Am edlen Sitz der UBS an der Bahnhofstrasse in Zürich empfängt der neue Chef Ralph Hamers (55) Blick ganz ohne Allüren: «Hallo, ich bin der Ralph.» Krawattenlos, die oberen Hemdknöpfe offen – wie in seinem Videoclip, den er nach Amtsantritt an seine mehr als 72’000 Angestellten richtete. Mit dem Holländer kommt Dynamik in die Traditionsbank. Das Gespräch findet vollständig auf Deutsch statt: Hamers will die Landessprache lernen.
Blick: Herr Hamers, wie sind Sie in der Schweiz aufgenommen worden?
Ralph Hamers: Meine Frau und ich fühlen uns sehr wohl und willkommen. Natürlich habe ich mir den Start anders vorgestellt als mit einem Lockdown.
Die Schweizer gelten als eher reserviert.
Das habe ich bisher nicht so erlebt. Ich wurde überall sehr zuvorkommend behandelt. Wegen Corona sind wir zwar noch nicht so viel mit Einheimischen ins Gespräch gekommen, aber das kommt noch. Wir fühlen uns in der Schweiz zu Hause.
Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
Ich erkunde die Gegend mit dem Rennvelo und bin bis in den November hinein mit meiner Frau im Zugersee schwimmen gegangen. Bei 12 Grad haben wir aufgehört und sind diesen Frühling bei 16 Grad wieder gestartet (lacht).
Wie lernen Sie Deutsch?
Ich spreche einfach drauflos, auch wenn ich Fehler mache – bei der Arbeit, im Restaurant, beim Wandern. Das habe ich meiner Frau abgeguckt, die auf diese Weise sehr viele Sprachen gelernt hat. Das hilft, uns so gut wie möglich zu integrieren und am Schweizer Leben teilzuhaben.
Sie treten betont locker auf, verzichten auf Krawatte, tragen auch mal Turnschuhe. Was wollen Sie damit zeigen?
So bin ich, Ralph Hamers. Mein Auftritt zeigt aber auch, dass sich die Zeiten im Bankgeschäft geändert haben. Eine neue Generation mit frischen Ideen tritt ein. Für diese ist es wichtig, dass man authentisch ist – dann ist man auch als Arbeitgeber attraktiv.
Die UBS gilt als träge, verbürokratisiert und aufgebläht. War das auch Ihr erster Eindruck?
(Überlegt lange) Von aussen betrachtet wirkte die UBS auch auf mich etwas langsam und etwas kalt, vielleicht auch zu bürokratisch. Jetzt sehe ich es anders: Die Bank ist sehr professionell aufgestellt und handelt sehr gründlich. Gleichzeitig können wir noch schneller und agiler werden.
Was haben Sie als neuer Chef als Erstes getan?
Sehr viele Gespräche geführt, mit Angestellten und Stakeholdern. Dabei ist mir aufgefallen, dass Nachhaltigkeit ein riesiges Thema ist. Kunden und Investoren stellen nicht mehr nur Rendite in den Vordergrund, sondern wollen ihre Finanzanlagen mit ihren Wertvorstellungen in Einklang bringen. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Digitalisierung.
Das trifft sich gut. Sie gelten als Digitalisierungs-Turbo. Warum nennen Sie Netflix und Spotify, einen Serien- und einen Musikstreaming-Dienst, als Vorbilder?
Wir müssen besser verstehen, was die Kunden interessiert und was sie von uns erwarten. Wir müssen bei potenziellen Kunden Interesse für unsere Angebote wecken und sie für uns gewinnen. Es soll für Kunden attraktiv sein, unsere Dienste in Anspruch zu nehmen. Das Ganze sollte zudem etwas Unterhaltendes haben.
Sie wollen aus der UBS eine Unterhaltungsfirma machen?
(Lacht) Das ist nun etwas gar übertrieben. Banking ist natürlich eine seriöse Sache. Aber Netflix oder Spotify machen aufgrund der zur Verfügung stehenden Daten für Sie und mich jeweils möglichst treffende Vorschläge. Und das sollten wir bei der UBS auch mit unserem Datenschatz, unseren Analysen und Beratungen und mit künstlicher Intelligenz tun: dem Kunden massgeschneiderte Lösungen bieten und diese attraktiv präsentieren.
Dann brauchen Sie weniger Berater und einen besseren Algorithmus?
Die künstliche Intelligenz unterstützt die Beratung, um besser verstehen und beraten zu können. Wir brauchen weiterhin Personal und Filialen, aber die Produktivität der Beratung können wir dank der Digitalisierung verbessern.
