«Grosse Unternehmen sind der Transparenz verpflichtet»
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LafargeHolcim-Chef Beat Hess:«Grosse Unternehmen sind der Transparenz verpflichtet»

LafargeHolcim-Präsident Beat Hess
«Schweizer Firmen sind gute Investoren!»

Beat Hess ist Verwaltungsratspräsident des Zementriesen LafargeHolcim und kämpft gegen die Konzernverantwortungs-Initiative.
Publiziert: 08.11.2020 um 00:56 Uhr
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Aktualisiert: 09.11.2020 um 17:25 Uhr
  • «Es ist arrogant zu glauben, nur Schweizer Gerichte würden funktionieren.»
  • «Kein westlicher Konzern kann es sich leisten, irgendwo in einem Entwicklungsland einen Richter zu bestechen.»
  • «Wir selber haben das grösste Interesse daran, dass sich alle im Einfluss unseres Konzerns korrekt verhalten.»
  • «Ich befürworte die Bestrafung von fehlbaren Unternehmen.»
  • «Wie will das Kantonsgericht St. Gallen beurteilen, ob in Togo eine Schädigung stattgefunden hat?»
  • «Heute ist die Wirtschaft der Gegner.»
  • «Wir müssen bei den Bürgerinnen und Bürgern wieder mehr präsent sein und zeigen, was wir Gutes tun.»
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Beat Hess (71) ist seit 2016 Verwaltungsratspräsident von LafargeHolcim.
Foto: Thomas Meier
Interview: Christian Dorer

Wir treffen Beat Hess (71) am fast völlig verwaisten Sitz der Konzernleitung in Zug, mit Maske, bis wir im riesigen Sitzungszimmer Platz genommen haben.

LafargeHolcim ist im nigerianischen Dorf Ewekoro aktiv. NGOs sagen, dass es dort überall Zementstaub gebe, der gesundheitliche Schäden verursache. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?
Beat Hess: Als Unternehmung müssen wir die Menschen und die Umwelt schützen. In Ewekoro beinhalten unsere Massnahmen die Stilllegung von Werk 1 im vergangenen Oktober und den Einbau einer neuen Filteranlage 2021. Wir pflegen einen intensiven Austausch mit allen lokalen Stakeholdern wie Behörden, NGOs und Anwohnern und nehmen deren Anliegen ernst. Das Beispiel Nigeria zeigt, wie LafargeHolcim Verantwortung übernimmt.

Jetzt, wo es öffentlich Druck gibt ...
Wir reagieren nicht erst auf Vorfälle, die in die Öffentlichkeit gelangen. Wir investieren laufend in umweltfreundliche Produktionsformen, um den Schutz der Menschen und der Natur zu gewährleisten.

DCX STORY: doc7d3ihpeqwu81b50rsl1h [Zur Person]

NGOs sagen das Gegenteil. Wer hat recht?
Jedes Feedback ist uns wichtig. Was ich aber kritisiere: wenn NGOs Vorwürfe erheben, ohne die Situation vor Ort zu kennen. Ich war sehr oft in Nigeria, aber auch in zahlreichen anderen Produktionsländern, und habe dort Prozesse und Verfahren vor lokalen Gerichten begleitet. Ich behaupte nicht, dass alles perfekt ist. Ein Zementwerk bietet eine grosse Angriffsfläche, wir produzieren keine Lollipops. Aber glauben Sie mir: Wir tun alles dafür, um unsere Zementwerke sauber zu betreiben und die Menschen zu schützen.

Was ändert sich in Nigeria, wenn die Konzernverantwortungs-Initiative angenommen wird?
Was mir grosse Sorgen bereitet: Ein für Rapperswil-Jona zuständiges Gericht, wo unser Hauptsitz liegt, müsste plötzlich beurteilen, ob wir in Nigeria die Umwelt geschädigt oder Menschenrechte verletzt haben. Selbstverständlich soll, wer Schaden verursacht, dafür einstehen. Aber entsprechende Ansprüche von Klagenden sollen dort beurteilt werden, wo gegen geltendes Recht verstossen wurde.

