Das wuchtige Ja zur 13. AHV-Rente sei «ein historischer Moment», «eine Zeitenwende», «eine sozialpolitische Sensation», heisst es in den Medien. Erstmals hat das Stimmvolk einer Initiative zum Ausbau des Sozialstaats zugestimmt. Paul Rechsteiner (71) ist der Architekt des AHV-Ausbaus. Am Abstimmungssonntag wurde er in Bern als «wahrer Vater» der AHV-Initiative gefeiert. Dem «Beobachter» präsentiert der Ex-Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds und langjährige SP-Politiker einen überraschenden Finanzierungsplan für die 13. AHV-Rente.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Herr Rechsteiner, Sie sind der Erfinder der 13. AHV-Rente. Wie haben Sie den Abstimmungssonntag erlebt?
Leute mit unteren und mittleren Einkommen haben lange auf diesen Tag gewartet. Es war ein grosser Tag für die Schweiz und für das wichtigste Sozialwerk, die AHV. Der Abstimmungssieg zeigt, dass die Bevölkerung anders tickt als die Politik im Bundeshaus.
Einige machen die angeblich egoistischen Boomer für das Ja verantwortlich und beklagen, dass die Alten die Jungen an der Urne überstimmt hätten.
Es ist völlig klar, dass der Entscheid abhängig von der sozialen Klasse ist. Das zeigen die Befragungen. Tiefe und mittlere Einkommen waren stark dafür, ab 13’000 Franken Monatseinkommen gab es Mehrheiten dagegen. Die Städte haben teilweise weniger deutlich Ja gestimmt als Landgemeinden. Denn in Städten wohnen auch viele Gutverdienende. Und wer Generationen gegeneinander ausspielt, treibt ein übles Spiel. Junge werden auch älter und sind darauf angewiesen, dass es eine starke AHV gibt.
Ihre Gegner sagen, der AHV gehe das Geld aus. Wie soll die 13. AHV-Rente finanziert werden?
Gute AHV-Leistungen sind der Bevölkerung etwas wert. Eine unmittelbare Finanzierung braucht es nicht, weil es der AHV dank den Zusatzfinanzierungen der letzten Jahre sehr gut geht. Mittelfristig braucht die AHV aber mehr Mittel. In den nächsten Jahren könnte eine Zusatzfinanzierung aufgegleist werden, ohne dass die Leute dadurch mehr belastet werden.
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Wie das?
Wenn die Arbeitslosenzahlen nicht plötzlich stark steigen, kann man die Lohnbeiträge für die Arbeitslosenversicherung um 0,3 Lohnprozentpunkte reduzieren. Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssten dann je 0,15 Prozent weniger bezahlen. Denn die Arbeitslosenversicherung nimmt viel mehr ein, als sie ausgibt. Der Bund könnte 0,3 Lohnprozentpunkte so umwidmen, dass sie der AHV zukommen würden. Das ergäbe auf einen Schlag Zusatzeinnahmen von 1,3 Milliarden Franken. Es wäre eine segensreiche Geschichte für alle, weil niemand mehr bezahlen müsste als heute.
Das reicht schon?
Zudem gehen die Prämien der Unfallversicherung zurück, weil es weniger Unfälle gibt. Deshalb werden auch die Lohnbeiträge für die Unfallversicherung sinken. Und weil wir weniger Kinder haben, sinken auch die Familienzulagen. Der Gewerkschaftsbund hat errechnet, dass die Lohnbeiträge an die Sozialversicherungen insgesamt so stark sinken werden, dass die Leute von den höheren AHV-Beiträgen gar nichts bemerken werden im Portemonnaie.
2016 sind Sie noch gescheitert mit einer ähnlichen Initiative. Warum hat das Stimmvolk nun Ja gesagt?
Die finanzielle Lage vieler Leute hat sich wegen steigender Mieten und Krankenkassenprämien verschärft. Die Renten der Pensionskassen sind gleichzeitig schlechter geworden. Und unsere Forderung war besser formuliert. Die 13. Rente ist so selbstverständlich wie der 13. Monatslohn. Alle wissen, worum es geht.
Das wuchtige Ja kam überraschend. Wie konnte das Parlament die Stimmung so falsch einschätzen?
Die wirtschaftliche Entwicklung und die Lohnentwicklung sind in der Schweiz positiv. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das Renteneinkommen immer schlechter wird – bei steigenden Lebenshaltungskosten. Das Versprechen der Verfassung, dass man im Alter von den Renten der AHV und der Pensionskasse anständig leben kann, wurde zunehmend nicht mehr eingehalten. Das Abstimmungsergebnis ist die Quittung dafür.
Die Arbeitslosenversicherung sitzt auf Milliarden: Kommt jetzt die Vermögensbremse?
In der Arbeitslosenversicherung gilt eine Vermögensbremse. Sobald die Versicherung zu viel auf der hohen Kante hat, muss sie die Lohnbeiträge zwingend senken, bestätigt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). 2022 nahm die Arbeitslosenversicherung 2,3 Milliarden Franken mehr ein, als sie ausgab. Das zeigt der Jahresbericht. Das Eigenkapital betrug per Ende 2023 gemäss einer Hochrechnung des Seco satte 6,8 Milliarden Franken. Innerhalb eines Jahres nahm das Eigenkapital somit um 2,8 Milliarden Franken zu. Im letzten Jahr lag die Eigenkapitalobergrenze laut Seco bei 11 Milliarden Franken. Das bedeutet: In rund zwei Jahren wird der Bundesrat die Lohnabzüge wohl senken müssen, wenn die Wirtschaft stabil bleibt. Der Bund hatte 2011 die Lohnbeiträge für die Arbeitslosenversicherung von 2 Prozent auf 2,2 Prozent erhöht. Die Arbeitnehmenden und die Arbeitgebenden zahlen je die Hälfte davon.