Seit rund 100 Tagen ist die neue SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (59) im Amt. Am 7. Dezember 2022 schaffte die Jurassierin überraschend die Wahl in die Landesregierung. «Ich bin aber keine Zufallsbundesrätin», betont sie immer wieder.
Baume-Schneider empfängt Blick in ihrem Büro in Bern zum Interview. Bei einem Kaffee erklärt die neue Justizministerin, was sie in ihrem Departement anpacken will.
Blick: Frau Bundesrätin, die Asylzahlen sind letztes Jahr deutlich gestiegen, und dieses Jahr werden bis zu 40'000 neue Gesuche erwartet. Macht Ihnen das keine Angst?
Elisabeth Baume-Schneider: Nein, das macht mir keine Angst. 40'000 Asylgesuche ist das Maximalszenario, realistischer sind um die 25'000 bis 27'000 Personen. Wegen des Ukraine-Kriegs ist die Zahl der hängigen Fälle letztes Jahr gestiegen, doch nun können wir die Pendenzen wieder schneller bearbeiten. Die Unterbringung der Schutzsuchenden bleibt aber eine grosse Herausforderung, die wir nur gemeinsam mit den Kantonen und Gemeinden bewältigen können. Ich bin auch im Gespräch mit meiner Kollegin Viola Amherd, um zusätzliche Kapazitäten für den Sommer zu schaffen, wenn die Zahlen erfahrungsgemäss zunehmen.
Sie wollen mehr Armeeunterkünfte bereitstellen?
Ja, genau.
Auch, um die Situation in den Kantonen zu entspannen? Der Fall Windisch hat ja enorme Wellen geworfen. Sie haben sich bisher nie öffentlich dazu geäussert.
Die Kommunikation zwischen den Verantwortlichen war eine Kakofonie, ein grosses Missverständnis. Am Ende der Geschichte blieb aber von der Anfangsthese «Mieter raus, Flüchtlinge rein» wenig übrig. Das Staatssekretariat für Migration und der Bund hatten nichts damit zu tun, dass der Hauseigentümer seinen Mietern mit der Begründung kündigte, er werde möglicherweise Asylsuchende aufnehmen! Der Fall Windisch ist aber ein Seismograf für Probleme, die wir ernst nehmen müssen. Es geht nicht, dass verletzliche Gruppen gegeneinander ausgespielt werden.
Das Risiko bleibt bestehen, dass auch andernorts Mieter rausgeworfen werden, um für Asylsuchende Platz zu schaffen.
Wenn eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern einfach so auf die Strasse gestellt wird, ist das ein Skandal. Aber da muss man mit dem Vermieter sprechen. Es hat nichts mit den Flüchtlingen zu tun. Der Hauseigentümer will abreissen und neu bauen. Deshalb hat er seinen Mietern gekündigt. Im Fall Windisch sind Fehler passiert. Die Lehre daraus muss sein, dass es entscheidend ist, dass man stets im Dialog bleibt und ein Vertrauensverhältnis schafft.
Elisabeth Baume-Schneider (59) schaffte mit ihrer Überraschungswahl in den Bundesrat eine Premiere: Zum ersten Mal ist der Kanton Jura in der Landesregierung vertreten. Anfang Jahr übernahm Baume-Schneider das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement.
Es ist der bisherige Höhepunkt einer langen politischen Karriere. Von 1995 bis 2002 war sie Grossrätin, von 2003 bis 2015 gehörte sie als Bildungsdirektorin der jurassischen Kantonsregierung an. 2019 wurde sie zur Ständerätin gewählt.
Aufgewachsen auf einem Bauernhof in Les Bois, lebt sie heute in Les Breuleux. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Und wie sie einst im Blick verriet, ist ihre Superkraft «Bärndütsch».
Elisabeth Baume-Schneider (59) schaffte mit ihrer Überraschungswahl in den Bundesrat eine Premiere: Zum ersten Mal ist der Kanton Jura in der Landesregierung vertreten. Anfang Jahr übernahm Baume-Schneider das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement.
Es ist der bisherige Höhepunkt einer langen politischen Karriere. Von 1995 bis 2002 war sie Grossrätin, von 2003 bis 2015 gehörte sie als Bildungsdirektorin der jurassischen Kantonsregierung an. 2019 wurde sie zur Ständerätin gewählt.
Aufgewachsen auf einem Bauernhof in Les Bois, lebt sie heute in Les Breuleux. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Und wie sie einst im Blick verriet, ist ihre Superkraft «Bärndütsch».
Für die SVP ist der Fall Wasser auf ihre Mühlen. Sie selber werden gerade im Wahljahr immer stärker zur Zielscheibe der Partei. Wie gehen Sie damit um?
Es ist kein Vergnügen, es macht mir aber auch nicht Angst. Es bestärkt mich vielmehr darin, als Bundesrätin Lösungen für die Probleme zu finden. Wir müssen die Migrationsfrage auf pragmatische Weise auf europäischer Ebene zu lösen versuchen. Wir müssen das Asylrecht respektieren. Wir müssen jenen Schutz bieten, die ihn nötig haben. Aber auch dort strikt sein, wo es kein Recht auf Asyl gibt. Allerdings: Wenn die SVP mich zur Zielscheibe nimmt, sollte sie nicht vergessen, wer diese Situation verursacht hat: Herr Putin. Er hat einen schrecklichen Krieg vom Zaun gebrochen, der Millionen von Menschen zur Flucht nach Europa – auch in die Schweiz – gedrängt hat.
