Er sitzt nachdenklich am Tisch und betrachtet ein ganz besonderes Erinnerungstück. Es ist ein Helm von Jason Dupasquier (†19), dem am nächsten Montag vor einem Jahr tragisch verunglückten Schweizer Töff-Talent. Die aufs Visier gekritzelte Widmung lautet «Vielen Dank Chef Stef für die Saison 2020!!» und stammt von Dupasquier selber.
Der Helm war ein Geschenk nach seiner WM-Debüt-Saison, «Chef Stef» ist Stefan Kirsch (59). Der Mann, der am Tisch in einer Ecke seiner Werkstatt sitzt, war Chefmechaniker des jungen Schweizers. Die engste Bezugsperson an der Rennstrecke. Doch die Zusammenarbeit endet Ende Mai 2021 in Mugello jäh.
«Mit dem bevorstehenden Jahrestag kommt es wieder stärker hoch, dass Jason nicht mehr da ist. Wir können die Zeit leider nicht zurückdrehen», sagt Kirsch und seufzt tief. «Ich will ihn einfach positiv in Erinnerung behalten.» Und zwar als sympathischen, jungen Kerl, der nach dem punktelosen Debütjahr die schonungslose Analyse von Kirsch beherzigte, wie verwandelt ins zweite Jahr stieg und 2021 in allen fünf GPs bis Mugello punktete.
Viele Erinnerungsstücke in der Werkstatt
Als Blick Kirsch daheim im deutschen Oberbergkirchen besucht, ein idyllisches Nest in Oberbayern, fallen sofort diverse Erinnerungstücke an das verstorbene Talent aus Sorens FR auf.
Helm, Autogrammkarten, viele Bilder. In der Werkstatt klebt ein Poster direkt über der Werkbank, in einer Ecke hängt ein Töff-Verkleidungsteil mit der Startnummer 50. Kirsch sagt: «Ich behalte diese Dinge ganz bewusst in meiner Nähe. Ich kann nicht so tun, als hätte es ihn nie gegeben.»
Kirsch wünscht sich, dass Dupasquier auch in der Öffentlichkeit nicht in Vergessenheit gerät und redet darum mit dem Segen von Jasons Eltern bei Blick offen über den schlimmsten Tag der Schweizer Töff-Geschichte.
Der Tod des 19-Jährigen hat auch das Leben von Kirsch auf den Kopf gestellt. Der Bayer hatte zuvor während 30 Jahren im GP-Sport gearbeitet. Doch Ende letzter Saison hört er auf. «Man weiss, dass in diesem Sport so etwas passieren kann. Aber man verdrängt es. Der Vorfall mit Jason gab mir viel zu denken. Aber auch die Neuausrichtung des Teams entsprach mir nicht. Zudem werde ich dieses Jahr 60, da muss ich nicht mehr immer in den Flieger steigen. Nun verdiene ich mein Geld anders.»
Kirsch begleitete Jason ins Spital
Dazu muss man wissen: Die meisten GP-Mechaniker sind nicht fest angestellt, es oft Freelancer-Jobs. Kirsch arbeitete schon vor seinem GP-Rücktritt als selbstständiger Töff-Mech. Er führt nun seine eigene Töff-Bude weiter, wo er viel an Oldtimer-Töffs schraubt, Motoren revidiert und auch mechanische Bauteile für allerlei Kunden selber herstellt.
An die schwarzen Stunden in Mugello denkt Kirsch nur ungern zurück. Kopfschüttelnd erzählt er, dass nach dem Horrorsturz im Fahrerlager absurde Falschinformationen über Dupasquiers Zustand herumgeisterten, er sei bei Bewusstsein.
Dabei ist sehr ernst. Kirsch begleitet den Schweizer im Heli ins Spital nach Florenz: «Für mich war das selbstverständlich, dass ich mich auch in dieser Situation um meinen Fahrer kümmere. Das sind ja noch fast Kinder, da braucht es eine Begleitung.»
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Irgendwann kommen auch Dupasquiers Eltern in der Toskana an. Kirsch bleibt bis auf einen kurzen Abstecher in sein Hotel bei den Eltern. Auch, als es keine Hoffnung mehr gibt: «Ich konnte ihnen in dieser Situation nicht einfach den Rücken kehren.»
Die Todesnachricht erreicht das Fahrerlager mitten am Renntag, gestartet wird trotzdem. Kirsch aber regt in den Tagen nach dem Desaster im Prüstel-Rennstall an, dass man das Motorrad von Dupasquier nicht sofort wieder besetzt. «So zu tun, als wäre nichts passiert, wäre moralisch gegenüber der Familie falsch gewesen.»
Die Grands Prix verfolgt Kirsch nur noch am TV. Manchmal aber zieht der leidenschaftliche Velofahrer eine Radtour vor und schaut sich die Rennen erst abends an. Diesen Sonntag wird das Zuschauen beim Mugello-GP besonders emotional sein.