Mittwoch vor einer Woche, ein nebliger Tag in Cologny hoch über dem Genfersee. Am futuristischen, in den Hang gebauten Hauptsitz des World Economic Forum hat Blick einen Interviewtermin mit Gründer Klaus Schwab (83). Er ist optimistisch, dass das hochkarätigste Forum der Welt wie geplant Mitte Januar stattfinden kann. Über das Wochenende überschlagen sich die Ereignisse, am Montag sagt er ab – das WEF ist das erste Opfer von Omikron geworden! Den Einstieg des Interviews machen wir neu, diesmal per E-Mail.
Herr Schwab, warum haben Sie das Jahrestreffen abgesagt?
Klaus Schwab: Ich habe unser Gremium von weltweit bekannten Virologen im Hinblick auf die schnelle Verbreitung von Omikron konsultiert. Ihr gemeinsamer Rat an diesem Wochenende lautete, das Jahrestreffen zu verschieben.
Sie hatten strenge Zutrittsregeln geplant: mindestens doppelt geimpft und getestet alle 48 Stunden. Warum reicht selbst das nicht?
Diese Regeln waren geeignet, um der Delta-Variante zu begegnen. Wir wissen aber, dass doppelt geimpft gegen Omikron nicht ausreicht und die Variante einen Booster erfordert. Ausserdem ist die Infektionsrate in der Schweiz zurzeit unter den höchsten weltweit, was nicht gerade Vertrauen geschaffen hat. Viele Länder wie die USA raten derzeit dringend von Reisen in die Schweiz ab.
Muss die Welt nicht lernen, mit dem Virus zu leben – und zwar so, dass sich Menschen trotzdem wieder treffen können?
Ja, wenn wir mit einem Virus leben, das einigermassen erfasst ist und dessen Entwicklung man abschätzen kann. Mit der schnellen Verbreitung von Omikron ist eine neue, unberechenbare Situation gegeben. Wir haben die Verantwortung für die Gesundheit unserer Teilnehmer, Mitarbeiter und der Bevölkerung. Wir können da kein Risiko eingehen.
Es ist die vierte Absage nach Davos im Januar, Bürgenstock im Frühling, und Singapur im Herbst. Ist das Hin und Her nicht etwas peinlich?
Es ist kein Hin und Her, sondern eine Anpassung an die jeweilige Entwicklung, wobei wir immer auf das Beste gehofft haben. Wir sind auch bereit, wenn notwendig, mit grossem Aufwand uns den neuen Realitäten zu stellen.
Sie haben auf Frühsommer verschoben. Wird es in Davos stattfinden oder kommt auch Singapur wieder infrage?
Ja, es wird in Davos stattfinden.
Werden die Hoteliers und Caterer in Davos für den Ausfall entschädigt?
Es handelt sich nicht um eine Absage, sondern um eine Verschiebung, daher besteht nach wie vor die Chance für guten Umsatz für alle Beteiligten. Ansonsten machen wir keine Aussagen zu genauen Vertragsbedingungen mit unseren Partnern.
Hat die Verschiebung auch das World Economic Forum finanziell getroffen?
Eine Verschiebung führt immer zu negativen finanziellen Konsequenzen. Glücklicherweise haben wir in der Vergangenheit Reserven angelegt für solche Sonderfälle.
Sie haben sich langfristig für Davos verpflichtet. Wurde Ihr Appell erhört, mit der Abzockerei aufzuhören?
Die Vorbereitungen für Januar 2022 haben leider einige bedauerliche Ausrutscher gezeigt. Das Davoser Gastgewerbe im Allgemeinen ist jedoch sehr verständnisvoll.
Klaus Schwab wurde 1938 in Ravensburg (D) geboren. Er studierte unter anderem Maschinenbau an der ETH Zürich und erwarb insgesamt fünf akademische Grade. Bis 2002 war er Professor für Unternehmenspolitik an der Universität Genf. 1971 führte er zusammen mit seiner Frau Hilde das erste Weltwirtschaftsforum in Davos durch – insgesamt gab es 50 Ausgaben! Das WEF 2022 musste am Montag wegen Omikron von Januar auf den Frühsommer verschoben werden. Schwab hat zwei erwachsene Kinder und lebt neben dem WEF-Hauptsitz in Cologny bei Genf. Das World Economic Forum beschäftigt über 700 Angestellte in fünf Ländern.
