Beifahrer Andy verdreht gespielt die Augen. «Nicht schon wieder», sagt er und greift zum Türgriff. Langsam kommen die zwei Streifenpolizisten im Rückspiegel näher. Waren wir zu schnell? Falsch überholt? Wir doch nicht – oder doch?
Ganz ehrlich: Wundern würde es nicht. «Einfach einlenken...», unterband Andy auf den letzten Kilometern jedes Anbremsen einer Kurve, weil so ein Bugatti Chiron Super Sport derart glatt und stabil um die Ecke pfeilt, dass man auch auf schmalen französischen Landstrassen einfach den Schwung mitnehmen kann. Fühlte sich langsam und sicher an, aber dennoch stand der Tacho irgendwo zwischen 80 und 90. Oder vielleicht doch mal etwas höher?
Mehr Bugatti geht derzeit nicht
Der Super Sport ist die Krönung des aktuellen Chiron. Genau 500 Exemplare der aktuellen Baureihe wird Bugatti in seiner Manufaktur im elsässischen Molsheim (F) fertigen, inklusive aller Derivate – und kein Stück mehr. Die Normale-Chirons – wenn man das sagen kann – sind längst zur Produktion eingeplant; nur noch 40 Slots sind für die Giga-Chirons reserviert – den Pur Sport und den Super Sport.
Super? Sport? Als ob ein normaler Chiron langsam wäre. Aber Bugatti bürstet sein auf bloss 30 Exemplare limitiertes Topmodell voll auf absolute Highspeed: Sein Sechszehn-Zylinder in W-Form – als würden vier Vierzylinder auf eine Kurbelwelle wirken – liefert 100 PS mehr dank grösseren Turboladern als beim 1500 PS starken Basis-Chiron. Der Super Sport wiegt 50 Kilogramm weniger und streckt sich 25 Zentimeter länger in den Wind, weil die Aerodynamik auf die abgeregelte Höchstgeschwindigkeit von 440 km/h angepasst werden musste. «Spoiler drücken das Heck auf die Strasse, aber bremsen gleichzeitig auch ab. Da muss man die Balance finden, wenn so hohes Tempo drinliegen soll», erklärt Andy, als wir in Molsheim vom Hof rollen.
Surfen auf der Drehmomentwelle
Er muss es wissen. Andy Wallace gewann 1988 auf Jaguar die 24 Stunden von Le Mans, fährt jetzt privat elektrisch («So entspannend. Und ich mache immer genug Pausen.») und bringt ansonsten Bugattis ans Limit. Vor zwei Jahren sogar buchstäblich, als er in einem Super-Sport-Prototypen auf einem VW-Testgelände als erster mehr als 300 Meilen pro Stunde schnell in einem Serienauto fuhr, also 490,48 km/h. Lagen die 500 nicht drin? «Die Teststrecke war zu kurz», zuckt Andy mit den Schultern. «Zwei, drei Kilometer länger, dann wäre mehr möglich gewesen.» Aber leider habe er auch noch Auslauf zum Bremsen gebraucht.
Raus aus dem Werk. Wer braucht 1600 PS auf öffentlichen Strassen? Klar, niemand. Aber die Drehmomentwoge des Chiron Super Sport macht schon innerorts süchtig. Bei Tempo 50 rollt er locker im sechsten Gang; wahrscheinlich könnte man ihn sogar im vierten schon anfahren. Front anheben per Tastendruck – und schon federt der tiefschwarze Renner wie ein Kleinwagen über die Temposchwelle vor der Primarschule. Lässig.
Reisen? Nur mit Butler fürs Gepäck
Problemlos zirkelt man den Extrabreit-Boliden um die Kreisel. Man könnte mit ihm glatt zum Einkauf fahren, wenn denn mehr als 44 Liter unter die Fronthaube passen würden. Den schnellsten Grand Turismo überhaupt nennt ihn Bugatti, aber für die grosse Reise würde er wohl nur taugen, wenn der Butler im SUV das Gepäck hinterdrein fährt. Bloss hätte er Schwierigkeiten dranzubleiben.
Mehr als Tempo 130 liegt auf keiner französischen Autobahn drin, aber bis dahin darf man mal drauftreten. Runter mit dem Gaspedal auf dem Beschleunigungsstreifen – und augenblicklich presst es mir das Hirn hinten an die Schädelwand. Sorry, Elektro-Fans, aber das hier ist jenseitiger als jeder Tesla. Und tönt knurriger, sägender, fräsender wie kein anderes Auto. Gleich runter vom Pedal, schon für Tempo 100 genügen ja 2,4 Sekunden Vollgas. Fauchend entlassen die vier Turbolader über die Wastegates den Drucküberschuss und beim Runterbremsen vor der Mautstelle über insgesamt 14 Bremskolben stellt sich der Heckflügel zusätzlich rauschend in den Fahrtwind – man will es immer wieder hören.
