Drei Betroffene erzählen von ihrer Abtreibung
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Frauen über ihre Abtreibung:«Plötzlich wusste es die ganze Schule»

Wie es Frauen geht, die abgetrieben haben
«Es war nie ein Drama für mich»

Abtreibungsgegner führen gerne eine angebliche psychische Gefährdung der Frauen an. Studien sprechen dagegen. Drei Frauen berichten.
Publiziert: 03.07.2022 um 14:35 Uhr
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Aktualisiert: 09.06.2023 um 11:38 Uhr
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In der Schweiz protestierten diese Woche Hunderte Menschen gegen das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA.
Foto: keystone-sda.ch
Camille Kündig

Jede und jeder dürfte eine Frau kennen, die sich für den Abbruch ihrer Schwangerschaft entschieden hat: 2020 gab es in der Schweiz 11'000 Abtreibungen. Aber ihr Gesicht zeigen will kaum eine. 20 Jahre nach der Fristenregelung fürchten Frauen noch immer das Stigma.

In den USA wurde das Recht auf Abtreibung nach knapp 50 Jahren eben erst gekippt. Frauen und auch Männer protestierten diese Woche in mehreren Schweizer Städten dagegen. «Ich mache mir Sorgen», sagt die ehemalige Leiterin des Zürcher Frauenambulatoriums, Theres Blöchlinger (75). Wenn die medizinisch sichere Möglichkeit einer Abtreibung wegfällt, kann es gefährlich werden. «Es dürfte in den USA zu einem Handel mit Abtreibungspillen kommen. Fehlen wird Frauen dabei die fachgerechte Betreuung.»

Initiativen auch in der Schweiz

Hierzulande lancierten Rechtskonservative zwei Volksinitiativen, die Abtreibungen an zusätzliche Bedingungen knüpfen wollen, etwa an eine Bedenkzeit. Blöchlinger lehnt dies entschieden ab: «Frauen machen sich selbst Gedanken vor dem Eingriff, sie brauchen dafür keine Vorschriften.»

Immer noch wird gerne öffentlich behauptet, der Abbruch bedeute für die betroffenen Frauen prinzipiell eine Tragödie, ein psychisches Risiko – sie würden diesen Schritt später bereuen.

Caroline* räumt im Gespräch mit SonntagsBlick mit solchen Vorurteilen auf: «Ich habe vor 30 Jahren abgetrieben und das nie als Drama empfunden.»

Tatsächlich bereuen 95 Prozent der Frauen ihren Entscheid nicht, wie unter anderem eine breit angelegte US-Studie 2020 unter Beweis stellte. Vielmehr hätten diejenigen, die nicht abtreiben konnten, unter seelischen Folgen zu leiden – was sich auch auf das geborene Kind auswirke. Was die meisten der Befragten fünf Jahre nach dem Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft fühlten? Erleichterung.

Diesen Befund unterstützen die Aussagen dreier Schweizerinnen gegenüber SonntagsBlick.

Céline* (30): «Ich möchte kein Mami sein»

«November 2021. Schockzustand. Die Spirale versagte, ich bin schwanger. Obwohl ich weiss, dass ich keine Familie will, wirft es mich aus der Bahn. Der Entscheid könnte mein Leben verändern, überfordert mich. Keine äusseren Faktoren halten mich vom gelungenen Grossziehen eines Kindes ab. Mein Partner und ich lieben uns, wir arbeiten, sind beide in den 30ern. Aber ich möchte kein Mami sein. Ich denke, das Stigma ist noch grösser in meiner Situation. Ich fürchte mich vor der Frage, weshalb wir das Kind nicht behalten. Trotz eigener Überzeugung beginnen meine Gedanken zu rasen. Ich male mir die verschiedenen Szenarien aus, fühle mich unter Druck. Dann spreche ich mit meinem Freund abermals über unsere Wünsche – zum Glück sind wir uns einig. Aber wie läuft eine Abtreibung ab? Oft hört man Horrorstorys. Eine Freundin erzählt mir von ihrer Erfahrung. Ich melde mich bei einer Zürcher Frauenklinik. Nach einem Gespräch erhalte ich Medikamente und Schmerzmittel. Beim Abort will ich allein sein, bin hässig auf die ganze Lage. Ich schlucke eine Pille, bekomme Schmerzen wie bei der Mens, dann ist es raus. Überraschend unspektakulär. Es war kein einfacher Entscheid, aber der richtige. Ich habe realisiert, dass ich diese Tage ohne grössere Mühen durchlebt hätte. Aber der gesellschaftliche Druck flösste mir Angst ein. Ich wünschte, es wäre endlich möglich, offen über das Thema zu sprechen.»

