Sie nennen ihn Väterchen, doch für den gewalttätigen Patriarch ist dieser Kosename viel zu sanft. Seit 26 Jahren hat Alexander Lukaschenko (66) Belarus fest im Griff, gilt als letzter Diktator Europas. In dieser Zeit hat er sein Land in eine Zombie-Sowjetunion verwandelt mit gefälschten Wahlen, verprügelten Demonstranten und unzähligen Lenin-Statuen. Das lebendige Fossil Lukaschenko gerät aber immer mehr unter Druck. Denn sein Volk hat genug.
Im Corona-Jahr 2020 wurde der Diktator fast gestürzt. Sein Fehler: Er unterschätzte das Virus, sagte dazu: «Sehen Sie Viren herumfliegen? Ich nicht.» Das unsichtbare Virus brachte das ohnehin wirtschaftlich angeschlagene Land an den Rand des Ruins.
Der zweite grosse Fehler: Väterchen unterschätzte die Frauen und rechnete nicht mit ihrem Widerstand: Prompt stellten sie grösste Demokratiebewegung in der Geschichte des Landes auf die Beine. Alt und Jung wehrten sich.
Demonstranten werden im Knast verprügelt
Während Monaten gingen Hunderttausende auf die Strasse, nachdem sich Lukaschenko im für alle offensichtlich gefälschten Resultat 80 Prozent der Stimmen gab. Auf den friedlichen Protest reagierte der Diktator mit Gewalt und Terror. Prügelkommandos knüppelten die Demonstranten nieder, Zehntausende wurden von Polizei und Geheimdienst (KGB) verhaftet. Hunderte wurden verletzt, mehrere getötet. Lukaschenko zeigte sich mit Kalaschnikow, nannte die Menschen auf der Strasse verächtlich Ratten.
Dass verhaftete Demonstranten in Gefängnissen verprügelt werden, gab Lukaschenko höhnisch zu. Student Alexey (23) musste eine Nacht im Folterknast verbringen. Danach war sein Körper mit Hämatomen übersät. «Sie schlugen mit Gummiknüppeln auf meine Beine, anderen wurde auf den Kopf geprügelt und in die Genitalien getreten. Wir mussten rufen, dass Lukaschenko der beste Präsident der Welt sei», sagte er.
Vor der Niederschlagung der Demokratiebewegung war Lukaschenko im Westen mit öffentlichen Beleidigungen aufgefallen. Als ihn der der ehemalige deutsche Aussenminister Guido Westerwelle (1961–-2016) einst «Diktator» nannte, entgegnete der Weissrusse dem homosexuellen Politiker: «Lieber Diktator als schwul.»
Lukaschenko wurde 1954 im 900-Seelen-Ort Kopys im Osten des Landes geboren. Mutter Ekaterina, eine Melkerin, war alleinerziehend. Die Laufbahn bei der Roten Armee endete frühzeitig, es wird gemunkelt wegen psychischer Probleme. Seine grosse Stunde kommt erst, als die Sowjetunion fällt. Lukaschenko gründet eine Partei, verspricht, gegen Armut und die Mafia zu kämpfen. Er wird 1994 zum ersten (und bisher letzten) Präsidenten der Republik gewählt. Seither steht die Zeit still.
Arbeiter rufen «Tritt zurück» und «Hau ab»
Nach 26 Jahren ist es einsam geworden um den Patriarch. Russlands Präsident Wladimir Putin (68), der Westen – und nun auch das eigene Volk: Alle sind zu Lukaschenko auf Abstand gegangen.
Einen Tiefpunkt erlebte er in einer Traktorenwerkstatt. Im August letzten Jahres besuchte der Diktator den Staatsbetrieb, um sich von ausgewählten Arbeitern beklatschen zu lassen. Sie riefen stattdessen: «Tritt zurück» und «Hau ab». Acht endlose Minuten schwitze der Diktator. Und verabschiedete sich mit einem: «Danke, ich bin fertig, ihr könnt jetzt wieder ‹Tritt zurück!› schreien.»
Der Langzeit-Diktator machte dabei aber immer klar: Einen Rücktritt wird es nicht geben. «Ich werde es nicht zulassen, dass unser Land aufgegeben wird, selbst wenn ich tot bin», rief er an einer Rede in Minsk. Das einsame Brutalo-Väterchen hat nur noch einen letzten Trumpf: seine Gummiknüppel-Armee.