Blick: Herr In-Albon, können Sie sich noch an Ihr erstes GC-Training 1979 erinnern?
Charly In-Albon: (Lacht) Natürlich. Ich lief mit meiner roten FC-Sion-Tasche in die Garderobe rein. Als ich meine privaten Trainingsklamotten auspackte, fingen alle an zu lachen. Warum, verstand ich aber nicht. Da erklärte mir mein neuer Mitspieler Richi Bauer, dass das hier anders sei und dass meine Utensilien bereits alle schön zusammengefaltet an meinem Platz liegen würden. Für mich als einfacher Jüngling war das eine völlig neue Welt. Die Stadt Zürich fühlte sich an wie New York.
Wie sind Sie aufgewachsen?
Mitten in Sion in einem Block. Mein Vater stammte aus einer Bauernfamilie und hatte 16 Geschwister. Er arbeitete als Mechaniker. Meine Mutter war Hausfrau und Abwartin. Das waren sehr einfache Verhältnisse. Wir gingen nie in die Ferien und hatten kaum Geld. Doch gestört hat mich das nie, weil ich es nicht anders kannte.
Gab es damals gelegentlich noch einen «Chlapf»?
Ja klar, auch in der Schule. Doch wenn uns der Lehrer eine knallte, hat man das zu Hause nie gesagt, denn sonst hätte es dort gleich nochmals einen «Chlapf» gegeben.
Von was träumte der kleine Charly?
Von nichts, ich hatte auch keine konkreten Berufswünsche. Weil mein Vater dann jemanden kannte, der eine Lehrlingsstelle frei hatte, wurde ich Vermessungszeichner. Von einer Karriere als Profifussballer träumte ich nie.
Der 66-Jährige feierte seine grössten Erfolge bei GC. Mit den Zürchern wurde er viermal Meister und viermal Cupsieger. Zwischen 1977 und 1986 bestritt er 40 Länderspiele, das erste bereits als 20-Jähriger.
Heute lebt er mit seiner zweiten Ehefrau (Germaine) in Savièse. In-Albon hat aus erster Ehe einen erwachsenen Sohn (Lucien) und eine erwachsene Tochter (Marylou), aus zweiter Ehe zwei erwachsene Söhne (Pascal und Fabien).
Der 66-Jährige feierte seine grössten Erfolge bei GC. Mit den Zürchern wurde er viermal Meister und viermal Cupsieger. Zwischen 1977 und 1986 bestritt er 40 Länderspiele, das erste bereits als 20-Jähriger.
Heute lebt er mit seiner zweiten Ehefrau (Germaine) in Savièse. In-Albon hat aus erster Ehe einen erwachsenen Sohn (Lucien) und eine erwachsene Tochter (Marylou), aus zweiter Ehe zwei erwachsene Söhne (Pascal und Fabien).
Wie kamen Sie überhaupt zum Fussball?
Durch Zufall. Als uns langweilig war, sagte jemand: «Geht doch zum FC Sion.» Hätte der uns zum Hockeyklub geschickt, hätte ich Hockey gespielt.
1976 gaben Sie als 18-Jähriger für Sion Ihr NLA-Debüt. Wie viel haben Sie damals verdient?
500 Franken monatlich. Hinzu kamen Punkteprämien und mein Lehrlingslohn. Ich habe all das Geld immer heimgebracht und meiner Mutter abgegeben. Heute würde sich ein junger Spieler für 500 Franken nicht einmal mehr die Schuhe binden.
Nach drei Jahren in Sion wechselten Sie zu GC.
Als ich eines Tages nach Hause kam, sagte meine Mutter, ein gewisser Herr Oberholzer von GC hätte angerufen. Ich solle ihn doch zurückrufen. Das tat ich dann auch, und er sagte mir, GC sei an mir interessiert. Also fuhr ich nach Zürich.
Können Sie sich noch an die Verhandlungen mit GC-Präsident Oberholzer erinnern?
Das waren keine Verhandlungen. Sie boten mir einen Zweijahresvertrag mit 5000 Franken Lohn. Damals gab es noch keine Spielerberater, und ich hatte keine Ahnung, wie viel ich eigentlich wert war. Ich hätte mich doch nie getraut, mehr zu verlangen. 5000 Franken waren für mich mit meiner Herkunft sehr viel Geld. Deshalb unterschrieb ich. Ab dem Moment war ich Fussballprofi.
Sie spielten dann über ein Jahrzehnt bei GC und haben viele grosse Trainer erlebt. Wer ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Da gibt es einige. Am meisten geprägt hat mich Hennes Weisweiler. Er machte aus mir, der vorher meist als Vorstopper oder Aussenverteidiger gespielt hat, einen Libero. Unter ihm trainierten wir stundenlang Standardsituationen. Mit Erfolg. In einer Saison erzielten Andy Egli und ich mit dem Kopf 40 Prozent aller GC-Tore.
Sport-Legenden über ihr Schicksal
1983 verstarb Weisweiler plötzlich.