Anna* (32): «Das Gefühl in meinem Bauch fühlte sich falsch an»

«Ich war 21, sass in der Schule und mir war übel. Eine Freundin meinte, ich solle einen Test machen. Nur zur Sicherheit. Hatte ich nicht die Pille ein- oder zweimal vergessen? Schon in der Apotheke wusste ich, was ich tun würde, sollte der Test positiv ausfallen. Beim Blick auf die roten Streifen fühlte ich dann nur eines: Schnell weg damit. Die Ärztin schickte mich allerdings erst mal wieder nach Hause, zwang mich zu einer Bedenkzeit. Das waren schlimme Tage. Das Gefühl, etwas in meinem Bauch zu tragen, fühlte sich falsch an, ekelte mich fast. Ich wusste, meine Familie würde Druck ausüben, also sagte ich nichts. Mein Freund bot an, mitzukommen. Von der Ärztin bekam ich ein Bett und eine Tablette. Minuten später zog sich mein Magen zusammen – fast als hätte mir jemand einen Schlag verpasst. Die Wehen. Auf dem WC begann ich zu bluten, mit dabei ein kleines Gewebeteil. Die Gynäkologin begutachtete es, um sicherzugehen, dass alles Nötige ausgestossen wurde. Dann die erlösende Bestätigung. Ich musste fast weinen vor Glück. Toll ist ein Abbruch nie, aber die subjektiv empfundene, akzeptablere Option. Die Schmerzen waren im Vergleich zur Wartezeit, der Geheimnistuerei und dem Gedanken an eine ausgetragene Schwangerschaft ein klitzekleines Übel. Traurig war ich nie. Ich habe keine Schuldgefühle, kein Trauma und ich stelle mir auch nie vor, was wäre, wenn ich damals ein Baby bekommen hätte. Aber irgendwann möchte ich schon Kinder.»

Caroline* (42): «Es war nie ein Drama»

«Ich habe vor bald 30 Jahren abgetrieben und es keine Sekunde bereut. Längst nicht alle Frauen haben danach ein emotionales Problem. Mit 15 wurde ich von einem Klassenkameraden schwanger. Wir haben nicht verhütet. Für mich war klar: Ich will Kinder. Aber nicht so früh. Dennoch habe ich die Option durchdacht, meinen Entscheid aber doch sehr schnell meiner Mutter mitgeteilt. Sie hat mich unterstützt, mich ins Berner Frauenspital begleitet. Damals existierte die medikamentöse Möglichkeit noch nicht. Das Ärzteteam hat die Schwangerschaft unter Vollnarkose abgebrochen. Ich habe davon nichts mitbekommen. Die zwei Nächte im Spital erlebte ich, als hätte ich einen anderen Eingriff benötigt. Ich empfand das Ganze nie als Drama. Mitgenommen haben mich die Reaktionen der anderen. Plötzlich war die ganze Schule informiert, der Schulschatz hatte es wohl herumerzählt. Hallo sagte mir niemand mehr. Es wurde unerträglich, den Rest des Schuljahres verbrachte ich bei einem Sprachaufenthalt. Ich bin dann mit 26, als Studentin, Mami geworden. Es war ein bewusster Entscheid von meinem Partner und mir. Meine Töchter wissen um den Eingriff, pädagogisch sind mir Sexualerziehung und Frauengesundheit wichtig. Ich weiss auch von vielen Freundinnen, die nach der Familiengründung abgetrieben haben. Auch das ist in Ordnung. Die Frauen in den USA tun mir unglaublich leid.»

* Namen geändert

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