Jahrelang hat das juristische Hin und Her um die Tierquälerei-Vorwürfe gegen den Springreiter Paul Estermann (59) einen Schatten auf den Reitsport geworfen, nun steht der unrühmliche Fall vor dem Abschluss. Nach dem Schuldspruch durch das Kantonsgericht im Dezember, hat der ehemalige Olympia-Reiter aus Luzern gemäss dem Schweizerischen Verband für Pferdesport die Beschwerdefrist verstreichen lassen.
Der Verband unter der neuen Führung von Präsident Damian Müller reagierte daraufhin und beantragte umgehend bei der internen Sanktionskommission eine vorläufige Sperre. Ein erstes starkes Zeichen des SVPS. Ein Entscheid über eine vorläufige Sperre wird bereits in den nächsten Wochen erwartet. Zumal der Verband auf eine dringliche Bearbeitung pocht. Bis das Verfahren mit einer Sanktion abgeschlossen wird, könnte es bis ins Frühjahr dauern. Dann dürfte es für Estermann eine mehrjährige Sperre absetzen.
Es wäre der Schlusspunkt unter eine fast sechs Jahre andauernde Entwicklung, die mit der Aufdeckung des Falls durch Blick im März 2017 ihren Anfang nahm.
Die Chronik des Falls Paul Estermann:
März 2017
Blick deckt auf, dass gegen den Springreiter Ermittlungen laufen. Ein ehemaliger Pferdepfleger seines Stalls untermauert den Verdacht, dass Paul Estermann seine Pferde schlägt, mit Fotos, die gemäss seiner Aussage vom Unterbauch der Stute Castlefield Eclipse stammen. Ihm wird damals auch vorgeworfen, Wallach Lord Pepsi geschlagen zu haben.
April 2017
Estermann wird vom Verband SVPS trotz laufenden Ermittlungen für die Nationenpreis-Equipe aufgeboten. Der Luzerner reitet für die Schweiz noch weitere prestigeträchtige Nationenpreise in diesem Sommer.
August 2017
Der SVPS selektioniert Estermann tatsächlich für die Europameisterschaft in Göteborg (Sd). Man begründet diesen fragwürdigen Entscheid mit der Unschuldsvermutung.
August 2017
Der Staatsanwalt leitet eine Strafuntersuchung ein gegen den Springreiter wegen Verdachts der Zuwiderhandlung gegen das Tierschutzgesetz.
August 2017
Estermann zieht sich (freiwillig) aus der EM-Equipe zurück – zum Wohl der Mannschaft. Diese gewinnt danach Team-Bronze.
Ende Juli 2018
Estermann wird erneut selektioniert. Diesmal für die WM-Equipe, die an den Weltreiterspielen in Tryon (USA) an den Start geht. Erstens, weil es seine sportlich starken Leistungen zu jenem Zeitpunkt rechtfertigen. Und zweitens, weil nach wie vor die Unschuldsvermutung gilt.
Anfang September 2018
Estermann verzichtet auf den WM-Start, weil sein Top-Pferd Lord Pepsi verletzt ist. Zu dieser Zeit stehen die Einvernahmen des Springreiters bei der Luzerner Kantonspolizei noch an.
März 2019
Die Stute Castlefield Eclipse verletzt sich auf der Altersweide in Belgien und muss eingeschläfert werden.
August 2019
Der Luzerner darf bei der EM in Rotterdam ran. Das laufende Verfahren wird einfach ausgeblendet. Die Schweizer Equipe wird Sechste, im Einzel landet Estermann auf dem 58. Platz. Danach verschwindet er für einige Monate von der internationalen Bühne.
September 2019
Dass Estermann seine Stute Castlefield Eclipse geschlagen hat, ist für die Staatsanwaltschaft Sursee erwiesen. Doch der Springreiter streitet es weiterhin ab. Deshalb muss er vor Gericht. Er akzeptiert das Urteil der Staatsanwaltschaft nicht, die ihn wegen mehrfacher Tierquälerei mit einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 160 Franken und einer Busse von 3600 Franken bestraft hat.
November 2019
Der Gerichtstermin am Bezirksgericht Willisau LU. Estermann, der vorher über zwei Jahre eisern geschwiegen hat, streitet alle Vorwürfe ab und bagatellisiert seinen Einsatz der Peitsche.
November 2019
Das Bezirksgericht Willisau spricht Estermann der mehrfachen vorsätzlichen Tierquälerei schuldig! Sein Verteidiger hat Berufung angemeldet.
November 2019
Estermann zieht sich aus dem Elite-Kader der Schweizer Springreiter zurück. Ab jetzt kann er die Schweiz nicht mehr an Championats vertreten.
Januar 2020
Die Besitzer von Estermanns Top-Pferde reagieren und nehmen sie ihm weg. Insgesamt verliert er neun Spitzen-Pferde auf einen Schlag.
Dezember 2020
Estermann bestreitet die Vorwürfe auch vor dem Luzerner Kantonsgericht.
Januar 2021
Estermann ist in zweiter Instanz als Tierquäler verurteilt worden. Das Luzerner Kantonsgericht beurteilt seine Peitschenhiebe in zwei Fällen als unnötig hart. Der Beschuldigte zieht den Fall weiter.
März 2022
Das Bundesgericht hebt das Urteil im Zusammenhang mit dem Wallach Lord Pepsi auf. Estermanns Beschwerden im Fall der Stute Castlefield Eclipse aber schmettert es ab. Es weist den Fall ans Kantonsgericht zurück.
November 2022
In seiner Neubeurteilung spricht das Kantonsgericht Estermann für die Vorfälle mit der Stute Castlefield Eclipse der mehrfachen vorsätzlichen Tierquälerei schuldig und bestraft ihn mit einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen.
Januar 2023
Der Verband vermeldet, dass «die Beschwerdefrist für das Urteil ungenutzt verstrichen ist und die Verurteilung rechtskräftig wird». Der SVPS-Vorstand hat deshalb bei der internen Sanktionskommission eine vorläufige Sperre beantragt.