Auf einen Blick
- 2023 äusserte sich US-Botschafter Scott Miller kritisch zur Schweizer Neutralität
- Mit seinen Aussagen wurde Miller zum Feindbild rechtskonservativer Kreise
- Es folgte ein gepfefferter Mail-Verkehr zwischen Pro-Schweiz-Präsident Stephan Rietiker und Miller
Kaum etwas triggert die SVP mehr, als wenn sich «fremde Vögte», also einflussreiche Ausländer, in Angelegenheiten der Eidgenossenschaft einmischen. So war es auch, als Scott Miller (45), US-Botschafter in Bern, vor anderthalb Jahren im «NZZ»-Interview stichelte: «Die Nato ist gewissermassen ein Donut – und die Schweiz das Loch in der Mitte.»
Miller riet der Schweiz zu einer engeren Zusammenarbeit mit ihren europäischen Verbündeten, kritisierte Berns zögerliche Haltung bei den Sanktionen gegen Moskau oder das Wiederausfuhrverbot für Waffen, die der Ukraine im Kampf gegen Russlands Angriffskrieg fehlten. Die Neutralität, sagte Miller, sei kein statisches Konstrukt. Und hielt fest: «Die Schweiz ist in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.»
Rechte Empörung
Das Interview schlug ein wie eine Bombe. «Ungeheuerlich!», empörte sich SVP-Nationalrat Franz Grüter (61), damals Präsident der Aussenpolitischen Kommission. Und Parteikollege Thomas Aeschi (45) meinte, Aussenminister Ignazio Cassis (63) müsse sich nun überlegen, Botschafter Miller einzubestellen.
An der Mitgliederversammlung der rechtskonservativen Auns-Nachfolgeorganisation Pro Schweiz schmetterte deren Präsident Stephan Rietiker (67, SVP) dem US-Botschafter Miller auf Englisch entgegen: «Möge Ihnen der trockene Donut im Hals stecken bleiben!» Die Einmischung in die Schweizer Innenpolitik sei skandalös, Diplomaten hätten sich an die Gepflogenheiten im Gastland zu halten.
Damit war der Ton gesetzt für das, was noch kommen sollte.
Als es rund drei Monate später hiess, die USA planten die Entsendung von Beamten, um hiesige Firmen unter die Lupe zu nehmen, lupfte es Rietiker endgültig den Deckel. In einem Mail an Miller, das Blick vorliegt, schrieb der Arzt und Unternehmer am 23. Juli 2023: «Pro Schweiz wird nicht tatenlos zusehen, wie die Biden-Administration unsere Souveränität zerstört und unsere Verfassung missachtet.» Die Mehrheit des Schweizer Volks werde eine solche Einmischung niemals tolerieren. Man betrachte ein solches Vorgehen als feindlichen Akt.
Millers Antwort liess nicht lange auf sich warten. Sie bestand lediglich aus zwei Sätzen und beschränkte sich auf eine Definition der Helsinki-Kommission. Deren Korruptionsvorwürfe an die Schweiz waren es, die Rietikers Empörung geschürt hatten. Die Helsinki-Kommission, erklärte Miller, sei ein unabhängiges Gremium des US-Kongresses. «Die Regierung Biden hat keinen direkten Einfluss auf ihre Aktivitäten.»
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Rietiker jedoch, einer der Köpfe hinter der Neutralitäts-Initiative, gab sich damit nicht zufrieden.
Und so führte Millers knapper Bescheid zu einem Austausch von E-Mails, in dessen Verlauf der Pro-Schweiz-Präsident zusehends auf diplomatische Gepflogenheiten verzichtete.
Dass die Regierung Biden es akzeptiere, wenn US-Parlamentarier Dinge tun, die ihnen nicht zustünden, mute seltsam an, schrieb Rietiker – und erhöhte den Druck: «Ich hoffe, dass Sie alles tun werden, um eine ernsthafte Konfrontation zu vermeiden. Es versteht sich von selbst, dass wir derzeit unsere Optionen prüfen, aber wir sind immer offen für einen konstruktiven Dialog.»
