Seco-Chefin Budliger Artieda wehrt sich gegen Kritik
«Wir betreiben keine Laissez-faire-Politik»

Helene Budliger Artieda spricht über die gescheiterten Panzerexporte und sagt, wie künstliche Intelligenz ihre Arbeit beim Seco erleichtert.
Publiziert: 07.09.2023 um 13:33 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 11:59 Uhr
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Helene Budliger Artieda, Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft, steht seit Amtsantritt unter Druck.
Foto: Keystone
Fabienne Kinzelmann und Andreas Valda
Handelszeitung

Frau Budliger, bei Ihrem Antritt vor 13 Monaten haben Sie Ihren Mann explizit erwähnt, den Sie in Peru kennengelernt haben und der auch als Begleiter bei Ihren späteren Stationen immer eine Rolle spielte. Warum?
Budliger: Ohne ihn wäre das alles ja gar nicht möglich. Er schmeisst den Alltag bei uns, macht Zahlungen und so weiter. Er ist mir wirklich eine moralische Unterstützung. Und – das ist für uns Frauen auch ganz wichtig – er hat immer an mich geglaubt.

Im Gegensatz zur Schweizer Öffentlichkeit.
Ich war ja überall immer das «dark horse». Die grosse Überraschung über meine Ernennung habe ich schon verstanden: Wer ist diese Frau Budliger aus Thailand? Aber manche Ihrer Berufskollegen und Berufskolleginnen nannten mich einen «Betriebsunfall». Es ist Gold wert, wenn Sie jemanden zu Hause haben, der sagt: Doch, du kannst das, mach das, ich unterstütze dich.

Die Pandemie, die Energieknappheit und die Russland-Sanktionen: Sie hatten keine Schonzeit, seit Sie im Amt sind.
Das ist so! Die erste Zeit war Krise, Krise, Krise. Viele sind multiple Krisen, die sich überlappen.

Krise Nummer eins?
Für das Seco ist Covid noch nicht ausgestanden. Wir hatten ja verschiedene Instrumente – die Darlehen, die Härtefallmassnahmen, die Kurzarbeitszeit – und prüfen jetzt, ob diese auch richtig eingesetzt wurden oder ob es Missbrauch gegeben hat. Oder ob die Darlehen zurückgezahlt werden. Teilweise laufen die Fristen bei der Kurzarbeitsentschädigung noch bis Ende 2026 – also bis fünf Jahre nach der letzten Auszahlung.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Was hielt Sie ansonsten am meisten auf Trab?
Als ich das Amt übernahm, herrschte grosse Nervosität im Land wegen der Energie. Und in dem Zusammenhang natürlich auch wegen der Inflation. Dank einer eigenen Währung, weil die Nationalbank rasch reagiert hat, und wegen ein paar anderen positiven Faktoren sind wir vergangenen Winter gut durchgekommen.

Dazu der Krieg in der Ukraine, die Sanktionen, die Exportkontrolle.
Wir hatten in der Botschaft in Kiew auch Lokalangestellte. Da sind wir auch menschlich nahe an diesem Schicksal.

War Ihnen klar, dass Sie so einen Krisenposten antreten?
Ich habe mich vor Kriegsausbruch auf diese Stelle beworben und dachte, so aus der Ferne betrachtet, Covid-19 sei das Schlimmste. Ich hoffte, dass ich, wenn ich dann hierherkomme, die positiven Aufwärtszahlen kommentieren kann. (lacht) Nein, auf so eine Situation kann man sich wirklich nicht einstellen.

Und wie geht es Ihnen damit?
Zum Glück bin ich einigermassen sturm- und krisenerprobt. Und wenn alles immer ganz normal und in geordneten Bahnen laufen würde, bräuchte es mich als Führungsperson auch nicht.

Sie löschen nur Feuer?
Das nicht, aber es ist Bestandteil meiner Tätigkeit. Das war als Botschafterin nicht anders. Auch nicht davor, als ich Ressourcen-Chefin im EDA war. Und es ist mir auch in einer Krise wichtig, immer schon ein paar Meter weiterzudenken. Man darf sich nicht völlig begraben lassen von Druck und Hektik.

