BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen zur Konzern-Initiative
Der härteste Polit-Kampf des Jahres

Eine Volksinitiative spaltet das Land. Am 29. November stimmt die Schweiz über die Konzernverantwortungs-Initiative ab. BLICK erklärt, was das Volksbegehren will und warum das Anliegen so umstritten ist.
Publiziert: 07.10.2020 um 22:55 Uhr
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Aktualisiert: 17.11.2020 um 09:22 Uhr
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Am 29. November stimmt die Schweiz über die Konzernverantwortungs-Initiative ab.
Foto: Nathalie Taiana
Gianna Blum, Lea Hartmann

Gegen Menschenrechte und Umweltstandards ist niemand. Auch der Bundesrat nicht. Justizministerin Karin Keller-Sutter (56) betonte das, als sie am Dienstag die Haltung der Regierung zur Konzernverantwortungs-Initiative (Kovi) darlegte. Doch die Initiative gehe zu weit – ja, sie sei gar ein «klassisches Eigentor», das der Schweiz wirtschaftlich schaden würde.

Besonders umstritten sind die neuen Haftungsregeln, welche die Kovi fordert: Konzerne müssen nicht nur selbst um Menschenrechte und Umweltstandards besorgt sein, sondern sich auch dafür einsetzen, dass sich alle Firmen in ihrer Lieferkette daran halten. Verletzen sie diese Sorgfaltspflicht, haften sie im Ernstfall für Verstösse ihrer Tochterfirmen und wichtiger Zulieferer.

Die Initiative ist juristisch komplex und erhitzt in Wirtschaft und Politik seit Jahren die Gemüter. Während SP, Grüne und viele GLPler dafür sind, sind die bürgerlichen Parteien gespalten. Offiziell stellen sich CVP, FDP und SVP gegen die Initiative, doch die Abweichler sind zahlreich. Auch in der Wirtschaft gibt es längst nicht nur Gegner.

Die Geschichte

Die breite Unterstützung ist auch auf das massive Lobbying der Initianten zurückzuführen. Sie kämpfen seit fast einem Jahrzehnt dafür, dass sich Unternehmen strengeren Regeln unterwerfen müssen.

Auf internationaler Ebene hat der Uno-Sonderberichterstatter John Ruggie den Anstoss für neue Regeln für Grosskonzerne gegeben. In der Schweiz formierte sich kurz darauf die Allianz «Recht ohne Grenzen» aus rund 50 Schweizer Nichtregierungsorganisationen, die 2012 eine entsprechende Petition einreichte.

Die 135'000 Unterschriften zeigten aber nicht den gewünschten Effekt: Das Parlament lehnte Sorgfaltsprüfungspflichten für Firmen ab. Als Folge wurde 2015 die Kovi lanciert und ein Jahr darauf eingereicht.

Was folgte, war ein langes und bitteres Tauziehen im Parlament. Über mehrere Jahre brüteten die Politiker über mögliche Gegenvorschläge. Bei jenem, den der Nationalrat schliesslich vorschlug, wären die Initianten eigenen Angaben zufolge sogar bereit gewesen, die Initiative zurückzuziehen.

Doch am Schluss setze sich Bundesrätin Karin Keller-Sutter durch. Sie zauberte 2019 plötzlich einen anderen Vorschlag aus dem Hut, der deutlich weniger weit geht als jener des Nationalrats – und im Parlament eine Mehrheit fand. Linke Politiker tobten. Aber auch manch ein Gegner der Initiative befürchtet, dass der Schuss nach hinten losgehen könnte.

Die Streitpunkte

Auf den erbitterten Streit im Parlament folgt nun ein heftiger Abstimmungskampf. Beide Seiten investieren Millionen, um das Volk von ihrer Position zu überzeugen. Und widersprechen sich bei ihren Argumenten teilweise diametral. Das sind die grössten drei Streitpunkte:

  • Wird die Beweislast umgekehrt? Die Gegner der Initiative behaupten, dass diese eine Beweislastumkehr zur Folge habe. Firmen müssten bei einer Klage künftig beweisen, dass sie alles richtig gemacht haben. Und nicht der Kläger das Gegenteil. Laut den Initianten ist das falsch. Und tatsächlich: In einem ersten Schritt wäre es an einem Kläger, Beweise für einen Menschenrechtsverstoss und die Verantwortung eines Schweizer Konzerns dafür vorzulegen. Erst dann wäre der Konzern in der Pflicht. Er müsste beweisen, seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen zu sein. Sonst haftet er. Schon heute gilt bei Haftungsklagen bei diesem zweiten Schritt die umgekehrte Beweislast. Neu würde die Regelung so präzisiert, dass sie explizit auch Tochterunternehmen mit erfasst.
  • Welche Firmen sind betroffen?
    Umstritten ist, für wen die neuen Regeln überhaupt gelten sollen – und insbesondere, ob und wie KMU betroffen sind. Denn im Initiativtext ist nicht von Konzernen, sondern Unternehmen die Rede. Es heisst, dass Rücksicht auf KMU genommen würde, ausser sie sind in einem «Hochrisikosektor» tätig. Allerdings ist diese Definition vage. Die Gegner kritisieren, dass bis zu 80'000 Unternehmen betroffen sein könnten, wenn man sich an den Risikosektoren der OECD orientiert. Es wäre letztlich am Gesetzgeber, das genauer zu definieren – dass dann tatsächlich derart viele KMU darunter fallen, ist unwahrscheinlich.
  • Wie weit geht die Initiative im internationalen Vergleich? Uneins sind sich Gegner und Befürworter zudem, wie sich die Schweiz mit der Initiative international positionieren würde. Die Gegner sprechen von der strengsten Regulierung weltweit, die Befürworter von einem wichtigen Schritt, um international nicht den Anschluss zu verpassen. Letzteres stimmt. Immer mehr Staaten nehmen Unternehmen in Menschenrechts- und Umweltfragen mit Sorgfaltspflichten in die Verantwortung. Dieser Entwicklung dürfte sich die Schweiz so oder so nicht mehr allzu lange verschliessen können. Bei der Haftung geht die Schweiz im internationalen Vergleich aber relativ weit. Ob es sich tatsächlich um die strengsten Regeln handeln würde, ist umstritten.

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