Grünen-Chefin Mazzone kritisiert Karin Keller-Sutter und das Sparpaket
«Wer im Bundesratsjet fliegt, kann leicht vom Sparen reden»

Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone wirft dem Bundesrat vor, nötige Investitionen in die Zukunft der Schweiz zu verhindern. Im Interview erklärt sie, warum die Grünen das Kantonsreferendum gegen das Sparpaket vorantreiben und warum sie lieber keinen Bundesrat Ritter will.
Publiziert: 00:50 Uhr
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Aktualisiert: 06:33 Uhr
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Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone kritisiert, die rechtsbürgerliche Mehrheit im Bundesrat katapultiere die Schweiz um Jahrzehnte zurück.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Lisa Mazzone kritisiert das Sparpaket und die rechtsbürgerliche Mehrheit des Bundesrats
  • Grüne fordern Investitionen in Klimaschutz und soziale Sicherheit statt Kürzungen
  • Bundesrat hat in den letzten Jahren trotz pessimistischer Prognosen Gewinne geschrieben
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Die Wut spürt man Lisa Mazzone (37) nicht an. Blick trifft die Präsidentin der Grünen in einem Café in Lausanne zum Interview. Doch sie regt sich mächtig über das Sparpaket und die rechtsbürgerliche Mehrheit des Bundesrats auf. Mazzone ist überzeugt: Die Schweiz wird um Jahrzehnte zurückgeworfen und nicht für die Zukunft vorbereitet. 

Blick: Der Bund schreibt rote Zahlen, die Prognosen sind düster. Da können Sie eigentlich nichts gegen ein Sparpaket haben.
Lisa Mazzone:
Die Schweiz hat eine der tiefsten Schuldenquoten weltweit. Und der Bundesrat hat in den letzten Jahren immer wieder viel zu pessimistische Prognosen vorgelegt und einfach Gewinne geschrieben. Es sieht dieses Jahr wieder so aus! Es wäre, im Gegenteil, jetzt extrem wichtig, dass das Land in die Zukunft investiert. 

Wie bitte? Sie wollen noch mehr Geld ausgeben?
Wir müssen jetzt den grössten Herausforderungen unserer Zeit begegnen, doch wir haben leider einen No-Future-Bundesrat. Trotz Sparpaket gibt der Bundesrat Milliarden für die Armee aus, er kürzt bei der sozialen Sicherheit, beim ÖV oder bei der Bildung. Wir sehen gerade das rücksichtslose Durchmarschieren einer SVP-FDP-Mehrheit im Bundesrat, die die Schweiz in die 1980er-Jahre zurückkatapultieren will. 

Was meinen Sie damit?
Autobahnen, Atom und Armee. Das ist das rückwärtsgewandte Programm, das die rechtskonservative bürgerliche Mehrheit über das Sparpaket umsetzen will. Das hat fatale Folgen, weil dafür auf Kosten der Chancengleichheit gespart wird. Die Leute müssen mehr für ÖV-Tickets zahlen, erhalten weniger Unterstützung bei den Krankenkassenprämien, und die Studiengebühren verdoppeln sich. Bundesrätin Karin Keller-Sutter sagt dann beschwichtigend, sie wisse auch als Privatperson, wie es ist zu sparen. Wer einen Bundesratslohn hat und mit dem Bundesratsjet durch die Welt fliegt, kann einfach vom Sparen reden. 

Sie sagen, dass die Prognosen zu negativ sind und am Ende mehr Geld in die Bundeskasse fliessen wird. Das ist doch Politik nach dem Prinzip Hoffnung.
Nein, es ist das Prinzip Erfahrung. Der Bundesrat malt schwarz, und am Ende ist viel mehr Geld in der Bundeskasse als angenommen. Das haben wir schon mehrfach erlebt. Aktuell fehlen etwa auch Zahlungen der Nationalbank in den Prognosen. 

Wenn Links-Grün an der Macht wäre, gäbe es einfach mehr Schulden, oder?
Wenn das Geld fehlt, könnte man sofort Privilegien des Luftverkehrs streichen oder eine Grundstückgewinnsteuer auf Bundesebene einführen. Zusammen macht es 2,5 Milliarden Franken mehr Einnahmen. Was im Moment passiert, ist, dass wir Schulden für die nächsten Generationen anhäufen, indem wir zwingende Investitionen aufschieben. Die tragischen Überschwemmungen im Wallis, im Maggiatal oder in Graubünden führten nicht nur dazu, dass Leute ihr Leben verloren haben. Sie führen auch zu Kosten in Milliardenhöhe. Und das geht so weiter. Deswegen muss man jetzt in die Klimaresilienz investieren.