Woher kommt Ihre Resilienz?
Das ist bis zu einem gewissen Punkt eine Frage des Naturells.

Kein spezieller Freizeitausgleich?
Im Gegenteil. In einer solchen Funktion versuche ich besser nicht, noch zig andere Dinge in meiner Freizeit zu tun. Man generiert sich manchmal selbst Stress, wenn man das Gefühl hat, man könne montags bis freitags am Abend bei diesem oder jenem Verein mitmachen, ins Kino gehen und einen riesigen Freundeskreis pflegen. Ich habe gelernt, zu verzichten. Aber Arbeit ist für mich auch nicht alles. Ich pendle auch nach Hause in die Zentralschweiz, das ist mir extrem wichtig.

Sie haben 13 Männer und 1 Frau in der Seco-Leitung, wie kommt das?
Das kann ich nicht sagen, die erste Seco-Sitzung war durchaus eine Erfahrung ... Aber so ist das als Führungskraft – man kommt in eine Organisation und arbeitet bestmöglich mit dem bestehenden Team zusammen. Ich freue mich, dass ab 1. Oktober eine erfahrene Frau den Bereich Personenfreizügigkeit und Arbeitsmarktbedingungen übernimmt. Eine absolute Schlüsselstelle, sie wird auch mit Brüssel sprechen.

Jetzt muss das Seco, wie andere Ämter, abspecken. Der Budgetstreit hat ja schon begonnen. Das Seco kostet jährlich 153 Millionen Franken und verantwortet 1,3 Milliarden Franken Bundesausgaben. Angst, dass Ihnen das Parlament Geld wegnimmt?
Die heute noch tiefe Verschuldung der Schweiz ist ein Standortvorteil. Wir unterstützen darum explizit die Schuldenbremse, auch wenn wir etwa beim Eigenaufwand um 2 Prozent kürzen müssen. In unserer jetzigen Situation müssten wir in vielen Bereichen eher aufstocken statt zurückstecken, aber wir werden das schon schaffen, ohne dass wir jemandem kündigen oder sonst irgendwas Verrücktes machen müssten. Als eines der grössten Ämter ist das auch einfacher.

Aber im Sanktionsteam wird weiterhin aufgestockt?
Ja, dort haben wir insgesamt fünf zusätzliche Stellen erhalten – vier direkt im Sanktionsteam und eine im Rechtsdienst für die Verwaltungsstrafverfahren bei Sanktionsverstössen.

Und wer verliert?
Das ist noch nicht ausgemacht, aber wie in der Privatwirtschaft haben wir natürliche Fluktuationen, die wir sozialverträglich nutzen können. Ich finde es als Amtsdirektorin auch eine wichtige Aufgabe, mir zu überlegen, wie viel Geld mir das Parlament zur Verfügung stellt, wo meine Prioritäten liegen und wo ich allenfalls effektiver organisieren kann.

Die gescheiterte Exportbewilligung für die Lieferung von Leopard-1-Panzern der Ruag an Deutschland mit Geldern der Niederlande sorgt für Schlagzeilen. Gab es dafür eine informelle erste Zusage vom Seco, wie Viola Amherd jüngst in einem Interview sagte?
Die gab es, aber mit dem klaren Verweis, dass erst eine fundierte Prüfung im Rahmen einer Voranfrage unter Berücksichtigung aller Tatsachen Klarheit schaffen kann. Weiter kann ich mich nicht dazu äussern, weil aktuell die externe Untersuchung des VBS läuft.

Aber es gab eine informelle Anfrage.
Das ist normal. Das Seco ist nah bei den Unternehmen, uns kann man auch einmal anrufen und gerade im Falle von Dual-Use-Gütern, Kriegsmaterial oder Sanktionen eine unverbindliche Ersteinschätzung einholen. Eine Vorabklärung ist jedoch nicht verbindlich – diesen Disclaimer machen wir jedes Mal. Auch in diesem Fall, das habe ich persönlich geprüft.