Eine implizite Drohung
13 Minuten später erklärte der Botschafter seinem Kontrahenten das Prinzip der Gewaltenteilung in den USA. Was Rietiker dazu veranlasste – 18 Minuten darauf – in den Angriffsmodus zu wechseln: «Bei allem Respekt: Ihre Sicht ist allzu vereinfachend.»
Was wohl geschähe, wenn Schweizer Parlamentarier in die USA reisen, um US-Firmen zu inspizieren, fragte Rietiker – und gab gleich selbst die Antwort: «Diese würden wahrscheinlich verhaftet und verhört werden.» Rietiker schloss sein gehässiges Mail mit einer weiteren rhetorischen Frage: «Perhaps we should consider doing the same????» – Vielleicht sollten wir das auch tun?
Welche Inspektionen er denn meine, fragte Miller schon am Nachmittag zurück.
«Es steht überall in den Zeitungen», so Rietiker prompt: Eine Gruppe von US-Politikern wolle Schweizer Firmen daraufhin überprüfen, ob sie die Sanktionen gegen Russland einhalten. Und setzte im gleichen Tonfall hinzu: «Die Zeiten, in denen Gerichtsvollzieher die Schweizer Bevölkerung kontrollieren, sind ein für alle Mal vorbei.»
Ihm sei von solchen Kontrollen nichts bekannt, beendete der Botschafter den ungewöhnlichen Austausch. Es gebe zwar Treffen auf Arbeitsebene in Genf, die fänden jedoch seit über einem Jahrzehnt statt, da die Rohstoffindustrie sowohl in den USA als auch in der Schweiz stark reguliert sei. «Die Zeitungen haben sehr ungenau über dieses Thema berichtet.»
Etikette missachtet?
Rietikers Parteifreund Grüter hat damals sämtliche Mails im cc mitgelesen. Zu Blick sagt der Nationalrat heute: «Stephan Rietiker hat zu Recht auf einen unhaltbaren Umstand hingewiesen, dass die USA direkt Beamte in die Schweiz entsenden, um Schweizer Unternehmen zu kontrollieren.» Pro Schweiz sei ein privater Verein, Rietiker eine Privatperson. Als solcher habe er sich nicht an diplomatische Gepflogenheiten zu halten.
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten bestätigt diese Sichtweise. Protokollreglemente, so ein Sprecher des EDA, gelten nur für offizielle Vertreter des Bundes. «Für den Kontakt zwischen Bürgern mit diplomatischen Vertretern gibt es keine schriftlichen Weisungen.»
Dennoch sei es auch für Privatpersonen ratsam, die Etikette zu wahren, heisst es in Diplomatenkreisen. Man könne von einem Botschafter nicht erwarten, dass er politisch kontroverse Themen offen diskutiert. Dies sei zu respektieren.
Nur freie Meinungsäusserung
Stephan Rietiker streitet Drohungen an die Adresse des US-Botschafters ab: «Ich habe nicht gedroht und würde mir nie anmassen, dem Botschafter eines fremden Landes zu drohen.» Als Schweizer Bürger müsse es ihm aber erlaubt sein, seine Meinung frei zu äussern. Scott Miller habe sich im Vorfeld des Mail-Wechsels wiederholt sehr undiplomatisch zur Schweizer Neutralität geäussert – «um nicht zu sagen anmassend». Das SVP-Mitglied weiter: «Somit waren klare Ansagen angezeigt.»
Das abschliessende Statement der US-Botschaft zu diesem Hin und Her kommt mit weniger Buchstaben aus als sämtliche Mails zuvor: Über eine Sprecherin lässt die Vertretung in Bern – ziemlich trocken – verlauten: «Die Botschaft der Vereinigten Staaten äussert sich nicht zu Konversationen des Botschafters.»