Gesundheit
Pflegeheimbewohner erhalten laut Studie im Schnitt neun Medikamente

Eine Bewohnerin oder ein Bewohner in einem Schweizer Pflegeheim erhält im Durchschnitt 9,3 Medikamente gleichzeitig pro Tag. Dies haben Forscher der Universität Basel und des Universitätsspitals Basel auf Basis von Zahlen der Krankenkasse Helsana errechnet.
Publiziert: 20.11.2017 um 14:59 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 15:10 Uhr
Alltag im Pflegeheim: Ein Zivildienstleistender im Schlössli Biel im Gespräch mit einer pflegebedürftigen Patientin. (Themenbild)
Foto: KEYSTONE/CHRISTIAN BEUTLER

Die Forscher hatten anonymisierte Helsana-Abrechnungen vom 1. April 2016 bis zum 30. Juni 2016 hochgerechnet. Die Ergebnisse sind im von Helsana am Montag im Internet veröffentlichten Arzneimittelreport 2017 zu finden. Darüber berichtet haben die Zeitungen «Tages-Anzeiger» und «Der Bund» in ihren Montagsausgaben.

Pflegeheimbewohner konsumieren mehr Medikamenten

Die Forscher verglichen den Konsum von krankenkassenpflichtigen Medikamenten der Pflegeheimbewohner mit jenem der über 65-Jährigen, die zu Hause lebten. Letztere nahmen mit im Durchschnitt 5,6 vier Arzneimittel weniger pro Tag ein, wie es in der Studie heisst.

Die Forscher haben errechnet, dass 85,5 Prozent der Pflegeheimbewohner fünf oder mehr Medikamente einnehmen. Gerade Menschen in Pflegeheimen leiden oft an mehreren chronischen Erkrankungen gleichzeitig.

Gefahren bei älteren Menschen

Doch der hohe Medikamentengebrauch berge Gefahren und sei nicht immer der richtige Weg in der Altersmedizin, warnen die an der Studie beteiligten Wissenschaftler.

Gerade bei älteren Menschen sei die Mehrfach-Medikation, die Polypharmazie, mit einem erhöhten Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAWs) sowie für Spitalaufenthalte verbunden. Auch steige das Sterberisiko.

Ältere Menschen bauen die Wirkstoffe im Körper langsamer ab. Die Wirkstoffe können «im Körper akkumulieren und somit zu dosisabhängigen Nebenwirkungen und Intoxikationen führen».

UAWs können auch als neues Symptom fehlinterpretiert werden. Die Folge: weitere Medikamente würden verschrieben. Es entstehe eine sogenannte Verschreibungskaskade.

Viele Medikamente haben stärkere Nebenwirkungen

Sorgen bereitet den Forschern, welche Medikamente in den Heimen gebraucht werden. So wird der Wirkstoff Quetiapin eingesetzt, der von Swissmedic nur zur Behandlung der Schizophrenie und bei bipolaren Störungen zugelassen ist.

«Bei älteren Patienten wird der Wirkstoff aber auch häufig beim Delir, bei Unruhe oder Schlafstörungen kurzfristig eingesetzt», also nicht wie in der Schweiz zugelassen, heisst es im Arzneimittelreport.

Zugelassen zur Delir-Behandlung ist ein anderes Medikament, doch dieses hat stärkere Nebenwirkungen als sehr niedrig dosiertes Quetiapin. Da Delir eine Sterblichkeitsrate von 30 Prozent habe und die Patienten unter Verwirrtheit, oft verbunden mit Demenz, litten, bestehe «aus der Sicht des Arztes» ein «erheblicher Behandlungsdruck».

Spätestens nach vier Wochen, sollte Quetiapin Schritt für Schritt abgesetzt werden, so die Empfehlung. Wird der Wirkstoff zu lange eingesetzt, drohten UAWs.

Die Helsana-Zahlen deuten darauf, dass Quetiapin häufig als Langzeitmedikament eingesetzt werden: Die Gesamtbezüge seien seit 2013 um 40,6 Prozent auf 136‘027 im letzten Jahr angestiegen, heisst es.

Quetiapin zählt zu den im Alter potentiell inadäquaten Medikamenten (PIM) und sollte vermieden werden. In Pflegeheimen wiesen 2016 79,1 Prozent aller Bewohner mindestens einen Bezug eines Medikaments mit einem PIM-Wirkstoff auf.

In diese Kategorie fallen vier der 15 laut gemäss Arzneimittelreport am häufigsten bezogenen Wirkstoffen. Neben dem Quetiapin waren dies das Antirheumatikum Diclofenac sowie das Benzodiazepin-Analogon Zolpidem und das Benzodiazepin Lorazepam.

Die beiden letzten Mittel werden als Schlaf- und Beruhigungsmittel eingesetzt. Rund 30 Prozent der Heimbewohner nahm eines der beiden Mittel ein. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass viele davon Langzeitkonsumenten waren. Sie warnen, Benzodiazepine und Benzodiazepin-ähnliche Wirkstoffe führten zu schlechteren Gedächtnisleistungen und zu Stürzen - im Alter sind oft Knochenbrüche die Folge.

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