Antrieb 8,0 l, W16-Zylinder-Benziner mit vier Turboladern, 1600 PS (1176 kW), 1600 Nm@2250–7000/min, 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, Allradantrieb
Fahrleistungen 0–100 km/h in 2,4 s, 0–200 km/h in 5,8 s, 0–300 km/h in 12,1 s, 0–400 km/h in 28,6 s, Spitze 440 km/h (abgeregelt – und das ist auch besser so)
Masse L/B/H = 4,77/2,04/1,21 m, Gewicht 1995 kg, Kofferraum ca. 44 l – aber völlig egal
Verbrauch Werk 23,5 l/100 km, 553 g CO2/km
Listenpreis theoretisch ab ca. 3,5 Mio. Franken – aber wohl alle verkauft
Antrieb 8,0 l, W16-Zylinder-Benziner mit vier Turboladern, 1600 PS (1176 kW), 1600 Nm@2250–7000/min, 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, Allradantrieb
Fahrleistungen 0–100 km/h in 2,4 s, 0–200 km/h in 5,8 s, 0–300 km/h in 12,1 s, 0–400 km/h in 28,6 s, Spitze 440 km/h (abgeregelt – und das ist auch besser so)
Masse L/B/H = 4,77/2,04/1,21 m, Gewicht 1995 kg, Kofferraum ca. 44 l – aber völlig egal
Verbrauch Werk 23,5 l/100 km, 553 g CO2/km
Listenpreis theoretisch ab ca. 3,5 Mio. Franken – aber wohl alle verkauft
Und wie gehts das mit den 440 km/h? «Zuerst anhalten», sagt Andy. Dann die Fahrertür öffnen und im Schweller den Speed-Schlüssel einstecken, mit dem sich der Super Sport scharfstellen lässt – wenn er denn will. Denn vorher prüft das Auto über 20 Parameter – vom Alter der Pneus und ihrem Druck bis zu Position des Fahrzeugs, Temperatur und Seitenwind. «Normalerweise kontrolliert der Drucksensor alle 30 Sekunden die Reifen. Mit Speed-Schlüssel misst er 60 Mal je Sekunde», erklärt Andy. Erst wenn alles OK ist, gibt der Chiron sich selbst ab Zünden des Motors bis zum nächsten Abstellen die 440 km/h frei. Es sei denn, der Fahrer macht eine zu heftige Lenkbewegung – dann ist sofort fertig. Wobei das noch immer maximal 380 km/h bedeutet.
Hier ist nichts mit Luxus
Über Land nervt der Super Sport keine Sekunde, trotz über zwei Metern Breite. Die mögliche Querbeschleunigung in Kurven ist unglaublich, man fühlt die Lenkung millimetergenau und spurtet mühelos an Traktoren vorbei. Vielleicht ein wenig zu mühelos – dieses Auto scheint grenzenlos in seinen Fähigkeiten.
Rechts raus auf einen Wanderparkplatz. Bugattis sind Luxusboliden? Nö. Kein Chrom, kein Wurzelholz im Interieur – mit Rolls-Royce und Co. hat das hier wenig zu tun: Nur Leder und bloss so viele Anzeigen, wie unbedingt nötig. Touchscreen? Unnötig, ebenso wie viele Tasten zur Klimaeinstellung. Dabei hat allein die Klimaautomatik knapp 14 PS Leistung, weil die flachen Glasflächen und der Motor hinter den Sitzlehnen ohne Kühlung das Cockpit zur Sauna machen würden. Alle Anzeigen stecken im winzigen Kombiinstrument, das Navi taugt nur für den Notfall, und vom Radio würde man sowieso nichts hören.
Er merkt sich die Maximalleistung
Die vier metallischen Klimaregler müssen gar noch einen zweiten Job erledigen: Als winzige Displays zeigen sie auf Knopfdruck die Highlights der Fahrt an: Leistung, Drehzahl, G-Kräfte und, äh, Tempo. Letzteres ist voll im Limit, aber die Leistungsanzeige sagt 1612 PS – vom Autobahnspurt eben. Andy will die speziellen Aerodynamik-Bauteile erklären – von den Entlüftungsöffnungen im Kotflügel über den Mega-Diffusor mit senkrecht gruppierten Endrohren bis zum Verstell-Spoiler. Doch dann kommt der Streifenwagen.
Die zwei Gendarmen wollen aber nur gucken, Glück gehabt. Auch wenn man auf Revieren rund um Molsheim Dienst schiebt, sieht man solch einen Bugatti eben doch selten. Ein Foto, «merci», und sie sind weg. Wie bald der Bugatti Chiron Super Sport. Ab 1. November hat Mate Rimac, CEO der gleichnamigen kroatischen Elektroauto-Schmiede, das Sagen und wird wohl alle Zeichen auf Elektrozukunft stellen. Auf der Rückfahrt kann ich nicht anders: Bitte noch einmal das Fauchen der Wastegates.