Dass die Grünen alles Geld in den Klimaschutz stecken wollen, ist auch ideologisch.
Die Klimaerwärmung hat grosse Auswirkungen auf die Bevölkerung der Schweiz, in den Bergen, aber auch in den Städten. Ich erwarte vom Bundesrat, dass er seine Verantwortung für Land und Leute wahrnimmt und das Notwendige tut, um Schäden zu vermeiden. Aber es geht uns Grünen nicht nur ums Klima, sondern auch um den sozialen Zusammenhalt, und auch diesen will der Bundesrat wegsparen.

Letztlich bleibt es dabei: Sie wollen einfach mehr Geld ausgeben.
Es kann nicht das Regierungsprinzip sein, abzuwarten, was passiert. Wir müssen Herausforderungen vorausschauend anpacken. Das ist nicht nur beim Klima so, sondern auch bei den Kitas. Wir brauchen sie für die Gleichstellung, aber auch, damit Frauen in den Arbeitsmarkt zurückkehren können. Sparen wir dort, hat dies wirtschaftliche Konsequenzen. Und noch etwas ist sehr wichtig. 

Bitte.
Der Bundesrat nimmt sich zu einem grossen Teil aus seiner Regierungsverantwortung: Er kürzt Budgets, indem er die Kosten einfach auf die Kantone abwälzt. Diese leiden sehr stark unter dem Sparprogramm. Wir haben in mehreren Kantonen Vorstösse eingereicht, um ein Kantonsreferendum vorzubereiten. 

Jetzt vertreten die Grünen also plötzlich die Interessen der Kantone.
Uns geht es um die Solidarität und den Zusammenhalt in diesem Land. Der Bund nimmt mit dem Sparpaket seine Ausgleichsfunktion in der Schweiz nicht mehr wahr. In Bergregionen müssen Buslinien gestrichen werden, ebenso kürzt er die Integrationsbeiträge, was die Kantone kompensieren müssen.

Wenn Sie mit der Arbeit des Bundesrats so unzufrieden sind: Warum übernehmen Sie nicht Verantwortung und stellen nun einen Bundesratskandidaten?
Die Grünen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Wir haben Anspruch auf einen Bundesratssitz, und wir wollen die Zukunft mitgestalten. Wir haben aber auch von Anfang an gesagt, dass die Mitte ebenso Anspruch auf einen Sitz hat.

Das heisst: Wenn Ignazio Cassis zurücktreten sollte, werden die Grünen angreifen?
Sicher. Die FDP ist ganz klar übervertreten. Die Grünen haben rechnerisch gesehen viel mehr Anspruch auf einen Sitz, als es die FDP oder die Mitte auf zwei Sitze haben. Damit wäre auch der Wille der Bevölkerung im Bundesrat besser abgebildet. Das wäre dringend nötig. Im Moment politisiert ein rechtsbürgerliches altes Machtkartell an der Bevölkerung vorbei. Der Bundesrat hat deshalb im letzten Jahr auch fast alle wichtigen Abstimmungen verloren. Und das wird so weitergehen.

Welche Anforderungen stellen die Grünen an einen Mitte-Kandidaten oder eine Mitte-Kandidatin?
Was der Bundesrat im Moment sicher nicht braucht, ist ein zusätzlicher rechtskonservativer Mann. Davon gibt es genug im Bundesrat. Die Folge: Blockade wichtiger Reformen in der Sozial-, Umwelt- und Gesellschaftspolitik. Es braucht dringend jemanden, der beispielsweise in der Familienpolitik vorwärtsmachen will.

Das heisst: Gegenüber Bauernpräsident Markus Ritter, dem bisher einzigen Kandidaten, sind Sie skeptisch eingestellt?
Das haben Sie richtig interpretiert. 

Ein Mann, der nicht dem rechten Parteiflügel der Mitte angehört, wäre für die Grünen also wählbar?
Ja. Aber grundsätzlich würde ich es begrüssen, wenn es im Bundesrat weiterhin drei Frauen hätte. Dafür ist nicht nur die Mitte in der Verantwortung. Auf jeden Fall muss die Mitte ein Ticket präsentieren, auf dem eine Frau steht.

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