Es ist eine Schweizer Tugend: Eine Absicherung für jeden Fall! Alter, Krankheit, Invalidität, Arbeitslosigkeit, Unfall, ja gar Elternschaft. Alles versichert. Die Schweiz lässt sich den Sozialstaat einiges kosten. Knapp 205 Milliarden haben die Sozialversicherungen im Jahr 2022 eingenommen und knapp 180 Milliarden Franken ausgegeben, wie die neusten Zahlen des Bundes zeigen.
Der grösste Posten ist dabei die Altersvorsorge: Rund 50 Milliarden flossen in die AHV, knapp 80 Milliarden in die Pensionskassen. Für die obligatorische Krankenversicherung wurden über 30 Milliarden Franken fällig. In den nächsten Jahren kommen weitere Milliarden Franken hinzu. Blick zeigt die wichtigsten Posten.
Zusatz-Milliarden für 13. AHV-Rente
Die AHV ist das Herzstück des Sozialstaats, da alle von ihr profitieren. Sie ist der Bevölkerung lieb und teuer, wie das deutliche Ja zur 13. AHV-Rente gezeigt hat. Allein dadurch steigen die AHV-Ausgaben ab 2026 um 4 bis 5 Milliarden Franken jährlich.
Der nächste Ausbau steht schon bald zur Debatte. Bringt die Mitte ihre Initiative für die Abschaffung der Heiratsstrafe in der AHV zustande und beim Stimmvolk durch, würden weitere 3 Milliarden Franken fällig.
Allerdings gibt es auch Sparanstrengungen. So möchte der Bundesrat die lebenslangen Witwenrenten streichen und diese nur noch befristet auszahlen. Damit könnten Bund und AHV 1 Milliarde Franken einsparen. Zudem möchte die nationalrätliche Sozialkommission bei Eltern im Pensionsalter die Alterskinderrenten streichen. Damit würden über 200 Millionen gespart – am Donnerstag entscheidet der Nationalrat über den Vorschlag.
350 Millionen für Prämienentlastung – oder doch Milliarden?
Das Stimmvolk hat es in der Hand, ob der Sozialausbau bald schon weitergeht: Am 9. Juni kommt die Prämienentlastungs-Initiative der SP an die Urne. Mit dieser sollen die Krankenkassenprämien auf maximal 10 Prozent des jeweiligen Haushaltseinkommens gedeckelt werden. Kostenpunkt für Bund und Kantone: 4,5 Milliarden Franken.
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In einer Tamedia-Umfrage sprechen sich derzeit 64 Prozent für die Initiative aus, nur 21 Prozent dagegen. Fällt das Begehren in der Abstimmung durch, kommt der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments zum Zug. Dann müssen die Kantone nur 350 Millionen zusätzlich für die Prämienverbilligung locker machen.
2 Milliarden für Pensionskassen-Reform
Es geht Schlag auf Schlag: Im Herbst steht mit der Pensionskassen-Reform bereits die nächste Rentenschlacht parat. Kernpunkt ist die Senkung des Mindestumwandlungssatzes im BVG-Obligatorium von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent. Damit würden die Renten sinken. Mit Kompensationsmassnahmen soll eine Rentenlücke möglichst verhindert werden – was allerdings nicht überall gelingt.
Unter dem Strich fliessen hauptsächlich über zusätzliche Lohnbeiträge von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden mehr Gelder in die zweite Säule: Ab 2025 sind es im Schnitt jährlich 2,1 Milliarden Franken. Ob es so weit kommt, ist aber offen, da die Gewerkschaften die Vorlage mit dem Referendum bekämpfen. In einer Sotomo-Umfrage lehnen 56 Prozent der Befragten die Reform ab.
So lässt sich der Sozialausbau finanzieren
Mit der 13. AHV-Rente ist klar, dass zumindest mittelfristig zusätzliche Einnahmequellen nötig sind. Es gibt jedenfalls einen bunten Ideenstrauss, wie sich der Sozialausbau finanzieren lässt.
- Lohnprozente: Einige Sozialversicherungen werden bereits über Lohnprozente mitfinanziert. Logisch also, stehen diese auch für eine Zusatzfinanzierung im Fokus. So würde beispielsweise 1 zusätzliches AHV-Lohnprozent über 4 Milliarden Franken einbringen. Bei den Lohnbeiträgen gibt es zudem einen gewissen Spielraum, sind doch die Sozialbeiträge in anderen Bereichen gesunken – beispielsweise dank weniger Unfällen in der Unfallversicherung. Zudem zeichnet sich bei der finanziell soliden Arbeitslosenversicherung eine Senkung ab. Die dabei eingesparten Lohnprozente könnten in die AHV-Kasse umgeleitet werden, ohne dass dies im Portemonnaie der Büezer spürbar wäre.
- Mehrwertsteuer: Auch eine höhere Mehrwertsteuer ist eine Option. Ein zusätzlicher Prozentpunkt bringt 3,5 bis 4 Milliarden Franken
- Transaktionssteuer: Die Mitte hat eine Finanzmarkt-Transaktionssteuer ins Spiel gebracht. Eine solche könnte etwa auf Börsengeschäfte oder auch Geldüberweisungen anfallen. Das Finanzdepartement schätzt das Potenzial grob auf 5 Milliarden Franken.
- Erbschaftssteuer: Die EVP bringt ihre alte Forderung für eine nationale Erbschaftssteuer «auf hohen Erbschaften» wieder auf den Tisch. Eine 2015 abgelehnte Volksinitiative hätte gut 3 Milliarden Franken eingebracht.
- Direkte Bundessteuer: Denkbar wäre auch eine Erhöhung der direkten Bundessteuer, wenn der Bund zusätzliches Geld einschiessen muss. Diese ist mit 29 Milliarden Franken schon heute die wichtigste Einnahmequelle der Eidgenossenschaft.
Und wer weiss, vielleicht liesse sich auch im mittlerweile auf jährlich 80 Milliarden Franken angewachsenen Bundeshaushalt in anderen Bereichen die eine oder andere Milliarde einsparen.