Klaus Schwab wurde 1938 in Ravensburg (D) geboren. Er studierte unter anderem Maschinenbau an der ETH Zürich und erwarb insgesamt fünf akademische Grade. Bis 2002 war er Professor für Unternehmenspolitik an der Universität Genf. 1971 führte er zusammen mit seiner Frau Hilde das erste Weltwirtschaftsforum in Davos durch – insgesamt gab es 50 Ausgaben! Das WEF 2022 musste am Montag wegen Omikron von Januar auf den Frühsommer verschoben werden. Schwab hat zwei erwachsene Kinder und lebt neben dem WEF-Hauptsitz in Cologny bei Genf. Das World Economic Forum beschäftigt über 700 Angestellte in fünf Ländern.
Sie haben auch Ihre Mitglieder ermahnt: Jede Firma müsse sich in mindestens einer Initiative engagieren.
Das World Economic Forum hat seit Beginn der Pandemie 200 Unternehmen als zusätzliche Partner gewonnen, ohne ihnen die Teilnahme in Davos zusichern zu können. Das zeigt: Das Forum ist heute eine Organisation, die in erster Linie auf seine Initiativen fokussiert ist.
Was muss eine Firma leisten?
Wir haben rund 50 Initiativen, zum Beispiele die «First Mover Coalition»: Die Reederei Maersk hat acht grosse, klimaneutrale Cargo-Schiffe bestellt, obwohl diese Technik noch nicht ausgereift ist. Ihre Bestellung beschleunigt die Innovation. Oder Airlines verpflichten sich, bis in fünf Jahren mindestens zehn Prozent ihrer Flugzeuge mit Green-Fuel zu betreiben. Macht das nur eine Airline, hat sie einen Wettbewerbsnachteil, weil es teurer ist. Schliessen sich mehrere zu einer Art Konsortium zusammen, sind die Spiesse wieder gleich lang.
Noch immer dominiert die Pandemie, wie auch die Absage beweist. Wie findet die Welt da hinaus?
Covid-19 muss als eine Herausforderung angesehen werden, die uns langfristig verfolgen wird. Trotzdem bin ich optimistisch, dass wir aus dieser Notlage wieder hinausfinden. Die Epidemie wird nicht verschwinden, doch wir werden lernen, damit zu leben.
Was macht Sie optimistisch?
Unsere Welt geht auf 8 bis 10 Milliarden Menschen zu und ist stark vernetzt. Da wird es auch künftig Pandemien geben. Beeindruckend ist, wie schnell die Welt Produktionskapazitäten für Impfstoffe geschaffen hat: Sie liegt jetzt bei 12 Milliarden Dosen pro Jahr! 2022 sind es vermutlich bereits 20 Milliarden. Das heisst: Jeder Weltbürger könnte 2,5-mal geimpft werden!
Was lernt die Menschheit daraus?
Der Schlüssel ist Widerstandsfähigkeit – medizinische, versorgungstechnische und persönliche Widerstandsfähigkeit. Um diesen Begriff wird sich auch in Davos alles drehen. Die Menschen in der westlichen Welt sind sich Krisen nicht mehr gewohnt. Zwei Sachen bestimmen unsere Zeit: einerseits die grosse Beschleunigung. Innert zehn Jahren erleben wir so viel, wie unsere Vorfahren in hundert Jahren erlebt haben. Andererseits wächst die Komplexität in allen Gebieten. Wer sich bedroht fühlt, denkt immer zunächst an sich. Das ist ein Grund für die Polarisierung unserer Gesellschaft.
Eine praktische Frage zur Pandemie: Sind Sie für eine Impfpflicht?
Ein Staat steht immer vor der Frage, ob die Priorität darin besteht, den Einzelnen vor der Mehrheit zu schützen oder die Mehrheit vor dem Einzelnen. Das ist eine Debatte, die demokratisch ausgetragen werden muss.
Und was, wenn die Spitäler voll sind: Sollten Ungeimpfte hintanstehen?
Man spricht von der Freiheit derer, die sich nicht impfen lassen wollen. Wer redet von den vielen Tausend Personen im Schweizer Gesundheitswesen, die einer Ansteckungsgefahr ausgesetzt werden? Ich war heute beim Zahnarzt: Er trägt eine Maske, ich nicht. Er setzt sich also einem Risiko aus. Wen muss man denn eigentlich schützen? Immerhin zeigt sich derzeit in verschiedenen Ländern, wo sich die Menschen anfänglich nicht impfen liessen, dass sie es jetzt doch tun. Sie haben also nicht eine grundsätzliche Skepsis, sondern handeln opportunistisch.
