Intrigen und Indiskretionen im Bundesrat
So kam es zum Bruch mit Amherd

Viola Amherd scheiterte an den politischen Verhältnissen auf der Welt. Und im Bundesrat. Sie spricht von einer «Kampagne» gegen sie. Auch die Medien hätten sie enttäuscht. Protokoll einer Eskalation.
Publiziert: 00:06 Uhr
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Die Sollbruchstelle in der Regierung: Bundesratsfoto 2025.
Foto: Montage: Claude Sturzenegger

Auf einen Blick

  • Viola Amherd tritt zurück. Demütigungen und Niederlagen führten zur Entscheidung
  • Amherd fühlte sich von Medien und Kollegen im Stich gelassen
  • Mitte-Partei hat 1,5 Monate Zeit bis zur Bundesratsersatzwahl
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Viola Amherd ist winzig klein. So wirkt es, als sie den Raum betritt. Und mit jedem Wort, das sie sagt, erscheint sie noch kleiner, noch leiser, noch zusammengedrückter. Was ist da los?

Am Freitagmorgen, 20. Dezember, empfängt die Bundespräsidentin zwei Blick-Journalisten zum Interview in ihrem Büro. Der Auftritt der Magistratin verblüfft, zumal sie gleich danach ihren grossen Triumph zum Ende des Präsidialjahrs feiern wird: den Handschlag mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66) anlässlich des Verhandlungsabschlusses für ein neues Abkommen.

Was die Interviewer noch nicht wissen: Amherd hat gerade, in ihrer letzten Sitzung als Bundespräsidentin, erneut eine Demütigung durch ihre Kollegen erfahren müssen.

Dem nachmittäglichen Medientermin, bei dem die Regierung das Verhandlungsergebnis mit Brüssel vorstellte, blieb Amherd fern. Die Öffentlichkeit stempelte sie daraufhin zum Feigling ab, der sich mit dem Gast aus Brüssel im Blitzlicht sonnt und den Kleinkram drei Kollegen aus dem Europaausschuss überlässt: Aussenminister Ignazio Cassis (63), Wirtschaftsminister Guy Parmelin (65), Justizminister Beat Jans (60).

Am Montag legt der Mitte-Vorstand den Fahrplan fest

SVP-Präsident Marcel Dettling (43) bezeichnete den Fototermin eine Woche später im Blick als «Schweinerei» und sprach aus, was viele dachten: «Sie trat für einen Handshake mit der EU-Vertreterin kurz auf die Bühne, machte den grossen Zampano und schickte danach ihre drei Kollegen vor die Medien.»

Wie Recherchen ergeben, lief die Sache anders: Amherd drängte sogar darauf, an der Medienkonferenz teilzunehmen, und argumentierte, dort wären dann alle vier Bundesratsparteien zugegen – im Hinblick auf die erwartete Volksabstimmung ein wichtiges Signal an die Bevölkerung. Doch das Trio Cassis, Parmelin und Jans beantragte, die Bundespräsidentin aussen vor zu lassen – und der Gesamtbundesrat hiess das gut: möglicherweise eine Retourkutsche für Amherds Inszenierung mit Ursula von der Leyen. Der Kampf um die Macht ist immer auch ein Kampf um Aufmerksamkeit.

Nur wenige Wochen darauf erfolgte die Rücktrittsankündigung per Ende März. Mit ihrer überstürzten Handlungsweise überraschte Amherd auch engste Mitstreiter. Sie sei, so der Tenor, doch erst 62 Jahre alt und hätte als Sportministerin noch die Frauen-Fussball-EM im Sommer begleiten wollen.

Nun aber bleiben ihrer Partei noch gut anderthalb Monate Zeit bis zur Bundesratsersatzwahl –organisatorisch ein Hosenlupf. Am Montag tritt die Parteispitze zusammen, um eine Findungskommission einzusetzen und den Fahrplan festzulegen. Parallel muss eine neue Parteipräsidentin oder ein -präsident her, da Gerhard Pfister (62) seine Demission per Juni bekannt gegeben hat.

Auch mit links-grünen Stimmen gewählt

Vieles hat zunächst darauf hingedeutet, dass sich der Zuger für Amherds Nachfolge in Stellung bringt. Wusste er im Vorfeld mehr? Dem Vernehmen nach wurde auch er auf dem falschen Fuss erwischt. Dazu hält sich hartnäckig das Gerücht, dass er mit seinem Schritt Amherd unter Zugzwang setzte, die lieber den Bündner Martin Candinas (44) als Nachfolger hätte.

