Wagner ist spätestens seit dem Krieg in der Ukraine die wohl bekannteste Söldnertruppe der Welt. Ihr Anführer, Jewgeni Prigoschin (†62), ist mehr als jeder andere russische General zum Gesicht des russischen Kriegs in der Ukraine geworden. Der russische Präsident Wladimir Putin (70) war lange Zeit stark von Prigoschin und seinen Söldnern abhängig. Seit dem 24. Februar 2022 unterstützte Wagner die regulären russischen Truppen im Krieg.
Am 23. Juni 2023 startete er einen Angriff auf sein Vaterland – vergebens. Genau zwei Monate später, am 23. August 2023, stürzte seine private Maschine nahe Moskau ab. Wer war der Mann, der sich mit Putin angelegt hat?
Vom kriminellen Würstchenverkäufer …
Geboren wurde Prigoschin in der gleichen Stadt wie Putin: Sankt Petersburg, damals noch Leningrad. Nach einer wenig erfolgreichen Karriere als Wintersportler ging es mit dem noch jungen Prigoschin bergab.
Das erste Mal machte er sich als Krimineller einen Namen in der Öffentlichkeit. Im Jahr 1979, im Alter von 18 Jahren, wurde Prigoschin wegen Diebstahls zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Während er noch auf Bewährung war, beging er eine Reihe von Einbrüchen und Raubüberfällen. Ein Gericht verurteilte ihn 1981 zu einer Haftstrafe von 13 Jahren. Er war gerade 20 Jahre alt geworden.
Sowjetische Gefängnisse waren erbarmungslose Orte. Das bestätigt die Kriminologin Laura Piacentini gegenüber dem britischen Magazin «The Economist». Es waren Einrichtungen, die einem System der «unerbittlichen, brutalen, unmenschlichen Gewalt» gewidmet waren. Was seine Zeit im Knast mit Prigoschin gemacht hat, lässt sich nur erahnen.
Bereits nach neun Jahren wurde Prigoschin frühzeitig entlassen. Sein Neuanfang begann nach eigenen Angaben mit dem Verkauf von Hotdogs in Sankt Petersburg. Es war ein lukratives Geschäft, schon bald tauschte er Fast Food gegen Gastronomie. Seine Restaurants waren beliebt. So beliebt, dass sogar der damalige stellvertretende Bürgermeister von Sankt Petersburg dort speiste: Wladimir Putin.
… zu Putins Koch und Vertrautem
Der damalige Lokalpolitiker war allem Anschein nach schwer beeindruckt von Prigoschins Kochkünsten. Putins Aufstieg zur Macht führte Prigoschin in seinen Windschatten. Nachdem Putin im Jahr 2000 zum russischen Präsident gewählt wurde, wurde Prigoschin zum bevorzugten Caterer bei grossen Staatsanlässen.
Diese Rolle brachte ihn in die Nähe des mächtigsten Mannes des Landes, ganz zu schweigen von verschiedenen Staatsoberhäuptern der Welt. Fotografen knipsten ihn, wie er neben dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush (76) oder dem jetzigen britischen König Charles (74) stand.
Diese Position hat Prigoschin den Spitznamen «Putins Koch» eingehandelt. Ein Label, das dem hartgesottenen Prigoschin gar nicht passt, wie er immer wieder selbst bestätigt: «Ich bin nicht Putins Koch, ich kann überhaupt nicht kochen!» Dass er sich nie als Küchenchef, sondern als Feldherr gesehen hat, war schon früh klar.
... zum Boss der Wagner-Söldner
Wie genau es Prigoschin vom Koch und Caterer zum Anführer einer gefürchteten Söldnertruppe geschafft hat, bleibt unklar. Es ranken sich eine Vielzahl von Sagen um seinen militärischen Aufstieg – keine davon hat sich unabhängig bestätigen lassen. Klar ist nur: Putin hat eine wichtige Rolle in dieser Entwicklung gespielt. Lange Zeit wurde zudem Prigoschins Verbindung zur Gruppe Wagner verschleiert.
Laut Recherchen der «New York Times» aus dem Jahr 2017 soll er aber bereits seit 2012 an der Schaffung der privaten Militärorganisation Gruppe Wagner beteiligt gewesen sein – zusammen mit dem russischen Neonazi Dmitri Utkin (53).
Der Auftrag der Gruppe: die «Durchsetzung russischer Interessen in Krisengebieten». Vor allem dann, wenn es für den russischen Staat zu riskant ist, sich offiziell einzumischen. Die Gruppe Wagner ist vor allem auf dem afrikanischen Kontinent aktiv.
... zum Gesicht der russischen Invasion
Spätestens seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 präsentierte sich Prigoschin als Boss der gefürchteten Söldnertruppe. Zu Beginn spielten seine Männer aber nur eine marginale Rolle im Ukraine-Krieg.
Bis im September 2022 Videos von Prigoschin auftauchten, wie er in einem russischen Gefängnishof Rekruten anwirbt. Hunderte von Männern stehen um ihn herum, als er ihnen sagt: «Gott und Allah können euch hier rausholen – in einem Sarg. Ich kann euch hier lebendig herausholen.» Alles, was sie tun müssten, sei für Wagner in der Ukraine zu kämpfen. Er machte ihnen ein Versprechen, dem viele nicht widerstehen konnten: «Ihr werdet unter keinen Umständen ins Gefängnis zurückkehren.»
Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums befanden sich zu einem bestimmten Zeitpunkt rund 50’000 Wagner-Söldner in der Ukraine, vier von fünf von ihnen waren ehemalige Gefangene. Im Januar verkündete Prigoschin, dass seine «Musiker» die Stadt Soledar in der Ostukraine eingenommen hätten.
Im Februar begannen seine Männer, sich an den andauernden Kämpfen um die ostukrainische Stadt Bachmut zu beteiligen. Im Mai schien sich die zehnmonatige Schlacht ihrem Ende zuzuneigen: Wagner verkündete die Einnahme der Stadt. Und beinahe zeitgleich ihren Rückzug aus Bachmut und der Ukraine.
... vom Jäger zum Gejagten
Die Ankündigung Prigoschins, seine Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen und sich wieder auf seine Tätigkeiten in Afrika zu konzentrieren, erfolgten inmitten heftiger interner Auseinandersetzungen zwischen ihm und dem russischen Oberkommando. Wochenlang beschimpfte Prigoschin die russische Militärführung in kurzen Videos. Warf ihnen vor, falsch zu handeln. Zu wenig Munition zur Verfügung zu stellen. Auf voller Linie zu versagen.
Die Schimpftiraden gipfelten in einer offenen Kriegserklärung Prigoschins an die russische Regierung – und er verkündete Ende Mai die Besetzung der russischen Stadt Rostow am Don. Kremlchef Putin reagierte prompt – und schwor Vergeltung, warnte Prigoschin eindringlich. Genützt hat es nichts, Prigoschin stellt am 24. Mai klar: «Wir werden nicht aufgeben!»
Die Meuterei wurde allerdings im Keim erstickt. Prigoschin und seine Wagner-Soldaten mussten nach Belarus ins Exil. Sein Hochmut hatte ihn am Ende sein Ansehen im Kreml gekostet. Und vielleicht auch sein Leben.