Dennoch hat die UBS Anfang Jahr 44 ihrer 239 Filialen geschlossen.
Das ist richtig. Aber nicht nur bei uns schliessen Filialen, sondern auch bei der Konkurrenz. Das gehört zum technologischen Wandel.
Revolut und Co. zeigen: Es geht komplett digital. Wie wollen Sie mit den boomenden Neobanken mithalten?
Heute lassen sich viele normale Bankgeschäfte digital erledigen. Darauf sind die Neobanken ausgerichtet. Auch wir digitalisieren Bankprodukte, darum ist auch die Anzahl Filialen rückläufig. Für eine Hypothek oder komplexere Bankdienstleistungen braucht es aber weiterhin Menschen, die eine Einschätzung geben – eine Person, der man vertraut.
Haben die Banken nicht viel zu lange gewartet mit dem Wandel, weil es ihnen sehr gut ging und immer noch gut geht?
In anderen Branchen und Ländern hat sich der Strukturwandel viel schneller vollzogen als in der Schweiz. Ganz sicher in Asien und in den nordischen Ländern. Auch in Holland erledigt man heute vom Einkauf bis zum Banking alles digital. Das hat auch mit der Kultur zu tun. Die UBS hat in der Schweiz fast drei Millionen Kunden. Wir wollen sie nicht zu etwas zwingen, das sie nicht wollen. Der Schritt zu mehr Digitalisierung funktioniert nur gemeinsam. Die Pandemie hat da viele Vorbehalte genommen und die Digitalisierung beschleunigt, weil physische Geschäfte nicht möglich waren.
Sie haben kürzlich ein Milliarden-Sparprogramm angekündigt. Steht die UBS vor einem grösseren Jobabbau?
Nein, es gibt keinen grösseren Jobabbau, aber Entlassungen. Gleichzeitig auch Einstellungen und Umschulungen.
Warum haben Sie Berichten über einen bevorstehenden Abbau von mehr als 700 Jobs allein in der Schweiz nicht widersprochen?
Zu solchen Zahlen äussern wir uns generell nicht. Damit die Kostensenkung gelingt, braucht es in gewissen Bereichen einen Jobabbau. In anderen aber bauen wir dafür Stellen auf. Unter dem Strich bleibt die Zahl unserer Angestellten in etwa gleich.
Sie müssen Kündigungen aussprechen?
Entlassungen sind nicht immer zu vermeiden. Wir brauchen Mitarbeitende, die mit dem technologischen Wandel gehen möchten. Und wir brauchen Fachleute, die sich mit künstlicher Intelligenz und Daten auskennen. Einige Kolleginnen und Kollegen lassen sich umschulen und bleiben. Es gibt aber auch Kollegen, die den Wandel nicht mitmachen wollen.
Keine personellen Konsequenzen hatte das Hedgefonds-Debakel Archegos, das die UBS fast eine Milliarde Franken kostete.
Wer sagt das?
Zumindest hat die UBS im Gegensatz zur Credit Suisse nicht darüber informiert.
Welche Konsequenzen das hat, werden wir intern entscheiden. Bei solchen Ereignissen muss man genau hinschauen. Wir analysieren intern genau, wo bei uns die Fehler gemacht wurden, und das braucht Zeit.
Haben die Banken aus der Finanzkrise nichts gelernt?
Die Sache mit Archegos hat uns schwer enttäuscht. So etwas sollte nicht passieren. Ich bin aber sehr wohl der Meinung, dass die Banker, auch die der UBS, aus der Finanzkrise gelernt haben. Die Banken sind heute viel stabiler aufgestellt, verfügen über deutlich mehr Kapitalpolster und Liquidität. Man vertraut den Banken wieder.
Und trotzdem zeigt der Fall Archegos, dass Grossbanken noch immer zu hohe Risiken eingehen und das Risikomanagement versagt, wenn es darauf ankommt.
Das sehe ich anders. Archegos ist kein Systemfehler, sondern ein einzigartiges, kaum vergleichbares Ereignis. In diesem Fall gab es einen Mangel an Transparenz. Das werden wir nicht mehr akzeptieren. Wir haben daraus jedenfalls unsere Lehren gezogen.
