Absage-Drama in der Partei
Droht der Mitte ein «wildes Debakel» bei der Bundesratswahl?

Absage um Absage für die Amherd-Nachfolge im Bundesrat: Was, wenn es neben Markus Ritter am Ende bei einer Alibi-Kandidatur bleibt? Blick erklärt, warum es dann für die Mitte ungemütlich werden könnte.
Publiziert: 08:51 Uhr
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Aktualisiert: vor 59 Minuten
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Markus Ritter (SG) ist bisher der einzige Kandidat für die Nachfolge von Viola Amherd im Bundesrat.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Die Mitte sucht nach Viola Amherds Rücktritt verzweifelt Kandidierende
  • Ausgangslage könnte als Einladung für wilde Kandidaten verstanden werden
  • Seit über 30 Jahren sind Einertickets bei Bundesratswahlen praktisch tabu
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sven AltermattCo-Ressortleiter Politik

Wer hat noch nicht, wer will noch – absagen? Diese Frage muss sich die Mitte stellen. Nach der Rücktrittsankündigung von Viola Amherd (62) sucht die Partei verzweifelt Kandidierende für den Bundesrat. Am Montag läuft die interne Bewerbungsfrist ab. Lange hatte einzig der St. Galler Nationalrat Markus Ritter (57) seinen Hut in den Ring geworfen. Erst kurz vor Ablauf der Frist sorgte der Zuger Gesundheitsdirektor Martin Pfister (61) mit seiner Ankündigung für etwas Entspannung. Fünf vor Zwölf sozusagen.

Ansonsten: Absage um Absage. Noch-Parteipräsident Gerhard Pfister (62) will ebenso wenig antreten wie Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (46). Die Top-Anwärter Martin Candinas (44), Isabelle Chassot (59) und zuletzt Christophe Darbellay (53) nahmen sich ebenfalls aus dem Rennen. Und auch von der Luzernerin Andrea Gmür (60) oder dem St. Galler Benedikt Würth (57) kam ein Nein.

Ob Pfister Ankündigung mehr als nur eine Alibi-Kandidatur ist, wird sich zeigen. Das Parlament zeigt meist wenig Lust, Externe auf den Schild zu heben. Damit bleibt Ritter bisher jedenfalls der einzige Kandidat aus den «eigenen Reihen» – immerhin zeigt er grosse Lust aufs Amt. Und die Topshots haben alle Forfait gegeben.

Selbst ein Zweierticket mit einem Alibi-Kandidaten könnte für die Mitte zur Hypothek werden. Erst recht, wenn keine Frau ins Rennen geht, wie es sich viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier wünschen. Oder wie es Darbellay am Sonntag bei seiner Absage formulierte: «Eine Einerkandidatur wäre riskant.» Auch jetzt noch droht ein «wildes Debakel»!

Eine Einladung zum «Wildern»?

Warum dies so ist, zeigen vergangene Bundesratswahlen. Besonders ein Einerticket würde die Bundesversammlung vor den Kopf stossen. Denn dann haben die 246 Parlamentsmitglieder quasi keine Wahlfreiheit. Ob die Zweier-Variante mit einem Alibi-Kandidaten besser ankommt, wird sich zeigen müssen.

Die Konsequenz: Die Ausgangslage könnte als Einladung verstanden werden, auf wilde Kandidierende zu setzen. Das Parlament könnte eine Person bevorzugen, die sich selbst aus dem Rennen genommen hat. Namentlich Parteichef Pfister, der lange als absoluter Favorit gehandelt wurde, könnte dann trotz offizieller Absage auf den Wahlzetteln landen.

Seit über 30 Jahren sind Einertickets bei Bundesratswahlen praktisch tabu. Taktische Manöver führten dazu, dass Parteien fast immer auf eine «Auswahlsendung» setzten. Zuvor hatten «wilde Angriffe» zeitweise zur Tagesordnung gehört: So hatte das Parlament etwa mehrfach die offiziellen Kandidaturen der SP übergangen.

Doris Leuthard ist die grosse Ausnahme

Unvergessen bleibt, wie das Parlament 1993 die Einzelkandidatur von Christiane Brunner (77, GE) ignorierte und stattdessen Francis Matthey (82, NE) wählte. Dieser verzichtete dann aber zugunsten von Ruth Dreifuss (85, GE). Auch um solche Spielchen zu vermeiden, nominieren die Fraktionen heute in der Regel mehrere Personen mit verschiedenen Hintergründen.

Die grosse Ausnahme: Doris Leuthard (61, AG). 2006 gelang es der CVP (heute Mitte), sie auf einem Einerticket durchzudrücken. Zuerst gab es leise Proteste. Dass sie schnell verstummten, lag daran, dass damals fast alle Parteien ein taktisches Interesse daran hatten, sich mit der CVP gut zu stellen.

Allergisch reagierte das Parlament in der Vergangenheit auch bei inhaltlich eng gefassten Tickets. So wollte es 2000 von den offiziellen Wahlvorschlägen der SVP nichts wissen. Statt Rita Fuhrer (71, ZH) oder Roland Eberle (71, TG) wählte es den gemässigten Samuel Schmid (78, BE) in den Bundesrat.

Parteien fordern eine Auswahl

Und heute? Die Mitte steht bereits unter Druck. FDP-Fraktionschef Damien Cottier (49) fordert «eine Auswahl an qualifizierten Kandidierenden», wie er der «Schweiz am Wochenende» sagte. Und Grünen-Chefin Lisa Mazzone (39) machte gegenüber Blick klar: «Auf jeden Fall muss die Mitte ein Ticket präsentieren, auf dem eine Frau steht.»

Aus den Reihen der Mitte gibt’s bereits Konter. «Ich würde es begrüssen, wenn Markus Ritter als alleiniger Kandidat vorgeschlagen wird», sagte der Schwyzer Ex-Nationalrat Alois Gmür (69) der «SonntagsZeitung». Alles andere seien «Alibiübungen», denn gegen den Bauernpräsidenten habe ohnehin niemand eine Chance.

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