Kurz zuvor hatten wir noch das Double gewonnen. Er sagte uns dann: «Geniesst die Sommerferien, in drei Wochen sehen wir uns wieder.» Doch dazu kam es leider nicht mehr. Sein Tod hat mich hart getroffen, weil er für mich wie eine Vaterfigur war.
Wie wars mit Timo Konietzka, der bei GC auch Ihr Trainer war?
Er war knallhart und hat uns gelehrt, aus der Komfortzone rauszukommen. Ich kann mich vor allem an ein Trainingslager in Brasilien erinnern.
Was war da los?
Schon die Anreise war eine Odyssee: Zürich–Frankfurt–Lissabon–Rio de Janeiro–Recife. Als wir nach 30 Stunden völlig übermüdet im Hotel ankamen und die Zimmer bezogen, sagte er: «In 30 Minuten steht ihr alle umgezogen in der Lobby.» Gleich neben dem Hotel hatte es eine Autobahn mit je vier Spuren. Dazwischen gab es einen kleinen Rasenstreifen. Dort absolvierte er dann inmitten des Gestanks und des Lärms eine Trainingseinheit.
War das nicht gefährlich?
Man musste schon ein bisschen aufpassen. So war es auch, als wir in Brasilien mit dem Bus mitten in der Nacht im Niemandsland stehen geblieben waren. Es war stockdunkel, und der Bus war kaputt. Also stiegen wir alle aus. Dann merkten wir, dass wir im Dschungel waren. Als einer sagte, hier könnten plötzlich gefährliche Tiere auftauchen, sind wir alle wie kleine Kinder wieder in den Bus reingerannt und haben drinnen stundenlang gewartet, bis der Chauffeur den Bus repariert hatte. Richtig Angst hatte ich aber in Thailand.
Erzählen Sie.
Auch das war während eines Trainingslagers. Nach dem Training gingen ein paar Spieler im Meer schwimmen. Zuerst stand uns das Wasser nur bis zum Bauch. Doch dann kamen die Wellen, und es entstanden unter Wasser gefährliche Wirbel. Wir versuchten, ans Ufer zurückzuschwimmen, aber es gelang uns lange Zeit nicht. Wir wären fast ertrunken. In dem Moment dachte ich, ich sehe meinen Sohn nie mehr.
Für die Nati bestritten Sie 40 Länderspiele. Legendär soll vor allem die Afrika-Reise gewesen sein.
Das war eine etwa zweiwöchige Tournee, quer durch Afrika. Man wollte damit eine längere Reise simulieren, da wir auf die Qualifikation für die WM 1986 in Mexiko hofften.
Damals soll ja Nati-Trainer Paul Wolfisberg mit einigen Spielern gekifft haben. Waren Sie dabei?
Nein, ich wusste ja gar nicht, was das ist. Die Reise war aber auch so verrückt. In Abidjan zum Beispiel war der Elfmeterpunkt nur neun Meter vom Tor entfernt. Verrückt war aber auch unser Trip nach Moskau.
Was war da los?
Ich schlief mit Dominique Cina in einem Doppelzimmer, mit Blick auf den Roten Platz. Frühmorgens klopfte es plötzlich laut an die Tür. Also öffneten wir diese im Pyjama. Da standen zwei Soldaten, kamen ungefragt rein, stellten sich ans Fenster und beobachteten die ganze Zeit den Roten Platz.
Warum?
Es war der 1. Mai, und auf dem Roten Platz fand eine Parade statt. Wir konnten dann natürlich nicht mehr einschlafen, und die beiden Soldaten verliessen erst nach Stunden wieder unser Zimmer. Wir verloren das Spiel 0:4, und einmal mehr qualifizierten wir uns nicht für ein grosses Turnier.
Wie fällt die Bilanz Ihrer Karriere aus? Sie waren nie der Edeltechniker, sondern ein harter Arbeiter.
Ich wusste, was meine Stärken sind. Was ich nicht konnte, überliess ich den anderen. Gab es einen Scheiss-Job zu machen, hiess es immer: «Charly, das ist dein Job.»
Hätte es damals schon den VAR gegeben: Wie viele Tätlichkeiten von Ihnen hätte er aufgedeckt?
Keine! Ich bin während meiner ganzen Karriere nie vom Platz geflogen, weil ich mich auch nie provozieren liess. Und ich habe auch während meiner ganzen Karriere nicht eine Schwalbe gemacht.
Waren all die gegnerischen Stürmer auch so fair wie Sie?
Nein, John Linford vom FCZ zum Beispiel hat immer gespuckt wie ein Kamel, und Mirsad Baljic hat mir mit seinem Ellbogen zweimal extra die Nase gebrochen.
Liessen Sie sich das gefallen?
Natürlich nicht. Ich merkte mir das, und als er mir im Rückspiel über den Weg lief, hatte er danach Schmerzen. Am Schluss des Spiels, das wir gewonnen hatten, ging ich zu ihm und sagte: «Danke für die zwei Punkte.» Da hat er gleich nochmals geschäumt.
