Supreme Court beendet Abtreibungsrecht
Amerika auf dem Sonderweg

Das bundesweite Abtreibungsrecht in den USA ist passé. Die Amerikanerinnen und Amerikaner müssen nun auch um die Verhütung und die Ehe für alle bangen. Das ist schlimm – doch es gibt eine Lösung.
Publiziert: 25.06.2022 um 15:14 Uhr
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Aktualisiert: 25.06.2022 um 15:51 Uhr
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US Supreme Court in Washington D.C.: Nach 50 Jahren wurden hier am Freitag die Abtreibungsrechte zerschmettert.
Foto: AFP
Fabienne Kinzelmann

Millionen von Amerikanerinnen haben den Zugang zur Abtreibung verloren. Am Freitag kippte der Oberste Gerichtshof der USA «Roe v. Wade» und andere Präzedenzfälle, die dieses bundesweite Recht bislang geschützt hatten.

Die Staaten dürfen nun selbst Hand an den Uterus anlegen. Gemäss Daten des Guttmacher Institute will mehr als die Hälfte von ihnen Abtreibungen «sicher oder wahrscheinlich» verbieten. Abtreibungskliniken in vielen Staaten schlossen unmittelbar nach dem Urteil ihre Türen, mindestens 13 Staaten hatten bereits vorab Gesetze erlassen, um Abtreibung illegal zu machen.

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Andere Länder stärkten Abtreibungsrechte tendenziell

Die USA gehen damit einen Sonderweg. Abtreibungsrechte wurden in den vergangenen Jahren weltweit tendenziell gestärkt. Das zeigt auch eine Entscheidung am selben Tag in Deutschland: Dort schaffte eine breite Mehrheit aus den Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP sowie der Linksfraktion im Bundestag das umkämpfte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche ab. Somit dürfen Ärztinnen und Ärzte künftig Informationen über Schwangerschaftsabbrüche öffentlich anbieten, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen.

Nur die Union und die rechte AfD wollten am umkämpften Paragrafen 219a festhalten. Als ob es Abtreibungs-Partys gäbe oder niemand mehr die Pille oder ein Kondom verwenden würde, nur weil frau im Fall der Fälle besser über Anlaufstellen informiert ist. Niemand hat Bock auf eine Ausschabung, wenn es sich vermeiden lässt.

Staat kann Abtreibungen nicht verhindern

Ein Staat mag das Recht auf Abtreibung verwehren können, er kann Ärzte bestrafen, die Frauen dabei helfen – oder, noch schlimmer, die betroffenen Mädchen und Frauen selbst, die vergewaltigt wurden, mit gesundheitlichen Problemen kämpfen oder schlicht mit Armut. Die Abtreibungen selber kann er nicht verhindern.

Sechs von zehn ungewollten Schwangerschaften werden laut Weltgesundheitsorganisation abgebrochen. Annähernd die Hälfte davon sind sogenannte unsichere Abtreibungen: Laut WHO eine dominierende, aber vermeidbare Ursache für Müttersterblichkeit und -morbidität, die zu körperlichen und psychischen Komplikationen sowie zu sozialen und finanziellen Belastungen für Frauen, Gemeinschaften und Gesundheitssysteme führen kann.

Im Klartext: Gibts keine entsprechenden Angebote, sterben oder erkranken einfach mehr Frauen; und es wird teurer für alle. Bisher finden 97 Prozent der unsicheren Abtreibungen in Entwicklungsländern statt – künftig wohl auch zunehmend in den USA, wenn die finanziellen Mittel, das Wissen oder die Zeit fehlen, um auf liberalere Bundesstaaten auszuweichen.

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Supreme Court hat weitere Grundrechte im Visier

Und der unter Trump mit Konservativen und Reaktionären vollgepackte Supreme Court hat bereits andere Grundrechte im Visier. Richter Clarence Thomas stellte unmittelbar ein mögliches Aus für die Ehe von homosexuellen Paaren oder auch ein Ende des Rechts auf Verhütung in den USA in den Raum.

Es hilft nicht, auf die Midterms im November zu hoffen. Auch wenn sich der Angriff auf die Grundrechte auf den Wahlzettel auswirkt – die Namen der Richter am Obersten Gerichtshof selbst stehen nicht darauf.

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Höchste Zeit für mehr Gleichgewicht am höchsten Gericht

Die Demokraten müssen den US-Supreme-Court schleunigst erweitern, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Verfassung beschränkt ihn nicht auf die aktuellen neun Richter, historisch waren es zwischen fünf und zehn.

Es kann gut sein, dass sich Demokraten und Republikaner dann eine Zeit lang eine Art Wettkampf liefern, die Zahl der (schwer parteiischen) Richter steigt und das höchste US-Gericht in der Folge weniger ernst genommen wird. Das ist aber besser als die Entwicklung in den vergangenen Jahren, bei der die Republikaner demokratische Kandidaten hart bekämpften, selbst aber unverhältnismässig viele und parteiische Richterposten besetzen konnten.

Am Ende des Machtkampfs müssen die Parteien an den Verhandlungstisch. Und sich auf neue Regeln für die Auswahl der Richter und die Art der Juristen einigen, die künftig Grundrechte schützen sollen.

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