Auf einen Blick
- Die Mitte suchte nach Viola Amherds Rücktritt verzweifelt Kandidierende
- Ausgangslage könnte als Einladung für wilde Kandidaten verstanden werden
- Fehlende Auswahl wird von anderen Parteien kritisiert
Wer hat noch nicht, wer will noch – absagen? Diese Frage musste sich die Mitte stellen. Nach der Rücktrittsankündigung von Viola Amherd (62) suchte die Partei verzweifelt Kandidierende für den Bundesrat. Am Montag lief die interne Bewerbungsfrist ab. Lange hatte einzig der St. Galler Nationalrat Markus Ritter (57) seinen Hut in den Ring geworfen. Erst kurz vor Ablauf der Frist sorgte der Zuger Gesundheitsdirektor Martin Pfister (61) mit seiner Ankündigung für etwas Entspannung. Fünf vor Zwölf sozusagen.
Ansonsten: Absage um Absage. Noch-Parteipräsident Gerhard Pfister (62) will ebenso wenig antreten wie Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (46). Die Top-Anwärter Martin Candinas (44), Isabelle Chassot (59) und zuletzt Christophe Darbellay (53) nahmen sich ebenfalls aus dem Rennen. Und auch von der Luzernerin Andrea Gmür (60) oder dem St. Galler Benedikt Würth (57) kam ein Nein.
Ob Martin Pfisters Ankündigung mehr als nur eine Alibi-Kandidatur ist, wird sich zeigen. Er selbst hat sich bisher nicht zu seinen Ambitionen geäussert. Das Parlament zeigt meist wenig Interesse, Externe auf den Schild zu heben. Ritter ist der einzige Kandidat aus den «eigenen Reihen».
Selbst ein Zweierticket mit einem als Alibi-Kandidaten verschrienen Politiker könnte für die Mitte zur Hypothek werden. Erst recht, weil keine Frau ins Rennen geht, wie es sich viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier gewünscht haben. Auch jetzt noch droht ein «wildes Debakel»!
Eine Einladung zum «Wildern»?
Warum dies so ist, zeigen vergangene Bundesratswahlen. Die 246 Parlamentsmitglieder reagieren allergisch, wenn ihre Wahlfreiheit quasi eingeschränkt wird. Wie gut die Zweier-Variante mit einem praktisch unbekannten Kandidaten ankommt, lässt sich noch schwer abschätzen.
Die Ausgangslage könnte jedenfalls als Einladung verstanden werden, auf wilde Kandidierende zu setzen. Das Parlament könnte eine Person bevorzugen, die sich selbst aus dem Rennen genommen hat. Namentlich Parteichef Gerhard Pfister, der lange als absoluter Favorit gehandelt wurde, könnte dann trotz Absage auf den Wahlzetteln landen (auch wenn er eine Wahl nach eigenen Aussagen ablehnen würde).
Taktische Manöver führten dazu, dass Parteien in den vergangenen 30 Jahren fast immer auf eine «Auswahlsendung» setzten. Einertickets gelten heute als tabu. Zuvor hatten «wilde Angriffe» zeitweise zur Tagesordnung gehört: So hatte das Parlament etwa mehrfach die offiziellen Kandidaturen der SP übergangen.
Doris Leuthard ist die grosse Ausnahme
Unvergessen bleibt, wie das Parlament 1993 die Einzelkandidatur von Christiane Brunner (77, GE) ignorierte und stattdessen Francis Matthey (82, NE) wählte. Dieser verzichtete dann aber zugunsten von Ruth Dreifuss (85, GE). Auch um solche Spielchen zu vermeiden, nominieren die Fraktionen heute in der Regel mehrere Personen mit verschiedenen Hintergründen.
Die grosse Ausnahme: Doris Leuthard (61, AG). 2006 gelang es der CVP (heute Mitte), sie auf einem Einerticket durchzudrücken. Zuerst gab es leise Proteste. Dass sie schnell verstummten, lag daran, dass damals fast alle Parteien ein taktisches Interesse daran hatten, sich mit der CVP gut zu stellen.
Verschnupft reagierte das Parlament in der Vergangenheit auch bei inhaltlich eng gefassten Tickets. So wollte es 2000 von den offiziellen Wahlvorschlägen der SVP nichts wissen. Statt Rita Fuhrer (71, ZH) oder Roland Eberle (71, TG) wählte es den gemässigten Samuel Schmid (78, BE) in den Bundesrat.
Parteien fordern eine Auswahl
Und heute? Die Mitte steht bereits unter Druck. FDP-Fraktionschef Damien Cottier (49) forderte «eine Auswahl an qualifizierten Kandidierenden», wie er der «Schweiz am Wochenende» sagte. Und Grünen-Chefin Lisa Mazzone (39) machte gegenüber Blick klar: «Auf jeden Fall muss die Mitte ein Ticket präsentieren, auf dem eine Frau steht.»