Wir haben ein funktionierendes Rechtssystem.
Es ist arrogant zu glauben, nur Schweizer Gerichte würden funktionieren. Warum sollen nicht die Gerichte in Ghana, Nigeria, Ecuador oder Indonesien die Vorgänge vor Ort beurteilen? Es ist naiv zu behaupten, dass die Gerichte in diesen Ländern alle korrupt seien, wie ich aus eigener Erfahrung beurteilen kann.

Ist es nicht ebenso naiv zu glauben, dass diese Gerichte alle nicht korrupt sind?
Einverstanden. Aber es ist die Ausnahme. Ich habe Gerichtsurteile erlebt, auch gegen die Interessen der Firmen, die ich vertreten habe, die der Qualität von Schweizer Gerichtsurteilen in nichts nachstehen. Ich frage mich: Wo ist die Grenze? Ist Brasilien korrupt oder Mexiko, Frankreich, Deutschland? Auch alle diese Länder würden von der Initiative erfasst. In der Schweiz wehren wir uns gegen fremde Richter. Aber wenn Schweizer Gerichte über Vorgänge in Afrika urteilen, dann sind wir für die dortigen Länder genau die fremden Richter, die wir selber ablehnen.

Hand aufs Herz: In manchen Ländern kann ein Konzern mit Geld Gerichte beeinflussen.
Das ist heute nicht mehr so. Kein westlicher Konzern kann es sich leisten, irgendwo in einem Entwicklungsland einen Richter zu bestechen.

Warum nicht?
Weil die Welt heute viel transparenter ist. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als Korruption von ausländischen Beamten in der Schweiz rechtmässig war! Heute kann man anonym der Compliance-Abteilung eines Unternehmens mitteilen, wenn irgendwo Bestechungsgelder bezahlt wurden. Wir hatten in Syrien einen solchen Fall, und wir haben sofort ein erfahrenes amerikanisches Anwaltsbüro beauftragt, jeden Stein umzudrehen, um herauszufinden, ob und wie gegen Gesetze verstossen wurde.

Was passiert, wenn sich intern jemand nicht an die Regeln hält?
Dann fliegt er gnadenlos raus. Es braucht hundert Jahre, um eine Reputation aufzubauen, aber nur zehn Zentimeter, um sie zu zerstören, nämlich die Länge einer Schlagzeile in einer Zeitung! Wir selber haben doch das grösste Interesse daran, dass sich alle im Einfluss unseres Konzerns korrekt verhalten.

Wenn sich die allermeisten Konzerne korrekt verhalten, wieso wollen Sie die schwarzen Schafe schützen?
Das will ich nicht. Ich befürworte die Bestrafung von fehlbaren Unternehmen. Das ist längst möglich und wird auch gemacht. Aber ich möchte keine Klageflut durch NGOs hier in der Schweiz. Sie würden bei der Umsetzung der Initiative versuchen, eine sogenannte Aktivlegitimation zu bekommen. Das heisst, dass die NGOs legitimiert werden, im Namen von angeblich Geschädigten zu klagen.

Warum erwarten Sie eine Klagewelle, wenn man schon heute vor Ort klagen kann?
Weil sich die NGOs in der Schweiz höhere Entschädigungen erhoffen und weil sie erwarten, dass das Verfahren schneller und einfacher ist.

In der Schweiz haben Umweltschutz und Menschenrechte einen höheren Stellenwert als anderswo. Das ist doch gut!
Die Kulturen sind ganz anders, die Gerichte funktionieren ganz anders. Wie will das Kantonsgericht St. Gallen beurteilen, ob in Togo eine Schädigung stattgefunden hat? Die Initianten sagen, es werde nach internationalen Umwelt- oder Menschenrechtsstandards beurteilt. Doch das sind keine Gesetze, sondern Richtlinien. Es wird schwierig für die Richter, dies einigermassen gerecht zu beurteilen.

