Stellenstreichungen bei Volkswagen
Die Elektroautos sind nicht schuld

Krise bei VW: Dem Konzern fehlt der Absatz von 500'000 Autos in diesem Jahr. Die Zeichen stehen auf Sturm. Aber wer jetzt die Schuld beim Kurswechsel auf E-Mobilität sieht, denkt zu kurz.
Publiziert: 10.09.2024 um 06:15 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2024 um 06:47 Uhr
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Krise beim VW-Konzern: Laut Finanzchef Arno Antlitz hat er rund 500'000 Autos zu wenig in diesem Jahr verkauft – die Kapazität von zwei Werken.
Foto: Zvg

Auf einen Blick

  • VW kündigt Beschäftigungsgarantie bis 2029 auf
  • Entlassungen und Werksschliessungen möglich
  • Probleme bestehen nicht erst seit heute
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Andreas FaustLeitung Auto & Mobilität

So schnell kanns vorbei sein mit demonstrativer Geschlossenheit. Noch vor den Sommerferien feierten VW-Betriebsratchefin Daniela Cavallo (49) und VW-Markenchef Thomas Schäfer (54) einträchtig 50 Jahre Produktionsbeginn des einstigen Konzern-Bestsellers Golf. Doch seit dieser Woche zerreissen neue Sparpläne der Konzernleitung den lange mühevoll aufrecht gehaltenen Zusammenhalt.

Ende 2023 wurden mit Zutun des Betriebsrats Massnahmen zur Renditeverbesserung bei VW mit Einsparungen von 10 Mrd. Euro bis 2026 beschlossen. Doch die reichen nicht aus. Am 2. September kündigte die Konzernleitung unter CEO Oliver Blume (56) – gleichzeitig auch Chef der Konzernmarke Porsche – die Beschäftigungsgarantie bis zum Jahr 2029 auf. Diese hätte betriebsbedingte Kündigungen bis zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen. Jetzt sind Entlassungen ebenso möglich wie die Schliessung ganzer Werke in Deutschland – eins dürfte sicher zugesperrt werden, aber besser wären zwei, bezogen auf den Gesamtkonzern. «Es fehlen uns die Verkäufe von rund 500'000 Autos, die Verkäufe für rund zwei Werke», sagte Konzern-Finanzvorstand Arno Antlitz (54) an einer Betriebsversammlung: Zwei Jahre habe der Konzern noch zum Umsteuern.

Elektroflaute trifft VW massiv

Cavallo, in ihrer Funktion auch Aufsichtsratsmitglied, ging sofort auf die Barrikaden. Mit ihr werde es keine Werkschliessungen geben. Sie sieht das Problem nicht beim Produktionsstandort Deutschland: «Volkswagen krankt daran, dass der Vorstand seinen Job nicht macht.» So fehlten neue Modelle im Volumen-Segment und eine konzernübergreifend optimale Auslastung der Werke. Vor allem bei günstigen Elektromodellen ist VW schwach aufgestellt: Der geplante ID.2 soll 2026 bei den Händlern stehen, ein möglicher ID.1 unter 20'000 Franken noch deutlich später. Dennoch musste der kleine Elektro-VW Up wegen neuer EU-Richtlinien bereits eingestellt werden.

Gleichzeitig herrscht aktuell sowieso Flaute beim Elektroauto-Absatz in Europa: In der Schweiz sank der Stromeranteil bei den Neuwagen im August nur um einen Prozentpunkt, in Deutschland aber um über 17 gegenüber dem Vorjahresmonat. Weil der VW-Konzern nach dem Dieselskandal von 2015 radikal auf Kurs Elektromobilität umsteuerte, trifft ihn die Elektroskepsis der Kundschaft besonders hart. Entsprechend laut wird nun die Kritik an der Transformation: Die Konzentration auf Stromer unter Ex-CEO Herbert Diess (65) habe VW in die Abhängigkeit getrieben – und damit in die Krise.

VW produziert zu teuer

Dabei stecken die Probleme viel tiefer. Denn die Konzernmarke VW bleibt nicht erst seit der Lancierung der E-Modelle ID.3 und ID.4 hinter den Erwartungen zurück. Blume fordert 6,5 Prozent Marge bis 2026, aktuell liegt VW bei 2,3 Prozent. Schaut man zehn Jahre zurück, waren es gar nur 2,1 Prozent. Schon 2016 legte der Konzern daher ein Streichprogramm auf für den Abbau von weltweit 30'000 Stellen bis 2025 durch Vorruhestands- und Teilzeitregelungen. Am Kosten- und Effizienzproblem bei VW hatte sich auch Diess die Zähne ausgebissen: 2021 dachte er laut über den Wegfall von 30'000 Jobs im Stammwerk Wolfsburg nach – der Anfang seines Endes, weil er von Belegschaft bis Aufsichtsrat alle gegen sich aufbrachte.