Aber die Rede war von einer Ausnahme, die Sie hätten bewilligen können?
Es gab in der Kriegsmaterialverordnung theoretisch eine Möglichkeit, aber die Sanktionen haben das dann verhindert. Die ersten Vorabklärungen, die unser Amt gemacht hat, haben diese theoretische Möglichkeit aufgezeigt. Letztendlich musste das Bundesamt für Justiz die offenen Fragen abschliessend beurteilen. Der Bundesrat hat nach diesem Gutachten das Gesuch der Ruag abgelehnt.

Kritik gehöre dazu, sagt Seco-Staatssekretaerin Helene Budliger Artieda.
Foto: Keystone

Sie wollen trotz Krisen nach vorne schauen. Ist das für die Schweiz und ihre Rüstungsindustrie denn nachhaltig, wenn sie sich so verhält?
Das ist eine hochpolitische Frage und ich bin «nur» eine Angestellte in der Verwaltung. Bei einem Thema, dass die Gesellschaft und das Parlament so spaltet, ist es nicht die Aufgabe des Seco, eine politische Vision zu entwickeln.

Machen Sie dem Bundesrat nicht mal Vorschläge?
Natürlich, aber nur in unseren Fachbereichen und wenn es gewünscht ist. Diese beratende Funktion haben wir. In anderen Bereichen wie dem Klimaschutz können wir uns auch mal mit einer proaktiven Vision positionieren, weil das unser Auftrag ist und wir mit der Zivilgesellschaft zusammensitzen. Kriegsmaterial, Sanktionen und Neutralitätspolitik sind Themen, bei denen eine gesellschaftliche Konversation stattfinden muss.

Sie müssen auch im Ausland immer wieder erklären, dass Sie keine politische Figur sind. Nervt es Sie, dass Sie in den vergangenen Monaten bei Kritik an der Schweiz oft als Prügelfrau herhalten mussten?
Nein, das gehört dazu. Ich muss auch sagen, ich habe das nicht als wahnsinnig belastend empfunden, auch weil ich weiss, dass wir gute Arbeit machen und dass diese Kritik nicht auf handfesten Ursachen beruht.

Der offene Angriff von US-Botschaft Scott Miller hat Sie nicht gestört?
Nein, ich habe übrigens auch ein sehr gutes Verhältnis zu Herrn Miller.

Und dann waren Sie trotzdem nicht sauer?
Nein, das gehört einfach dazu. Er hat seine Meinung, er hat seine Rolle. Ich war ja auch mal Botschafterin, ich verstehe etwas vom Handwerk. Hätte ich das jetzt auch so gemacht, auf die Person geschossen? Wahrscheinlich nicht, aber das ist sein Prärogativ. Und ich habe wirklich ein gutes Verhältnis zu ihm.

Worin zeigt sich das?
Er interessiert sich sehr stark für Berufsbildung, und wir haben zusammen den Campus Sursee besucht, das läuft absolut freundschaftlich.

Aber zum gemeinsamen Glas Wein hat es doch noch nicht ganz gereicht?
(lacht) Sie haben ja gehört, so viel Zeit für private oder halb private Termine habe ich nicht.

Gegen die Angriffe haben Sie sich auch selbst in den Medien gewehrt.
Das habe ich auch gelesen – ich würde «standhalten». Aus meiner Sicht erzähle ich einfach die Faktenlage. Ich wollte auch gar nicht vehement auftreten, ausser vielleicht bei einem Punkt: Es tut mir nämlich für mein Team leid, das wirklich die Extra-Extra-Extrameile geht und dann an unmöglichen Benchmarks gemessen wird. Nach wie vor hat uns niemand glaubhaft aufzeigen können, dass wir auch nur in der Nähe von weiteren unentdeckten 50 bis 100 Milliarden wären, die wir einfrieren müssten.

Im Vernehmlassungsbericht zum neuen Geldwäschereigesetz stehen zahlreiche Probleme, die Sie haben, um versteckte Vermögen aufzuspüren.
Das ist so nicht korrekt. Erstens sind Sanktionen nicht automatisch der gleiche Tatbestand wie Geldwäscherei. Zweitens werden nach den Oligarchen nun immer mehr Leute gelistet, die teilweise in den Provinzen sind oder in der russischen Staatsduma sassen, als der Angriff losging. Ganz offensichtlich haben nicht alle diese Personen einen Bezug zur Schweiz. Aber wir bekommen viele Hinweise, etwa aus dem Ausland und auch von Journalisten und Journalistinnen.