Es gab zwar Spekulationen zum Hedgefonds-Debakel um Archegos. Doch im Gegensatz zur Rivalin Credit Suisse hat sich die UBS bislang nicht zu einer öffentlichen Information über den erlittenen Verlust durchringen können. Mit den Zahlen zum ersten Quartal lässt UBS-Boss Ralph Hamers (55) nun die Katze aus dem Sack. Der Verlust mit Archegos beträgt 774 Millionen Dollar! Das ist zwar weit weniger als die 5 Milliarden, die die CS mit Archegos in den Sand gesetzt hat. Dennoch verhagelte der Hedgefonds das Quartalsresultat der UBS. Die Grossbank fährt einen Reingewinn von 1,82 Milliarden Dollar ein. Das ist ein Plus von 14 Prozent im Vorjahresvergleich. Alle Kundensegmente hätten rekordhohe Aktivitäten verzeichnet, heisst es. Was sagt Hamers dazu, wie die UBS mit einem einzigen Kunden so viel Geld verlieren konnte? Die Rede ist von einem «idiosynkratischen Vorfall». Das heisst so viel wie ein einzigartiges, kaum vergleichbares Ereignis. Hamers: «Risiken sind Teil des Geschäfts. Wir werden die Sache beheben und daraus lernen.» Ulrich Rotzinger
Es gab zwar Spekulationen zum Hedgefonds-Debakel um Archegos. Doch im Gegensatz zur Rivalin Credit Suisse hat sich die UBS bislang nicht zu einer öffentlichen Information über den erlittenen Verlust durchringen können. Mit den Zahlen zum ersten Quartal lässt UBS-Boss Ralph Hamers (55) nun die Katze aus dem Sack. Der Verlust mit Archegos beträgt 774 Millionen Dollar! Das ist zwar weit weniger als die 5 Milliarden, die die CS mit Archegos in den Sand gesetzt hat. Dennoch verhagelte der Hedgefonds das Quartalsresultat der UBS. Die Grossbank fährt einen Reingewinn von 1,82 Milliarden Dollar ein. Das ist ein Plus von 14 Prozent im Vorjahresvergleich. Alle Kundensegmente hätten rekordhohe Aktivitäten verzeichnet, heisst es. Was sagt Hamers dazu, wie die UBS mit einem einzigen Kunden so viel Geld verlieren konnte? Die Rede ist von einem «idiosynkratischen Vorfall». Das heisst so viel wie ein einzigartiges, kaum vergleichbares Ereignis. Hamers: «Risiken sind Teil des Geschäfts. Wir werden die Sache beheben und daraus lernen.» Ulrich Rotzinger
Ganz bestimmt kein Kulturwandel hat bei den Banker-Boni stattgefunden. Was rechtfertigt, dass Banker so viel mehr verdienen als Mitarbeitende in anderen Branchen?
Ich verstehe die Diskussion, aber es hat sich einiges zum Guten verändert: Boni werden erst nach mehreren Jahren ausbezahlt und sie fallen tiefer aus, wenn die Chefs ihre Ziele nicht erreichen. Wir müssen uns aber am Markt orientieren. Wir sind der grösste Vermögensverwalter der Welt. Ergo sollten wir auch die besten Talente weltweit haben. Und die haben ihren Preis.
Wie kommt es, dass Sie mit Ihrem Wechsel von der ING zur UBS Ihren Lohn rund verfünffachen konnten?
Die UBS ist nicht die ING. Der Verwaltungsrat orientiert sich am Markt und befindet dementsprechend über die Höhe meines Salärs.
Die niederländische Justiz führt eine Strafuntersuchung gegen Sie wegen eines früheren Geldwäscherei-Falles bei ING. Wie stark behindert Sie diese Sache?
Die Strafuntersuchung hindert mein Wirken bei der UBS in keinster Weise. Es handelt sich um einen alten Fall, der zweimal untersucht wurde. Zweimal war nichts zu beanstanden. Jetzt wird ein drittes Mal untersucht. Natürlich ist die Sache immer in meinem Hinterkopf, aber ich bin voll auf die UBS fokussiert.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie da rauskommen?
Ich war immer offen, habe voll kooperiert und all mein Wissen preisgegeben. Ich habe immer mit bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Daher schaue ich zuversichtlich auf den Ausgang der Untersuchung.
Wie führen Sie Ihre Mitarbeitenden, welches sind Ihre Werte als Chef?
Ich lebe durch meine Arbeit vor, was ich erwarte. Ich bin authentisch und ein Teamplayer. Und bodenständig, wie es die Schweizer auch sind. Wir duzen uns hier bei der UBS, kommunizieren direkt und offen.
Sie sind Katholik, gehen regelmässig in die Kirche. Wie hat die Religion Sie als Chef geprägt?