Was war damals auf dem Platz alles üblich?
Auch ich stand den Stürmern absichtlich auf die Füsse oder tat so, als ob ich einem umgefallenen Spieler beim Aufstehen helfen wollte und zog ihn dann an den Haaren oder am Nacken hoch. Natürlich auch immer in der Hoffnung, dass er dann den Ellbogen ausfährt und so eine Rote Karte kassiert.
Wer war Ihr verrücktester Teamkollege?
Da gab es einige, zum Beispiel Jonny Hey. Er war zwar ein Riesenfussballer, kam aber immer mit teuren Oldtimern angebraust. Später kam dann ja raus, dass er einige krumme Dinge gedreht hatte. Auch speziell war Stéphane De Siebenthal. Einmal waren alle beim Training, nur Stéphane nicht. Der war die Nacht davor unterwegs und ist dann in der Garderobe auf dem WC einfach eingeschlafen. Oder Christian Matthey. Der hat immer Blödsinn gemacht. Als wir in Palermo im Trainingslager waren, kaufte ich deshalb einen frischen Fisch und legte ihn in sein Bett. Das hatte dann richtig schön gestunken. Christian weiss bis heute nicht, dass ich das war.
Wie wars mit Roger Wehrli?
Auch der hat viel Blödsinn gemacht, gab aber in jedem Training Vollgas, auch wenn er dabei gelegentlich kotzen musste.
Haben Sie damals auch unter Schmerzmitteln gespielt?
Klar, du wolltest einfach immer spielen. Ich habe sicherlich einige Spiele bestritten, die ich nicht hätte bestreiten sollen. Damals hat man einfach dem Arzt vertraut und nicht gefragt, ob das schädlich ist oder was in der Spritze drin war.
Nach Ihrer Spielerkarriere wurden Sie Trainer. Mit mässigem Erfolg.
Das stimmt so nicht ganz. Mit Naters bin ich in die Nati B aufgestiegen. Das war eine spezielle Erfahrung.
Warum?
Ich war ja von GC und der Nati professionelle Strukturen gewohnt, doch in Naters war alles anders. Der Präsident sagte mir vor der Vertragsunterzeichnung, dass ich während der Fasnacht tolerant sein müsse und dass ich auch sonst den Spielern Freiheiten lassen müsse, damit sie im legendären Ornavasso gelegentlich feiern dürften.
Wie schwer fiel Ihnen das?
Das zu akzeptieren, war meine grösste Herausforderung, doch es gelang mir. Die Spieler waren alles Amateure, die Freiheit brauchten. Doch auf dem Platz zerrissen sie sich. Das war beeindruckend.
Ende 1998 wurden Sie dann gar für ein paar Monate Sion-Trainer.
Ich war zuerst der Assistent von Jochen Dries. Doch als er entlassen wurde, übernahm ich. Es war eine schwierige Zeit, mit vielen Problemen. In jedem Training kamen Spieler zu mir und erzählten, dass sie den Lohn noch nicht erhalten hätten. Wenn wir jeweils im Bus zu den Auswärtsspielen unterwegs waren, fuhr der Bus erst los, wenn wir ihn im Vorfeld cash bezahlt hatten. Auch ich musste damals regelmässig um meinen Lohn kämpfen.
Ist es Zufall, dass Sie nach Ihrem Sion-Rauswurf im März 1999 nie mehr als Trainer arbeiteten?
Nein, ich fragte mich da: Charly, willst du dir das noch antun? Willst du ständig kritisiert werden? Möchtest du, dass die Schulkollegen deiner Kinder ständig zu ihnen sagen: «Dein Vater hat nächste Woche keinen Job mehr»?
Ihre Antwort war nein.
Ich bog deshalb in die Privatwirtschaft ab und arbeitete während über 20 Jahren als Verkaufsberater für eine Firma, die medizinisches Verbandsmaterial herstellt.
Hatten Sie kein Problem damit, plötzlich wieder ein normaler Arbeiter zu sein?
Nein, ich weiss zwar, dass ich für viele eine Legende bin, aber ich fühlte mich nie als etwas Besseres. Ich war halt Fussballprofi, na und. Für mich war das nie etwas Besonderes. Deshalb fiel es mir nicht schwer, einem normalen Job nachzugehen.
2021 liessen Sie sich pensionieren. Wie sieht Ihr Leben heute aus?
Ich habe mit meiner zweiten Ehefrau einen Hund und bin fünffacher Grossvater. Ich geniesse es, zu spazieren, zu wandern, zu biken.
Sie wohnen nur wenige Kilometer vom Tourbillon entfernt. Wie oft schauen Sie sich dort Spiele an?
Seit ich 1998 entlassen wurde, war ich nie mehr dort. Und solange CC dort noch das Sagen hat, wird man mich dort auch nicht sehen, denn sein Umgang mit den Spielern und seine Politik, die er betreibt, kann ich nicht akzeptieren.