Mit dem Verzicht auf die Kandidatur, den er via Tamedia-Zeitungen bekannt machte, öffnet Pfister das Feld der Anwärter – und ebnet Candinas den Weg zur Favoritenrolle.

Aus Gesprächen von Blick mit Weggefährten Amherds im Parlament und im VBS entsteht das Bild einer Politikerin, die daran zerbrochen ist, dass sie ihrer öffentlichen Demontage beiwohnen musste. 2018 mit links-grünem Support in die Regierung gewählt, begann sie zunehmend mit dem Rechtstrend zu hadern. Im vertrauten Kreis soll sie sich wiederholt beklagt haben, dass seit Beginn ihres Präsidialjahrs 2024 – so die Walliserin wörtlich – eine «Kampagne» gegen sie gefahren werde.

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Wenn Exekutivpolitiker eine Kampagne gegen sich wittern, läuten für sie ohnehin die Alarmglocken. Amherds Problem reicht aber noch weiter: Sie wittert die Pharisäer auch unter den eigenen Regierungskollegen.

Der AKW-Entscheid war ein Schock für sie

Seit dem Wechsel von Karin Keller-Sutter (61) ins Finanzdepartement und der Wahl Albert Röstis (57) hat sich im Bundesrat ein schlagkräftiges Quartett aus den beiden Freisinnigen und den beiden SVP-Vertretern etabliert, das dort die Marschrichtung vorgibt. Immer wieder ist der Begriff Viererblock zu hören. Angeführt wird er vom Duo Keller-Sutter/Rösti. Die beiden sollen sich vor den Bundesratssitzungen jeweils miteinander absprechen. Was für die VBS-Vorsteherin den Effekt hat, dass das Spiel schon zu Beginn jeder Sitzung gelaufen ist.

So war es für Amherd ein Schock, dass die Regierung unter Röstis Führung wieder die Möglichkeit für neue Atomkraftwerke im Land eröffnete und damit das Vermächtnis ihrer Parteikollegin Doris Leuthard (61) über Bord warf. Das Präsidialjahr, das sie mit hoffnungsvollen Vokabeln wie «Aufbruch» und «Zuversicht» begann, wurde für Amherds Karriere zur frostigen Winterreise. Mit jeder weiteren Niederlage wurde die Magistratin dünnhäutiger; auch ihr Misstrauen gegenüber den Medien, von denen sie sich «alleine gelassen» fühlte, nahm zu. Daraus machte sie im kleinen Kreis keinen Hehl, wie Blick in Erfahrung bringen konnte.

Mit der SRG überwarf sich Amherd bereits zu Beginn ihres Präsidialjahrs wegen kritischer Berichte zu den Armeefinanzen. Im Dezember soll sie ein Interview mit den CH-Media-Zeitungen abgesagt haben, nachdem dort über ihre Niederlage gegen Keller-Sutter im Streit um das Militärbudget sowie über ihr «schlechtes politisches Handwerk» berichtet worden war. Es folgt der mediale Verriss der Bürgenstockkonferenz, den sie nie verstand. Es steht ausser Zweifel: Die grösste je in der Schweiz abgehaltene internationale Gipfelkonferenz wäre ohne sie nicht zustande gekommen.

Die Medien würden «ihre Pflicht nicht wahrnehmen»

Dass ihr Departement in jüngster Zeit dramatisch an Wichtigkeit gewann, bedeutet für Amherd Fluch und Segen zugleich. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist die Zäsur schlechthin, auch in ihrer Karriere. Sie ist keine Charismatikerin, bei ihr steht «Mitte» eher für gesundes Schweizer Mittelmass. Umso schärfer positionierte sich Amherd in den Dossiers Europa und Ukraine – was der Gesamtbundesrat mit einer Mischung aus Hochachtung, Ablehnung und Missgunst quittierte.

Die Attacken ergaben machtpolitisch durchaus Sinn: Die FDP wollte ihre beiden Bundesratssitze halten und war an einer schwachen Mitte-Vertreterin interessiert; die SVP besass mit Amherd als Euro- und Nato-Turbo eine ideale Gegenspielerin für den Kampf gegen das EU-Rahmenabkommen und die Neutralitäts-Initiative.

Amherd ihrerseits nimmt Anstoss daran, dass die Journalisten des Landes dem internationalen Erstarken rechtspopulistischer Kräfte nicht entschiedener entgegentreten. Sie sei «enttäuscht» von den Schweizer Medien, die «ihre Pflicht nicht wahrnehmen», berichten Vertraute. Das Erblühen von Parteien wie der FPÖ in Österreich, der AfD in Deutschland oder des Rassemblement National in Frankreich frustriere sie tief. Besonders zu schaffen macht ihr der Erfolg von US-Präsident Donald Trump (78) und von Tech-Guru Elon Musk (53), der sich ungeniert in die europäische Politik einmischt und sie als Käuferin des Kampfjets F-35 sogar indirekt angriff: «Nur Idioten bauen die noch», twitterte er.