Welche Auswirkungen hätte ein Ja für Ihren Konzern?
Unsere Sorgfaltsprüfungspflicht ist bereits sehr gut. Was mir aber Sorgen bereitet: Wir haben weltweit Hunderttausende von Lieferanten. Diese werden natürlich heute schon kontrolliert, aber dezentral vor Ort und nicht von Rapperswil-Jona aus. Hier aber könnte künftig geklagt werden.

Sie befürworten den Gegenvorschlag, der bei einem Nein automatisch umgesetzt wird. Er verlangt von den Unternehmen Berichte und Rechenschaft. Das ist doch eine Farce!
Nein, das ist keine Farce. Dafür haben wir in den Compliance- und Umweltabteilungen eine grosse Zahl von Juristen angestellt. Den Compliance-Chef haben wir bewusst auf der Konzernleitungsebene angesiedelt. Damit signalisieren wir, wie ernst wir diese Anliegen nehmen.

Warum hat es die Initiative gebraucht, damit der Gegenvorschlag entsteht? Wenn es der Wirtschaft wirklich ernst wäre, hätte sie dies schon längst umsetzen können.
Es ist oft so, dass erst eine Initiative etwas auslöst, auch wenn in diesem Fall ein Grossteil der Unternehmen das meiste, was der Gegenvorschlag verlangt, schon freiwillig umgesetzt hat.

Würden sich Schweizer Konzerne bei einem Ja zur Initiative aus gewissen Ländern zurückziehen?
Das glaube ich nicht. Wenn sich ein Schweizer Unternehmen wegen eines Gerichtsurteils aus einem Entwicklungs- oder Schwellenland zurückziehen würde, würde das vor Ort niemand verstehen. Denn was oft untergeht: Schweizer Firmen sind gute Investoren! Wir bauen Häuser für die umliegenden Gemeinden. Ich habe kürzlich ein Spital in Indien besucht, das wir neben einem Zementwerk für die lokale Bevölkerung gebaut haben.

Sind Schweizer Unternehmen die besseren Investoren?
Ja, natürlich. Schauen Sie mal, wie in gewissen Ländern die Mitarbeiter auf den Baustellen untergebracht sind, und vergleichen Sie es damit, wie wir unsere Leute behandeln – das sind Welten! Ich will nicht von Korruption reden, aber in totalitär geführten Ländern hat man weniger Hemmungen im Umgang mit lokalen Regierungen.

«Swiss made» könnte künftig nicht nur für hochwertige Produkte, sondern auch für faire und nachhaltige Produktion stehen. Ist diese Initiative nicht auch eine Chance?
Die Initiative ändert nichts an der Produktion. Aber die Initianten wollen, dass sich die Schweiz damit brüsten kann, irgendwo in Afrika oder sonst auf der Welt Prozesse führen zu können. Das ist alles.

Bei der neusten Umfrage waren 63 Prozent der Stimmbürger für die Initiative. Woher kommt dieses Misstrauen gegenüber Grosskonzernen?
Ich kann mich an eine Zeit erinnern, als die Wirtschaft sehr eng mit dem Stimmvolk verbunden war. Heute ist die Wirtschaft der Gegner. Das ist enorm schade. In einer Radiosendung sagte jemand gar, wir, also die Vertreter der Wirtschaft, seien Mörder! Das hat mich schockiert. Wir müssen es wieder schaffen, die Wirtschaft näher ans Stimmvolk zu bringen.

Wie kam es zu dieser Entfremdung?
Wenn ein abtretender Präsident 70 Millionen Abgangsentschädigung verlangt, habe ich Verständnis dafür, dass das Stimmvolk dies nicht goutiert. Eine Rolle spielt auch, dass kaum mehr Schweizer oder Leute mit einer engen Beziehung zur Schweiz an der Spitze von grossen Konzernen stehen und dass das Aktionariat oft grossmehrheitlich von internationalen Investoren beherrscht wird. Wir müssen bei den Bürgerinnen und Bürgern wieder mehr präsent sein und zeigen, was wir Gutes tun.

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