Software, Stromer und China: Diese Probeme muss CEO Oliver Blume lösen
Wie VW wieder auf Kurs kommen will

Absatzprobleme in China, Verzögerungen neuer Modelle und die Dauerbaustelle Auto-Software: Der VW-Konzern wird auf dem Weg in die emissionsfreie Mobilität derzeit an allen Ecken und Enden ausgebremst. Viel Arbeit für den Konzernchef.
Publiziert: 28.07.2024 um 10:58 Uhr
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Seit seinem Amtsantritt im September 2022 befindet sich Oliver Blume, CEO des Volkswagens-Konzern, im konstanten Krisenmodus.
Foto: zvg.
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Andreas FaustLeitung Auto & Mobilität

Jahrzehntelang war der VW-Konzern ein Hort der Stabilität. Unbeirrbar und manchmal starrsinnig auf Kurs, aber konstant. Doch in den letzten zehn Jahren wirbelte kaum ein Unternehmen der Autobranche derart häufig Personaltableau und Organigramm durcheinander. Vier Vorstandsvorsitzende in zehn Jahren, allein bei Audi drei unterschiedliche CEOs innert fünf Jahren. Oft hatte man sich gerade den Namen einer Managerin gemerkt, da spülte es sie schon wieder weg. Doch jetzt erhält VW-Markenchef Thomas Schäfer (54) nach drei Jahren Amtszeit gleich einen neuen Fünfjahres-Vertrag. So viel Kontinuität war lange nicht mehr in Europas grösstem Autokonzern.

Und sie ist wohl auch nötig. Denn sonst ist nichts mehr sicher in der Branche. Kunden-Kaufverhalten, politische Entscheidungen, neue Konkurrenten, rasanter Technik-Wandel: Wo die Autoindustrie einst sich auf Jahre hinaus festlegen konnte, muss heute oft nach Monatsfrist umgesteuert werden. Wenn auch noch die Shareholder den Aktienkurs monieren, kann leicht schlechte Stimmung aufkommen – wie an der Hauptversammlung des VW-Konzerns im März. Trotz solider Geschäftszahlen für 2023 beklagten Aktionäre ein Jahr der Kursstagnation.

Das Ziel CO₂-Neutralität steht

Die Börse bewertet die Zukunft eines Unternehmens. Und der stehen im Fall VW derzeit einige Herausforderungen im Weg. Konzern-CEO Oliver Blume (56) ist gefordert – und das gleich doppelt als Konzernchef und Porsche-Boss. Definiert ist das Fernziel für den gesamten Konzern: Bis 2030 soll der CO₂-Fussabdruck je Auto im Lebenszyklus um 30 Prozent gegenüber 2018 reduziert werden – auch dank eines Stromer-Anteils von 50 Prozent. Im Jahr 2026 soll das letzte Verbrenner-Modell starten, bis 2033 die Produktion von Benzin- und Dieselmotoren auslaufen, 2040 die Modellpalette nahezu emissionsfrei sein und ab 2050 dann der gesamte Konzern. Gleichzeitig sollen sich Umsatz und Profit vom blossen Autoverkauf hin zu Software-basierten Services verschieben. Doch gefährden gleich drei Flauten diese Zielsetzung.

Stichwort Elektro-Flaute: Weltweit wird zwar ein Anstieg der Stromer-Verkäufe von 14 Millionen 2023 auf 17 Millionen Fahrzeuge prognostiziert. Aber in Europa lassen hohe Anschaffungspreise und die Unsicherheiten bezüglich des Verbrenner-Verbots ab 2035 viele Kundinnen lieber zu Benziner- und Hybrid-Modellen greifen. Zumal bei den Stromern eine Lücke im VW-Programm klafft: Stellantis oder Renault bieten in Europa bereits Elektroautos unter 25'000 Euro an; auch chinesische Newcomer haben entsprechende Modelle.

Mini-Stromer: Kooperation vom Tisch

Es klang nach einer guten Idee: VW braucht dringend einen kleinen Günstigstromer, Renault suchte einen Partner für die nächste Generation des Renault Twingo (Bild) für 2026. Doch die Gespräche über einen gemeinsam entwickelten Kleinstwagen auf Renault-Basis scheiterten: «Eine verpasste Gelegenheit», bedauerte Renault-Chef Luca de Meo, der gegen die Konkurrenz aus China immer wieder solche Kooperationen in Europa fordert. In Europa gelinge nicht, was in China gelänge – Technologie und Investitionen zwischen den Autobauern zu teilen. VW plant nun die Entwicklung eines eigenen ID.1 unter 20'000 Euro, der aber gut zwei Jahre später kommen dürfte.