Amherd pochte auf den Rückzug von X

So ist es für Amherd nur folgerichtig, dass sie intern darauf pochte, der Bund solle sich aus Musks Kurznachrichtendienst X zurückziehen – nun aber eröffnet ihre Gegenspielerin Karin Keller-Sutter einen persönlichen X-Account. Und obwohl die neue Bundespräsidentin dem Vernehmen nach nicht wirklich heiss darauf gewesen sein soll, steht die Episode doch sinnbildlich für den Zeitgeist, dem Amherd zunehmend ausgesetzt ist.

Aus dem politischen Lustgarten in christlichsozialer Minne wurde die stoisch lächelnde Walliserin jäh herausgerissen. Stattdessen sah sich die Glücklose von einer bürgerlichen Allianz zum Abschuss freigegeben, die von der Landesregierung bis in die Schaltzentralen der Parteien reicht. Eine enge Weggefährtin Amherds redet sogar von «Mobbing». Man könnte auch sagen: Ihr etwas naiver Idealismus ist mit der Realpolitik zusammengeprallt.

Jüngstes Beispiel: An der ersten Bundesratssitzung des Jahres am Mittwoch erlitt Amherd wieder einmal Schiffbruch. Die VBS-Chefin wollte Zivilschutz und Zivildienst in einer neuen Organisation zusammenlegen – und wurde von vier Kollegen, darunter auch SP-Mann Jans, abgewatscht. Wie durch Geisterhand landeten sowohl die Kunde von Amherds Misserfolg als auch ihr Antrag selbst unmittelbar in der Redaktion des SRF («Gesamtbundesrat bremst Amherd am Tag ihres Rücktritts aus»): Der Bundesrat als Intrigantenstadl.

Nun muss die Frau aus Brig-Glis ohne rhetorischen Feuerschutz für Personal- und Führungsdebakel geradestehen, etwa im Nachrichtendienst, im Cyberbereich oder beim Rüstungskonzern Ruag.

Insbesondere ihr Regierungsstil nach dem Amiga-Prinzip stiess zunehmend auf Skepsis. Walliserdeutsch wurde um sie herum zur fünften Amtssprache; die geheimnisvolle Einflüsterin Brigitte Hauser-Süess (70) aus dem Oberwallis elektrisierte die Kritiker ihrer Vorgesetzten erst recht. Ende Jahr trat die Beraterin ab. Und jetzt geht auch die Chefin – hält sie es nicht ohne ihre Freundin in Bern aus? Eine Frage, die sich durch einen etwas späteren Rücktritt hätte vermeiden lassen.

Mit Pfisters Rückzug fällt die spannendste Option weg

Entscheidend wird nun sein, wer aus der Mitte-Partei als idealer Nachfolger infrage kommt, um es mit dem Viererblock aufzunehmen. Mit Pfisters Entscheid, sich aus dem Rennen zu nehmen, fällt die spannendste Option weg. Der Mitte-Präsident ist das Zoon politikon, der Vollblutpolitiker von bisweilen etwas säuerlicher Unbestechlichkeit, ein Zuger Cicero-Verschnitt mit taktischem Geschick und beachtlichem Stehvermögen.

Candinas hingegen ist die personifizierte eingemittete Mitte, «Everybody’s Darling» aus dem Bergkanton, ein Netzwerker – aber auch ein Mann ohne Eigenschaften mit einer ordnungspolitischen Schwäche für Service public und «Subvenziuns».

Ob er der Richtige wäre, um in das Powerplay gegen die Übermacht von SVP und FDP einzusteigen, bleibt offen – zunächst aber muss Candinas auch wollen.

Einige in der SVP dürften nun erleichtert sein – die Vorstellung eines Bundesrats Pfister hätte ihnen Kopfschmerzen bereitet; und womöglich wollten manche in der Partei mit ihrer Rücktrittsforderung an die Adresse Amherds just das Gegenteil erreichen: dass nämlich ihre Lieblingsgegnerin aus Trotz noch ein wenig bleibt.

Doch diesen Gefallen tat sie der Partei um Christoph Blocher (84) nicht. Manche sehen die Ankündigung ihres Abschieds so kurz nach der SVP-Aktion deshalb als letzten Akt der Grösse.

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