Wo liegt die Schwierigkeit?
Wirklich zu beweisen, welche Person die wirtschaftlich Berechtigte ist. Bei einem Luxuschalet zum Beispiel steht im Grundbuch dann statt eines Namens eine Trustholding, die nicht zwingend in der Schweiz domiziliert ist. Wir forschen intensiv, schauen sogar Scheidungsurkunden und Eheverträge an, sobald wir das Gefühl haben, da ist ein Vermögenswert, den wir eventuell mit einer gelisteten Person assoziieren können. Aber am Ende gibt es dann auch oft noch eine Heerschar von Anwältinnen und Anwälten, die abblockt und sagt, der oder die wirtschaftlich Berechtigte sei eine völlig andere Person.

Dann wird Ihnen das geplante Transparenzregister helfen.
Ja, das begrüssen wir sehr. Die eine oder andere Lücke im Geldwäschereigesetz zu schliessen, ist eine Aufgabe, in der sich die Schweiz verbessern kann.

Ihr Amt hat soeben eine neue, grosse Sanktionsabteilung geschaffen, die mehrere Ressorts zusammenzieht. Wir sehen es als Eingeständnis, dass es bei der Kontrolle des Sanktionsregimes haperte.
Sie liegen falsch. Als der Krieg ausbrach, hatten wir bereits acht Personen, die die damals vorhandenen 24 Sanktionsregimes umsetzten. Die Expertise gab es schon vorher. Im Zuge der Ausweitung der Sanktionen gegenüber Russland haben wir die Export- und Sanktionskontrollen zunächst intern verstärkt. Später erhielten wir vom Bundesrat weitere fünf Stellen bewilligt. Und jetzt erhält das Ressort Sanktionen nochmals fünf Leute. Insgesamt sind wir jetzt bei 25 Vollzeitstellen und drei Teams, inklusive einem neuen Team «Ermittlungen und Durchsetzung».

Das Ermittlungsteam ist neu.
Ja. Der Fokus hat sich verändert. In einer ersten Phase ging es vor allem um die Hilfe für Schweizer Unternehmen, wie Sanktionen umzusetzen sind. Heute geht es primär um die Bekämpfung von Embargoumgehungen. Dies ist die Aufgabe des Teams Ermittlungen.

Simon Plüss, der Leiter dieser «Super-Sanktionsabteilung», sitzt neu auch in der Seco-Geschäftsleitung.
Ja. Mir war es wichtig, diesen hoch politischen Bereich aufzuwerten.

Die Exportstatistik zeigt viel mehr Handel mit den Nachbarländern Russlands, etwa mit Kasachstan. Welche Güter gelangen von der Schweiz illegal über Drittländer nach Russland?
Nach unserem Dafürhalten dürften es gar keine sein. Wir kontaktieren Firmen, bei denen vermutet wird, dass sie Umgehungsgeschäfte tätigen. Wir haben diesbezüglich bereits Hausdurchsuchungen durchgeführt.

Wann und bei wem?
Zu Einzelfällen kann ich nichts sagen. Aber wir betreiben keine Laissez-faire-Politik in dieser Frage.

Welche Güter wurden unerlaubterweise exportiert?
Eine Vielzahl von Gütern. Es gibt allerdings auch gängige Industriegüter, die für alles Mögliche eingesetzt werden können. Bei solchen ist die Sache nicht immer eindeutig.

Eingesetzt werden wofür? Für Drohnen? Für Flugzeugersatzteile?
Etwa für Drohnen, ja. Es gab diverse Berichte darüber, dass gängige Industriegüter aus den USA und aus EU-Ländern über Drittländer nach Russland gelangten, etwa um in Drohnen verbaut zu werden. Solche Exporte aus der Schweiz wollen wir aufspüren und unterbinden.

Ist die Abgrenzung, was sogenannte Dual-Use-Güter sind, schwierig?
Sie ist nicht immer einfach, wir sind dabei auf die Mithilfe von Firmen angewiesen. Ähnlich ist es beim Rohstoffhandel. Es gibt Firmen, die prominent sagten, dass sie von der Schweiz in die Arabischen Emirate, etwa Dubai, umziehen. Wenn sie dort ein unabhängiges Firmenkonstrukt aufbauen, können sie mit Russland handeln. Die Frage, die sich dem Seco stellt: Umgeht eine hier ansässige Rohstoffhandelsfirma Sanktionsbestimmungen, wenn ihre Firma über Dubai handelt?