Es klang nach einer guten Idee: VW braucht dringend einen kleinen Günstigstromer, Renault suchte einen Partner für die nächste Generation des Renault Twingo (Bild) für 2026. Doch die Gespräche über einen gemeinsam entwickelten Kleinstwagen auf Renault-Basis scheiterten: «Eine verpasste Gelegenheit», bedauerte Renault-Chef Luca de Meo, der gegen die Konkurrenz aus China immer wieder solche Kooperationen in Europa fordert. In Europa gelinge nicht, was in China gelänge – Technologie und Investitionen zwischen den Autobauern zu teilen. VW plant nun die Entwicklung eines eigenen ID.1 unter 20'000 Euro, der aber gut zwei Jahre später kommen dürfte.

Kleine Stromer sind dringend

Nicht aber VW. Der geplante ID.2 kommt 2025, der kleinere ID.1 unter 20'000 erst 2027, nachdem VW eine mögliche Kooperation mit Renault für einen Mini-Stromer abgesagt hat. In dieser Kooperation hätten sich beide Konzerne kostenseitig auf die Finger schauen können: Denn die bisherigen Mini-Modelle von VW – Lupo, Fox oder Up – gerieten immer teurer als anfänglich geplant. Doch das kann sich VW für einen Budget-Stromer nicht leisten.

Ausserdem verzögert sich die Entwicklung einer neuen Plattform namens SSP, auf der künftig alle E-Modelle im Konzern stehen sollen. So wird der ID.4 wohl erst 2029 einen Nachfolger erhalten. Zusätzliche Kosten drohen im Werk Brüssel: Wegen geringer Nachfrage könnte der dort gebaute Elektro-SUV Q8 E-Tron im kommenden Jahr eingestellt werden. Dem unrentablen Werk droht dann die Schliessung – und dem Konzern Kosten von rund 1,7 Milliarden Euro.

Schneller, lokaler, elektrischer

Stichwort China-Flaute: Seit 1984 hat die Marke VW in China rund 50 Millionen Autos verkauft – das Land wurde wichtiger als der Heimmarkt Deutschland. Doch seit 2020 ist der VW-Marktanteil von rund 20 Prozent auf 14,5 Prozent 2023 gesunken. Die Hälfte aller Neuwagen in China werden von heimischen Marken geliefert, beim Stromer-Absatz liegt VW deutlich hinter BYD. Blume will nun auf «China-Speed» umschalten: Neue lokal gestylte und entwickelte Modelle aus einem neuen Entwicklungszentrum mit 3000 Mitarbeitenden sollen die Vorlieben chinesischer Kunden besser berücksichtigen. Die Entwicklungszeiten sollen von 50 auf unter 36 Monate verkürzt werden – auch als Vorbild für die Ingenieure in Europa. Und in Kooperationen mit chinesischen Konzernen wie Xpeng und SAIC soll die Software im Auto so optimiert werden, dass sie auch in China gefällt.

Das führt gleich zum dritten Problemfeld, der Software. Blume-Vorgänger Herbert Diess (65) träumte von einer VW-eigenen Software-Plattform, einheitlich für alle Modelle. Entwickeln sollte sie ab 2019 die neue Konzerntochter Cariad. Nicht zuletzt Probleme der Softwareentwicklung verzögerten den Start von Audi Q6 E-Tron und Porsche Macan um rund zwei Jahre. Beide Marken wollen jetzt künftig in Kooperation mit dem US-Anbieter Applied Intuition eigene Software entwickeln. Interne Konkurrenz erwächst Cariad auch in den chinesischen Kooperationspartnern – und im US-Elektro-Start-up Rivian. Dessen Elektro-Pick-up R1T fuhr allein 2023 rund 5,7 Milliarden Dollar Verlust ein. Der VW-Konzern will nun bis zu fünf Milliarden Dollar zuschiessen und im Gegenzug auf Rivians Technologie und Software zurückgreifen.

Auch Porsche wird gebremst

Jetzt tut sich noch eine Fallgrube auf, die Blume bisher umtänzeln konnte: Der Rendite-Riese Porsche legte in den letzten Jahren ein Rekordjahr nach dem anderen hin, Blume konnte sich auf seinen Konzernjob konzentrieren. Doch dann überflutete die Rhone im letzten Juni die Werke Siders VS und Chippis VS der Alu-Zulieferer Constellium und Novelis – der Lieferausfall dürfte Porsche ein bis zwei Prozent Rendite und gut zwei Milliarden Euro Jahresumsatz kosten. In China brach zudem der Absatz im ersten Halbjahr 2024 um ein Drittel ein. Zahlreiche Modellwechsel 2024 treiben die Kosten in die Höhe. Und dann wurde mit Varta ausgerechnet der Lieferant des Batteriepakets im neuen Vorzeigemodell 911 GTS zum Sanierungsfall.

An der Konzern-Hauptversammlung im März betonte Blume noch, er habe nicht vor, an seiner Doppelrolle etwas zu ändern: Ein Konzernchef solle auch eine Marke führen. Aber ob das so bleiben wird?

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