Man sagte immer: Der Markt regelt alles. Wieso klappt es mit den Lieferketten auch nach fast zwei Jahren Pandemie nicht?
Es sind vor allem medizinische Produkte und Halbleiter betroffen. In der Krise haben die Firmen ihre Produktion heruntergefahren. Gleichzeitig konnten die Menschen kein Geld ausgeben und haben gespart. Jetzt wollen alle kaufen, und die Produktion sowie der Nachschub kommen nicht nach. Bei den Halbleitern gibt es weltweit zudem nur drei Produzenten: Die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company TSMC, Samsung und Intel. In einer solchen Situation kommt der Nationalismus zum Tragen. Jedes Land schaut zuerst für sich.
Was sind die Lehren daraus?
Man wird wieder vermehrt dezentral produzieren, also ein Just-in-Case- statt Just-in-Time-Prinzip. Auch deshalb, weil die Welt in zwei Systeme auseinanderzubrechen droht: Eines wird von China beherrscht, eines von der westlichen Welt.
Ist dieser Kalte Krieg analog zu jenem, der vor mehr als dreissig Jahren zu Ende ging?
Damals war es wirklich ein Kalter Krieg und alles war eingefroren. Heute haben wir einen dynamischen Wettbewerb, bei dem es um die Vormacht im Zeitalter der vierten industriellen Revolution geht.
Was bedeutet der Digitalisierungsschub für unser Arbeitsleben?
Viele stellen sich unter Digitalisierung Massnahmen vor, die das, was wir jetzt schon tun, effizienter machen. Dabei geht es viel weiter. Es bedeutet nicht, Schüler mit Laptops zu unterrichten. Sondern den Stoff digital zu vermitteln und die Lehrer als Coaches einzusetzen. Auch die Universitätsausbildung wird sich wandeln, von einem One-Time-Knowledge-Delivery-System, bei dem einmal im Leben Wissen abgeholt wird, zu einem Lifelong-System.
Was heisst das?
Man wird im Berufsleben nur anerkannt, wenn man seine Fähigkeiten jedes Jahr neu beweist. In Amerika gibt es 11,2 Millionen Arbeitslose, aber mehr als 12 Millionen offene Stellen. Das zeigt das Missverhältnis zwischen den Fähigkeiten, die heute gebraucht werden, und den Fähigkeiten, die die Leute mitbringen.
Wie stark müssen wir uns wegen der Inflation Sorgen machen?
Schauen Sie nach draussen!
Nebel …
Wir wandern im Nebel (lacht). Die Welt hat eine Gesamtverschuldung von 350 Prozent des Bruttosozialprodukts. Mit fast null Prozent Zins konnten alle gut damit leben. Doch wir hinterlassen den künftigen Generationen Schulden und Schäden an der Umwelt.
Wie sollen Unternehmen Rechenschaft über ihre ökologischen Bemühungen ablegen?
Es gibt die sogenannten ESG-Kriterien, die Environmental Social Governance, also Regeln zur Offenlegung darüber, was Unternehmen leisten, auch für die Gesellschaft und die Umwelt. In unzähligen Arbeitsgruppen haben wir 22 Must-Kriterien ausgearbeitet. Die ersten hundert Firmen mit einem Gesamtumsatz von über 1000 Milliarden Dollar wenden diese nun freiwillig an. Unternehmen müssen nicht nur Wohlstand generieren, sie sind auch eine sozialer Organismus. Das ist die grosse ideologische Änderung. Mit meinem Buch, dass ich vor über 50 Jahren veröffentlicht habe, und der Gründung des Forums haben wir dabei mit Sicherheit eine wesentliche Rolle bei der verstärkten gesellschaftlichen Verankerung bei Unternehmen gespielt.
Kürzlich fand die Klima-Konferenz in Glasgow statt. Ist die Menschheit imstande, das Ruder herumzureissen?
Es kommt darauf an, was Ruderherumreissen bedeutet. Das 1,5-Grad-Ziel, das in Paris gesetzt wurde, verlangt einen ganzen Katalog von Massnahmen, zum Beispiel Innovationen, die zurzeit noch nicht reif sind. Ein wesentlicher Bestandteil der Tätigkeiten des Forums ist, mit Regierungen und Unternehmen zusammenzuarbeiten, um die Dekarbonisierung unserer Welt bis spätestens 2050 möglich zu machen.