts? Jeder Franken zum Ausgeben muss zuerst verdient werden. Auch die Kantone müssten grossteils mit der Initiative massiv mehr bezahlen. Bern zum Beispiel zusätzlich 440 Millionen oder der Aargau 180 Millionen. Auch das müsste mit höheren Steuern auf die Bürger abgewälzt werden. Heute bezahlen Bund und Kantone schon jährlich 5,5 Milliarden Franken an Prämienverbilligungen.
Meyer: Der Gegenvorschlag ist in der Tat Peanuts. Der Prämienlast ist allein auf dieses Jahr über 2 Milliarden Franken gestiegen. Da reichen 360 Millionen nirgends hin. Die Differenz von 1,7 Milliarden Franken zahlt der klassische Mittelstand. Ich war übrigens in der Gesundheitskommission, und dieser Gegenvorschlag wurde in einen so minimalen Betrag umgewandelt, weil wir eine derart starke Lobby haben. Auch ihre Parteikollegen lassen sich da mit Mandaten vergolden.
Burkart: Die Gesundheitslobby ist in allen Parteien präsent, auch in Ihrer. Einer, der nicht dabei ist, bin ich selbst.
Meyer: Ich auch nicht. Dann haben wir ja etwas gemeinsam.
Gemäss Umfragen wird der Ausgang knapp. Bisher waren Ihre Kampagnen nicht besonders augenfällig. Haben Sie noch etwas in der Hinterhand?
Burkart: Für die Kampagne steht wenig Geld zur Verfügung, aber wir haben erst gerade angefangen. Wir werden unter anderem in mehreren Kantonen mit Hauswurfsendungen operieren.
Meyer: Für uns ist sicher wichtig, noch besser aufzuzeigen, dass Nichtstun zu einem endlosen Prämienanstieg führt. Der Deckel schützt vor zukünftigen Prämienexplosionen.
Sie finden beide, die Gesundheitskosten müssten reduziert werden. Genau hier setzt doch die Kostenbremse-Initiative der Mitte an.
Meyer: Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich gewisse Sympathien für diese Initiative habe. Aber ich stehe hinter der Nein-Parole meiner Partei. Die Sparmassnahmen der Initiative sind derart unkonkret, das weckt die reale Angst, dass am Schluss bei der Pflege, den Löhnen, den Arbeitsbedingungen oder der Grundversorgung Einsparungen gemacht werden.
Kostenbremsen passt doch auch zur FDP.
Burkart: Selbstverständlich gibt es Potenzial für Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen. Aber die Initiative zeigt keine konkreten Massnahmen auf. Bei Annahme dieser zweiten Gesundheitsinitiative droht eine Rationierung. Das führt zu einer Zweiklassen-Medizin.