Der Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (†62) war kein Unfall. Der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Nikolaj Patruschew (72), hatte seine Finger im Spiel. Zu diesem Schluss kommt das «Wall Street Journal» (WSJ) nach Gesprächen mit Vertretern westlicher Geheimdienste, einem ehemaligen russischen Geheimdienstmitarbeiter sowie einem ehemaligen Kreml-Beamten.
Der ehemalige Spion und Wladimir Putins (71) engster Vertrauter soll dem Bericht zufolge den Mord in Auftrag gegeben haben. So soll Patruschew den Präsidenten bereits im Sommer 2022 vor dem wachsenden Einfluss Prigoschins gewarnt haben. Damals hätte Putin die Warnungen jedoch ignoriert, zumal die Wagner-Gruppe im Ukraine-Krieg zahlreiche Erfolge verbuchen konnte.
Wagner-Aufstieg wird für Kreml gefährlich
Den Angaben des russischen Ex-Geheimdienstlers zufolge hatte sich das Blatt im Oktober 2022 gewendet, nachdem sich Prigoschin erstmals in «grober Weise» bei Putin über den Munitionsmangel an der Front beschwert hatte. Dieses Gespräch wurde von Patruschew mitgehört, der es dann nutzte, um Putin zu überreden, sich von Prigoschin zu distanzieren. Seine Begründung: Der Wagner-Boss werde angesichts seines schnellen Aufstiegs gefährlich und respektiere die Autorität des Kremls nicht mehr.
Dem «WSJ» zufolge sei zum Jahresende 2022 klar gewesen, dass Patruschew gewonnen hatte. Denn Putin ignorierte in der Öffentlichkeit Prigoschins Angriffe und Aufforderungen.
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Prigoschins Meuterei war sein Todesstoss
Im Frühjahr 2023 wurden Prigoschins Forderungen und Anfeindungen gegen die Führungskräfte der russischen Armee immer aggressiver.
Nachdem die russische Regierung Anfang Juni 2023 bekannt gegeben hatte, Wagner als Kampftruppe in der Ukraine auflösen zu wollen, damit sich die Kämpfer dem regulären Verteidigungsministerium anschliessen können, riss Prigoschins Geduldsfaden.
Am 23. Juni 2023 kam es zur berühmten Meuterei, als Prigoschin mit seinen Truppen von Rostow am Don aus in Richtung Moskau zog. Rund 200 Kilometer vor der russischen Hauptstadt machte Prigoschin 38 Stunden später halt. Mithilfe von Belarus-Machthaber Alexander Lukaschenko (69) habe eine Einigung mit der Regierung getroffen werden können, hiess es.
Der Mann, der im Hintergrund das Kommando übernommen hatte: Nikolaj Patruschew. Der Sekretär des Sicherheitsrats hatte eine Reihe von Telefonaten organisiert, um Prigoschin zur Beendigung seines «Marsches der Gerechtigkeit» zu bewegen. Auch Lukaschenko als Vermittler mit ins Boot zu holen, war seine Idee. Das Ziel: die bisher grösste Herausforderung für Putin in seinen über 20 Jahren Regierung abzuwehren. Mit Erfolg.
Für Prigoschin sollte die Meuterei aber nicht ohne Folgen bleiben. Als wenige Tage später das Strafverfahren eingestellt und ihm die Ausreise nach Belarus erlaubt wurde, wähnte sich der Wagner-Chef möglicherweise noch in Sicherheit. Doch sein Schicksal war da wohl schon besiegelt.
Putin bewilligt die Mordpläne
Anfang August soll Patruschew seinen Gefolgsleuten den Befehl erteilt haben, mit der Vorbereitung der Operation «Prigoschin eliminieren» zu beginnen. Nach Angaben westlicher Geheimdienstquellen wurden entsprechende Pläne auch Putin vorgelegt. Dieser soll dem Bericht zufolge keine Einwände gehabt haben.
Am 23. August wartete Prigoschin auf einem Moskauer Flughafen, bis der Sicherheitscheck seines Fliegers abgeschlossen wurde. Genau zu diesem Zeitpunkt soll ein kleiner Sprengsatz unter der Tragfläche platziert worden sein.
In St. Petersburg kam Prigoschin nie an. Rund eine halbe Stunde nach dem Abflug aus Moskau stürzte die Privatmaschine vom Typ Embraer Legacy 600 in der Region Twer ab. Alle zehn Personen an Bord, darunter Prigoschin und der Wagner-Gründer Dmitri Utkin (1970 – 2023), kamen ums Leben.
«Er musste entfernt werden»
Wenige Stunden nach dem Vorfall hatte sich ein europäischer Geheimdienstmitarbeiter mit einem Kreml-Beamten in Verbindung gesetzt und nach dem Absturz gefragt. «Er musste entfernt werden», hiess es «WSJ» zufolge.
Der Kreml hatte in der Öffentlichkeit stets jede Verwicklung in den Tod Prigoschins abgestritten. Berichte, dass Putin den Befehl zur Ermordung des Söldner-Chefs erteilt hatte, bezeichnete sein Sprecher Dmitri Peskow (56) als «absolute Lügen».
«WSJ produziert Pulp Fiction»
Im Oktober kam Putin bei einem Auftritt am Waldai-Diskussionsforum auf den Tod von Prigoschin zu sprechen. In den sterblichen Überresten der Absturzopfer seien Granatsplitter entdeckt worden, sagte er. Der Leiter der Untersuchungskommission habe ihn vor wenigen Tagen darüber informiert, dass «Fragmente von Handgranaten» in den Leichen der Absturzopfer gefunden worden seien.
Zugleich versicherte er: «Es gab keine äussere Einwirkung auf das Flugzeug.» Die an Bord anwesenden Wagner-Mitglieder hätten sich während des Flugs betrunken und dabei mit scharfen Granaten hantiert, behauptete Putin. Die Sprengsätze seien schliesslich explodiert und hätten das Flugzeug zum Absturz gebracht.
Auch nach dem Bericht des «Wall Street Journal» bleibt der Kreml bei seiner Version. «Wir haben diesen Artikel gesehen, möchten ihn aber nicht kommentieren. Diese Art von Bericht ist kaum kommentierbar. Leider produziert das Wall Street Journal gerne Pulp Fiction», sagte Peskow. (man)