Niemand muss sich bei mir Vertrauen erarbeiten, weil ich von vornherein allen Mitarbeitenden vertraue. Dann halte ich nichts von persönlichen Deals im Sinne, dass ich nur jemandem helfe, wenn ich auch etwas dafür bekomme. Ich helfe aus Überzeugung. Ich glaube ferner, dass jeder immer eine ehrliche, zweite Chance verdient. Und dass jeder ein von Gott gegebenes Talent besitzt, um es zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen.
Was heisst das im Alltag?
Ich halte mich daran, was mich meine Eltern gelehrt haben: Urteile nicht über jemanden, ohne die Fakten zu kennen. Denn man kann nie wissen, was dahintersteckt. Heute hat jeder gleich eine Meinung, das Urteil ist schnell gemacht. Ich denke, es täte gut, dies ruhiger und überlegter anzugehen.
Sind religiöse Chefs die besseren Arbeitgeber?
Religiöse Chefs müssen nicht die besseren Arbeitgeber sein. Jeder entwickelt sein eigenes Wertesystem. Ich stellte jedoch fest, dass viele Werte, die früher als religiös galten, heute in ähnlicher Form in jedem Managementseminar vorkommen.
Welchen Wert hat die Swissness für eine Bank wie die UBS?
Swissness ist unbezahlbar für die UBS. Damit verbunden sind Qualität, Gründlichkeit, Vertrauen und Seriosität. Das sind Werte, die im Ausland hoch angesehen sind. In der Schweiz wird das manchmal wie vergessen, aber so sehen fast alle anderen die Schweiz.
Wie wichtig ist der kleine Schweizer Kunde?
Jede Kundin, jeder Kunde ist wichtig! Punkt. Das gilt besonders für die Schweiz. Wir sind zwar gross im Ausland, aber der Ursprung unseres Geschäfts, unsere Wurzeln sind in der Schweiz.
Dann verschonen Sie die Kleinsparer auch künftig vor Negativzinsen?
Wer 250’000 Franken hat – und da liegt die Grenze –, ist kein Kleinkunde mehr. Derzeit beabsichtigen wir aber nicht, Kleinsparer zu belasten. Wir erwarten allerdings auch nicht, dass das tiefe Zinsniveau in der Schweiz bald ein Ende findet.
Die tiefen Zinsen treiben die Immobilienpreise hoch. Würden Sie dem Normalbürger raten, jetzt noch ein Eigenheim zu kaufen?
Wer ein Haus kaufen will, um darin zu leben, sollte jetzt nicht mehr zu viel Risiko auf sich nehmen und vor allem schauen, ob er sich das Haus langfristig leisten kann. Natürlich hängt das auch vom Lebensalter ab, vom Lohn und ob man Risiken minimieren kann, indem man den Zins für 10 bis 15 Jahre fixiert.
Die Aktienmärkte boomen, der Schweizer Leitindex ist auf einem Allzeithoch. Wann kommt der Crash?
Wir haben keine Hinweise, dass eine grössere Korrektur der Aktienkurse unmittelbar bevorsteht. Gleichzeitig sind alle guten Nachrichten grösstenteils schon in den Kursen enthalten. Ein Schocker für die Börse wäre, wenn beispielsweise Impfstoffe plötzlich nicht mehr gegen neue Virusmutationen wirken würden. Aber, momentan sieht es nach einem guten Sommer für uns alle aus.
Seit November 2020 leitet der Holländer Ralph Hamers die UBS als Nachfolger des Tessiners Sergio Ermotti. Zuvor arbeitete er drei Jahrzehnte lang für die niederländische ING. Ab 2013, als deren Chef, hat er die digitale Transformation der Bank vorangetrieben. Bei ING hat er auch seine Frau Patricia van Nimwegen kennengelernt. Geheiratet haben die beiden 1997. Im Spätsommer 2020 zogen sie in die Nähe des Zugersees. Ihre erwachsenen Zwillinge, Tochter und Sohn, studieren in den Niederlanden. Die UBS ist die grösste Schweizer Bank und beschäftigt weltweit über 70'000 Mitarbeitende.
Seit November 2020 leitet der Holländer Ralph Hamers die UBS als Nachfolger des Tessiners Sergio Ermotti. Zuvor arbeitete er drei Jahrzehnte lang für die niederländische ING. Ab 2013, als deren Chef, hat er die digitale Transformation der Bank vorangetrieben. Bei ING hat er auch seine Frau Patricia van Nimwegen kennengelernt. Geheiratet haben die beiden 1997. Im Spätsommer 2020 zogen sie in die Nähe des Zugersees. Ihre erwachsenen Zwillinge, Tochter und Sohn, studieren in den Niederlanden. Die UBS ist die grösste Schweizer Bank und beschäftigt weltweit über 70'000 Mitarbeitende.