Lange konnte der Konzern die Schwäche seiner Kernmarke aber auch verdecken. Rekordjahr folgte auf Rekordjahr; selbst der Dieselskandal verursachte nur eine kleine Delle. Vor allem die Cashcow Porsche, aber auch der Aufstieg Skodas zur heute viertgrössten Marke Europas spülten Geld in die Kassen. Heute liegt die Skoda-Marge bei 8,5 Prozent – trotz Elektroautos und mit dem gleichen Technikbaukasten als Grundlage der Modelle wie bei VW.

Das Führungskarussell rotiert

Wieder einmal tauscht VW-CEO Oliver Blume (56) Führungspersonal aus. Dabei folgt der VW-Chef dem bekannten Muster: Auf die medial sehr präsente Hildegard Wortmann (57) folgt als Audi-Marketingvorstand Marco Schubert – ein Porsche-Mann wie Blume. Seit seinem Amtsantritt hat der Konzernchef sukzessive die Führungsmannschaft seines Zweit-Unternehmens auf Konzernebene in Schlüsselressorts eingebunden. Die Konzernentwicklung leitet zum Beispiel Porsche-Chefentwickler Michael Steiner, aufs Erscheinungsbild der Konzernmarken hat Porsches oberster Designer Michael Mauer ein Auge.

Und nicht nur VW tauscht aus: Auch bei Stellantis werden Stühle neu zurechtgerückt. Und Polestar, die finanziell angeschlagene Nobelmarke im chinesischen Geely-Konzern, versucht den Umschwung mit Ex-Opel- und Vinfast-Chef Michael Lohscheller (55) als neuem CEO.

Wieder einmal tauscht VW-CEO Oliver Blume (56) Führungspersonal aus. Dabei folgt der VW-Chef dem bekannten Muster: Auf die medial sehr präsente Hildegard Wortmann (57) folgt als Audi-Marketingvorstand Marco Schubert – ein Porsche-Mann wie Blume. Seit seinem Amtsantritt hat der Konzernchef sukzessive die Führungsmannschaft seines Zweit-Unternehmens auf Konzernebene in Schlüsselressorts eingebunden. Die Konzernentwicklung leitet zum Beispiel Porsche-Chefentwickler Michael Steiner, aufs Erscheinungsbild der Konzernmarken hat Porsches oberster Designer Michael Mauer ein Auge.

Und nicht nur VW tauscht aus: Auch bei Stellantis werden Stühle neu zurechtgerückt. Und Polestar, die finanziell angeschlagene Nobelmarke im chinesischen Geely-Konzern, versucht den Umschwung mit Ex-Opel- und Vinfast-Chef Michael Lohscheller (55) als neuem CEO.

Erholung läuft nicht schnell genug

Weil die Markterholung in Europa nach dem Einbruch der Corona-Krise nicht so rasant erfolgt wie erwartet, treiben Überkapazitäten in der Produktion nun die Kosten nach oben. Dass VWs China-Geschäft unter Druck steht, hilft ebenfalls nicht: Im Jahr 2020 war noch jeder fünfte Neuwagen auf dem grössten Automarkt der Welt ein VW, 2023 lag der Anteil noch bei 14,5 Prozent.

Die Lösung? Abbau der Überkapazitäten im ganzen Konzern und Optimierung der Auslastung der einzelnen Werke. Schon auf der Kippe steht das Audi-Werk in Brüssel, weil die China-Nachfrage nach dem dort produzierten Audi Q8 E-Tron eingebrochen ist. Bei VW dürfte eines in Deutschland zugehen. Bangen müssen vor allem die Mitarbeitenden in den Komponentenwerken Chemnitz, Osnabrück und Salzgitter.

Kommt die Viertagewoche?

Alternativen? Branchenanalysten schlagen vor, das voraussichtliche Defizit von rund fünf Milliarden Euro in der Konzernkasse aus dem 180-Mrd.-Euro-Topf zu füllen, der für Forschung und Entwicklung eingeplant ist. Stephan Weil (65), Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Niedersachsen, das ein Fünftel der VW-Stimmanteile hält, würde lieber auf die Viertagewoche zurückgehen, die Anfang der 1990er-Jahre schon einmal half, den Konzern auf Kurs zu bringen. Die Gewerkschaft IG Metall hat sich dem inzwischen angeschlossen. Weil dürfte sich für eine schnelle Lösung einsetzen: 2027 muss er sich Neuwahlen stellen.

Aber als wäre all das noch nicht genug, reckt quasi zeitgleich auch der Geist der VW-Vergangenheit sein Haupt ins Blitzlichtgewitter. Ex-Konzernchef Martin Winterkorn (77) steht in Braunschweig (D) wegen seiner Rolle im VW-Dieselskandal vor Gericht. Vorgeworfen werden ihm Betrug, Marktmanipulation und Falschaussage; Winterkorn weist alles von sich. Bis September 2025 soll der Prozess dauern. Begleitmusik zur Krise.

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