Auf einen Blick
Das Schweizer Eishockey hat eine turbulente Woche hinter sich. Am Mittwoch trat Stefan Schärer von seinem Amt als Verbandspräsident zurück. In etwas mehr als einem Jahr hatte er es geschafft, nicht nur Klubbosse wie Marc Lüthi vom SC Bern und Peter Zahner von den ZSC Lions, sondern so ziemlich jeden in der Verbandszentrale in Glattbrugg ZH, bis hin zu Nati-Coach Patrick Fischer, gegen sich aufzubringen.
Irgendwann muss dann auch dem Ex-Handballer bewusst geworden sein, dass es keine andere Möglichkeit mehr gab, als das Handtuch zu werfen und so einen Streik zu verhindern, der zu einem riesigen Imageschaden geführt hätte. Doch mit Schärer verschwinden die Probleme, die es gibt, keinesfalls.
Problemzone Verbandspräsident
Schärer erging es wie seinen Vorgängern Michael Rindlisbacher und Marc Furrer. Auch sie standen in der Kritik von Exponenten aus der National League. Sie blieben zunächst nur im Amt, weil ihre härtesten Gegner der Ansicht waren, dass man keinen geeigneten Nachfolger finden würde. Im Nachhinein kann man sagen, dass sich das bewahrheitet hat. So darf man gespannt sein, wen man als Nächstes aus dem Hut zaubern wird.
Gibt es den Mann oder die Frau überhaupt, die dieser komplizierten Aufgabe gewachsen ist? Und wenn ja, ist diese Person an dieser Rolle überhaupt interessiert. Der Titel Präsident verspricht zwar ein Amt mit Machtfülle. Doch in Tat und Wahrheit haben andere das Sagen: die Klubs der National League und deren Geschäftsführer.
Und doch ist mehr gefragt, als nur den Grüssaugust zu geben. Das zeigte sich auch bei Schärer. Erst wurde die Frage laut, was eigentlich der neue Präsident, der immerhin jährlich mit 90'000 Franken plus 30'000 Pauschalspesen entschädigt wird, mache. Später warf man dem 59-Jährigen unter anderem vor, dass er sich in zu viele Dinge einmische.
«Leider wurde mir bald bewusst, dass unsere Strukturen äusserst komplex sind und es alles andere als einfach ist, mehrheitsfähige Beschlüsse voranzutreiben, da teilweise auch die Kompromissbereitschaft der verschiedenen Stakeholder fehlt», liess Schärer in seinem Rücktrittsschreiben verlauten.
Als Unternehmer war er sich gewohnt, die Dinge so zu gestalten, wie er es wollte. Man kann davon ausgehen, dass auch die meisten Nachfolge-Kandidaten ähnlich ticken. Und wer ein Amt als Präsident übernimmt, tut dies selten, um als stiller Schaffer und geschickter Strippenzieher im Hintergrund zu arbeiten.
Doch genau das ist gefragt. Wer sich beim Verband in Szene setzen will, stösst blitzschnell auf Widerstand. Und wer sich auf Machtkämpfe einlässt, wird diese verlieren.
Ein neuer Präsident muss sich der Verhältnisse bewusst sein und viel diplomatisches Geschick mitbringen, die wichtigen Player – und damit sind nicht nur Lüthi und Zahner gemeint – ins Boot holen, wenn er Veränderungen anstossen will.
Problemzone Liga-Grösse
Inzwischen ist jedem klar, dass es ein Fehler war, die National League auf 14 Teams anschwellen zu lassen. Zur Erinnerung: Während der Pandemie setzte man den Abstieg aus, liess aber gleichzeitig einen Aufstieg zu. Dies nutzten Ajoie und Kloten zum erleichterten Eintritt in die Liga, weil sie ohne Liga-Qualifikation aufsteigen konnten.
Die Vergrösserung der Liga nutzte man dann auch, um die Ausländer-Anzahl von vier auf sechs zu erhöhen, womit nun – mit wenigen Ausnahmen – vor allem Ausländer auf dem Eis stehen, wenn es im Powerplay, in der Schlussphase oder der Overtime um die Wurst geht. So wurden diese Saison 47,9 Prozent aller Tore durch Spieler mit Ausländer-Lizenzen erzielt. Letzte Saison waren es 43,7 %, 2021/22 noch 35,9 % gewesen, bevor zwei Import-Spieler dazukamen. Dass dies zulasten der Entwicklung von Schweizer Stars und Talenten geht, liegt auf der Hand. Die Nati holte im Frühling in Prag dennoch WM-Silber, weil NHL-Spieler wie Turnier-MVP Kevin Fiala, Roman Josi, Nico Hischier, Nino Niederreiter und Jonas Siegenthaler dabei waren und vorangingen.