Apropos Ukraine, Ihr Kollege Alain Berset sorgte mit seiner «Kriegsrausch»-Aussage für Kritik.
Ich will seine Aussage nicht bewerten. Ich stimme ihm aber zu, dass wir auf Krieg nicht mit Krieg, auf Waffen nicht mit Waffen, reagieren sollten. Die Schweiz antwortet mit anderen Mitteln – dem internationalen Recht, mit humanitärer Hilfe und der Aufnahme von Ukrainern. Das ist der Beitrag der Schweiz mit ihrer Neutralität, ihrer Rechtsordnung und ihrer humanitären Tradition. Ich denke, das wollte auch Alain Berset aufzeigen.
Dann halten Sie nichts von der Idee, Deutschland den Rückkauf von 25 Leopard-Panzern zu ermöglichen?
Wir werden im Bundesrat besprechen, was rechtlich möglich ist. Es wird sicher viel zu diskutieren geben. Mehr kann ich nicht dazu sagen.
Anderes Thema: Sie wollen die gewaltfreie Erziehung bei Kindern im Zivilgesetzbuch festschreiben.
Damit setzt die Schweiz ein wichtiges Zeichen! Den Kindern fehlt heute eine Lobby. Der Grundsatz einer gewaltfreien Erziehung wertet die Familie auf. Wir wollen die Vorlage noch dieses Jahr ins Parlament bringen.
Bisher hat der Bundesrat damit argumentiert, dass das Strafgesetzbuch reicht, weil etwa eine Ohrfeige bereits als Tätlichkeit gilt und angezeigt werden kann. Was ändert sich mit Ihrer Vorlage?
Es geht darum zu zeigen, dass wir als Gesellschaft Erwartungen an die Eltern haben. Die Vorlage will deshalb entwürdigende Gewalt auf physischer, aber auch auf psychischer und verbaler Ebene verbieten. Gleichzeitig will sie Kindern und Eltern einen besseren Zugang zu Beratungsstellen ermöglichen, um Gewaltsituationen zu verhindern.
Sie sprechen von «entwürdigender» Gewalt, auf die Eltern verzichten sollen. Dann gibt es «würdige» Gewalt geben, die zulässig ist?
Das habe ich mich zuerst auch gefragt!
Und?
Wenn ein Kind geimpft werden muss und es Angst vor Spritzen hat, halten Sie es auch fest, damit es geimpft werden kann. Oder wenn ein Kind auf die Strasse rennen will, ziehen Sie es zurück, damit kein Unfall passiert. In diesen Fällen wenden Sie «legitime» Gewalt an, um das Kind zu schützen. Da müssen wir klar unterscheiden.
Manche Eltern finden, dass ein «kleiner Klaps zwischendurch» nicht schadet. Hetzen Sie nun die Polizei auf die?
Nein. Weder das Parlament, das dieses Gesetz verlangt hat, noch ich selbst wollen, dass Eltern kriminalisiert werden. Deshalb halten wir es im Zivilgesetz fest. Das Gesetz setzt aber dennoch ein klares Signal, dass Gewalt nicht einfach banalisiert werden darf. Es soll nicht die Art und Weise sein, wie man Kinder erzieht! Kommt hinzu, dass es bei vielen Eltern nicht bei einem Klaps bleibt – leider. In solchen Fällen müssen wir in das Familienleben eingreifen.
Ihnen selbst ist bei Ihren Kindern nie die Hand ausgerutscht?
Nein. Aber ich habe meine Söhne durchaus energisch von einem hohen Baum runtergeholt, wenn sie dort hochkletterten und sich in Gefahr befanden.
Was empfehlen Sie Eltern in einer heiklen Situation, um Gewalt zu vermeiden?
Ich mache ja keine Familienberatungen. Aber wenn man in einer Krisensituation merkt, dass man wütend wird, kann man sich auch einmal zurückziehen oder das Kind für ein paar Minuten zum Spielen ins Kinderzimmer schicken, damit man sich beruhigen kann. Oder vielleicht hilft ein Gespräch mit dem Partner, um herunterzufahren. Aber fragen Sie meinen Mann, er hat bei unseren Söhnen mehr Erziehungsarbeit geleistet. (lacht)
Aktuell beschäftigt vor allem das Banken-Beben rund um die Credit Suisse die Politik. Müsste der Bund seine staatlichen Garantien nicht an zusätzliche Bedingungen knüpfen, etwa den Erhalt von Arbeitsplätzen?
Wir haben mit Notrecht eingegriffen, um den Kollaps der Credit Suisse zu verhindern und den Finanzplatz Schweiz zu schützen. Notrecht können wir nur darauf anwenden, was wir als zwingenden Schutzbedarf erachten. Weitergehende Bedingungen wären rechtlich fraglich. Deshalb kann der Bund auch keine Vorgaben zum Beschäftigungsbereich machen. Das müssen wir den Unternehmen überlassen.
Wie werten Sie die Rückkehr von Sergio Ermotti an die UBS-Spitze?
Ich kenne ihn nicht persönlich, aber er ist in der Bankenwelt anerkannt. Er hat die UBS während vieler Jahre geprägt.
Haben Sie eigentlich wie Ihre Kollegin Karin Keller-Sutter auch ein Konto bei der CS?
Nein, ich bin bei der jurassischen Kantonalbank.
Und würden Sie eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) zur CS-Krise begrüssen?
Diese Entscheidung liegt einzig beim Parlament.