Er ist das erste neue Modell eines noch jungen Unternehmens: Der Daimler-Konzern hat sich nach der Ausgliederung der Lastwagen-Sparte gerade frisch in Mercedes-Benz Group umbenannt. Und der Mercedes EQE könnte für die Marke zu einem der wichtigsten Autos überhaupt werden. Denn die Konkurrenz ist in der elektrischen Oberklasse noch dünner als erwartet.
Tesla hat zwar sein in die Jahre gekommenes Model S. Doch das wars auch schon: Porsche Taycan oder Audi E-Tron GT sind deutlich sportlicher positioniert und dürften mitunter das Doppelte kosten. Der BMW i4 fährt eine Klasse tiefer und der neue Audi A6 E-Tron braucht ebenso wie der elektrische 5er-BMW der kommenden Generation noch Zeit. Freie Bahn also für den Mercedes EQE 350.
Stromer vor Verbrenner
Der EQE hat auch ein gutes Jahr Vorsprung zur kommenden Mercedes E-Klasse, die Anfang 2023 ihre Premiere feiern dürfte. Wirtschaftlich war sie immer eines der wichtigsten Benz-Modelle. Doch CEO Ola Källenius wiederholt nun regelmässig, dass die Mercedes-Zukunft rein elektrisch sei. Und so kommt dem EQE deutlich mehr Bedeutung zu als der Verbrenner-E-Klasse, die dann doch wie aus der alten Welt in eine neue einrollt.
Nachdem er schon das neue Marken-Flaggschiff EQS auf den Weg bringen durfte, musste Entwickler Christoph Starzynski beim EQE gleich wieder ran. Denn beide Modelle teilen sich die Plattform – der EQE ist quasi eine kleine Elektro-S-Klasse. «Wir wollten dem EQE einen etwas anderen Charakter als dem grösseren EQS geben», sagt Starzynski, «er soll das engagiertere, handlichere und auch direktere Auto sein und dem Fahrer entsprechend mehr Fahrspass bieten.»
Gleiches Cockpit, etwas weniger Platz
Die Verwandtschaft zwischen dem 4,95 Meter langem EQE und dem grösseren EQS ist offensichtlich. Armaturenbrett, Sitze, Bedienung und die grossen Displays für Fahrer, Beifahrer und Infotainment in der Mitte kennt man schon. Nur das Platzangebot im Fond ist deutlich kleiner, aber durch den langen Radstand dennoch üppiger als in Verbrenner-Modellen. Unter der elektrischen Heckklappe gibt es 430 Liter Ladevolumen.
Derzeit spult Starzynski mit dem 292 PS (215 kW) starken Hecktriebler EQE 350 die letzten Abstimmungskilometer ab. Und wir dürfen mit. Erster Eindruck: irgendwie schwebend, weil Luftfederung und Hinterachslenkung die zwei Tonnen schwere Oberklasse-Limo wendig kurven und geschmeidig federn lassen. Dennoch muss der EQE Abstand zum EQS halten: Das hoch automatisierte Fahren der Stufe drei bleibt bis auf weiteres dem EQS und der S-Klasse vorbehalten – obwohl der EQE auch zum Langstreckengleiter taugt. Bloss am Stammtisch bedeutsam, wird statt bei 250 schon bei 210 km/h abgeriegelt. Und beim Nachladen fährt der EQE noch in der zweiten Reihe – zunächst gibts nur 170 Kilowatt (kW) Ladeleistung, während mancher Konkurrent mit über 200 kW unterwegs sein wird.
Bis zu 600 Kilometer
Trotzdem reicht das, um die nächsten 200 Kilometer innert 15 Minuten zu laden. Komplett gefüllt, soll der Akku mit 90,6 Kilowattstunden (kWh) Netto-Kapazität über 600 Kilometer Reichweite ermöglichen. Damit rückt auch der EQE in dieser Disziplin Tesla auf die Pelle. Schweizer Preise stehen noch nicht fest.
Beim EQE 350 mit Hinterradantrieb wird es nicht bleiben. Zeitnah wird das Angebot um den wohl deutlich wichtigeren Allradler ergänzt und grössere Brüder wie der EQE 450 und ein EQE AMG 53 wird es nach EQS-Vorbild ebenfalls geben. Aussen vor bleiben aber Kombiversion und Taxivariante. Beides wäre für Mercedes ein zu grosser Schritt zurück in die alte Welt.