Warum wird die Liga nicht wieder verkleinert, wenn doch jedem bewusst ist, dass es besser fürs Schweizer Eishockey wäre? Die Klubs zimmern sich die Regeln selbst, und keiner will am Ast sägen, auf dem er sitzt. Es ist unmöglich, Mehrheiten für eine Reduktion zu finden, weil nahezu jeder Angst hat, dass es seinen Klub treffen könnte, wenn er ein schlechtes Jahr erwischt. Und fast keinem NL-Klub – der Dauerletzte Ajoie ist da die Ausnahme – will man zumuten, in eine Swiss League im gegenwärtigen Zustand abzusteigen.
Problemzone Swiss League
Vor einigen Jahren herrschte in der Swiss League noch Aufbruchstimmung. Man schmiedete grosse Pläne, glaubte, dass man mehr Geld rausholen könne, wenn man sich selbst vermarktet. Ein Irrtum. Nicht zuletzt auch, weil man mit dem EHC Kloten, der zu den treibenden Kräften gehörte, und Stamm-Mitglied Ajoie ersatzlos zwei Teams an die National League verlor. Dass die Zürcher Unterländer die Chance nutzten, sich wieder abzusetzen, konnte nicht erstaunen. Die Jurassier hatten sich ein Jahr davor erst in letzter Minute dazu durchgerungen, den Sprung in eine Liga zu wagen, die für sie eine Nummer zu gross ist.
Seither hat die Swiss League einen schweren Stand, hält sich mehr schlecht als recht am Leben. Mit Langenthal wählte der B-Meister von 2012, 2017 und 2019 den Abgang in die andere Richtung und zog sich aus dem Profi-Betrieb zurück. Ein Jahr später ging Martigny den gleichen Weg.
In ihrem jetzigen Zustand wird die Liga auf Dauer nicht überleben können. Es ist zu befürchten, dass die Bellinzona Snakes, die im letzten Frühling schon nahe am Ausstieg waren, sich zurückziehen. Auch bei Winterthur macht man sich jährlich Gedanken. Wenn sich die Perspektiven nicht verbessern, werden auch interessierte Klubs aus der MyHockey League wie Altmeister Arosa und Thun nicht in die marode Liga nachrücken.
Ohne eine NL-Reduktion lässt sich die Swiss League, die unter dem Dach des Verbandes steht, kaum reparieren. Als Alternative steht eine Zusammenlegung mit der Hockey League im Raum. Derzeit wird ein «Mister Swiss League» gesucht, der von der National League und dem Verband bezahlt werden wird. Er soll Lösungen finden und der Liga wieder auf die Beine helfen. Wunder darf man da aber keine erwarten.
Problemzone Fernsehvertrag
2027 läuft der TV-Vertrag der National League mit Sunrise (mit MySports) aus. Beim letzten 5-Jahres-Deal schauten weiterhin noch jährlich rund 30 Millionen Franken heraus. Die Swisscom (mit Blue), die bisherige Gegenspielerin, hat sich inzwischen vom Hockey abgewandt und setzt voll auf Fussball. So viel wird man kaum mehr kriegen, ausser man zaubert noch Konkurrenten aus dem Hut, an die derzeit niemand denkt.
Die aktuelle Markt-Lage könnte es aber Sunrise ermöglichen, zu diktieren, wie die Schweizer Eishockey-Landschaft zukünftig aussehen soll. Vielleicht ist dies die einzige Chance, den gordischen Knoten zu lösen.
Problemzone Nachwuchs
Während andere Nationen in den letzten Jahren grosse Fortschritte erzielt haben, stagnierte die Schweiz bei der Produktion von Talenten. Der beste Massstab dafür ist neben den Resultaten der Junioren-Nationalmannschaften die NHL. Derzeit spielen neun Schweizer in der besten Liga der Welt – vor zwei Jahren waren es zwölf und vor fünf Jahren noch 15 gewesen. Der letzte Schweizer, der sich in der NHL etabliert hat, war J. J. Moser, der inzwischen seine vierte NHL-Saison spielt.
Seit Nico Hischier 2017 als Nummer 1 von New Jersey gedraftet wurde, hat die Schweiz nur noch einen Erstrunder (Lian Bichsel als 17. von Dallas 2022) hervorgebracht. Norwegen hatte dieses Jahr mit Michael Brandsegg-Nygård (15.) und Stian Solberg (23.) gleich zwei Erstrunder und Österreich mit dem Ex-Klotener David Reinbacher die Nummer 5 im Jahr davor.
Zuletzt schlug Lions-Nachwuchschef Edgar Salis Alarm: «Wie die ganze Hockey-Schweiz aufgestellt ist, mit der Swiss League, der National League und dem Verband. Im Moment könnte das Schweizer Eishockey ein besseres Bild abgeben.»
Will man nicht den Anschluss verpassen, braucht es neue Konzepte und bessere Perspektiven in der National und Swiss League für Nachwuchsspieler.