Wie finden Sie das heraus?
Wir müssen in einem solchen Fall nachweisen, dass das Management der Firma hier angesiedelt ist und die in Dubai ansässige Tochterfirma bloss Aufträge aus der Schweiz entgegennimmt. Wenn aber der Rohstoffhandel einer Schweizer Tochter über die Mutter in Dubai läuft, sind uns die Hände gebunden.

Bei Ihrem Antrittsgespräch vor 13 Monaten betonten Sie Ihre grosse Wertschätzung für KMU. Was haben Sie konkret für diese Firmen unternommen?
Am wichtigsten für mich ist der vereinfachte Zugang von Firmen zu Behörden auf allen Staatsebenen, wenn es um Bewilligungen, Meldungen oder Auskünfte geht. Dieser digitale Schalter heisst Easy-Gov. Ihn haben wir seit meinem Antritt weiter ausgebaut. An zweitwichtigster Stelle steht ein Tool, das Schweizer Firmen helfen soll, den Reporting-Dschungel zu durchblicken. EU-Behörden verlangen immer mehr Rechenschaftsberichte. Hier wollen wir unseren KMU eine Orientierung bieten.

Haben Sie ein Beispiel?
Als Vorbild dient mir Estland. Die dortige Regierung hat ein digitales Tool entwickelt, wodurch Firmen je nach Grösse und Umsatz einfach erfahren, welche Pflichten sie gegenüber Brüssel erfüllen müssen. Das Ziel wäre, Firmen einen Überblick zu verschaffen, damit sie nicht mit Brüssel in Schwierigkeiten geraten.

Sie bieten also vor allem digitale Tools?
Nein, nicht nur. Ich fördere auch die Auslandskontakte. Bei jeder Auslandsmission nehme ich KMU-Vertreter mit, um sie mit ausländischen Ministern oder potentiellen Kunden in Kontakt zu bringen. Diese Nähe von Behörden und Wirtschaft macht die Schweiz aus.

Finanziell fördert der Bund die Industrie kaum. Dies im Gegensatz zu den USA und der EU, die grosse Subventionspakete geschnürt haben. Kann die Schweiz da abseitsstehen?
Der Subventionswettbewerb zwischen den USA und der EU ist ein Schwerpunktthema des Seco. In einem ersten Schritt wollen wir mit Studien herausfinden, was hinter diesen wohlklingenden Programmen tatsächlich steckt. Bisher konnten wir uns nicht des Eindrucks erwehren, dass da viel alter Wein in neuen Schläuchen steckt. Der zweite Schritt wird dann sein, die Wirkung auf die Schweiz darzustellen. Im dritten Schritt werden wir beurteilen, ob wir im Subventionswettlauf mitziehen müssen – oder auch nicht.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Schweiz mitzieht?
Sie ist klein.

Beeinflussen die US-Subventionen im Inflation Reduction Act (IRA) die Schweizer Wirtschaft bereits?
Das werden wir mit dieser Studie herausfinden. Was ich höre, ist, dass die Empfindungen der Schweizer Firmen gemischt sind. Einige sehen in diesem US-Paket ganz grosse Chancen, um dort neue Produktionsstätten anzusiedeln. Umgekehrt gedacht: Es ist nicht mein Auftrag, grossflächige, ausländische Industrieparks mittels Subventionen in die Schweiz zu locken. Beispielsweise Autofabriken. Dafür haben wir weder den Platz noch die nötigen Fachkräfte. In diesem Punkt haben die USA und die Schweiz eine unterschiedliche Ausgangslage. Deshalb kann ich, anders als manche EU-Staatssekretäre, gelassener in die Zukunft schauen. Wir verurteilen diesen Subventionswettbewerb.

Sie waren eben in Indien zu Verhandlungen. Es geht um den seit langem blockierten Freihandelsvertrag. Haben Sie Breaking News?
Nein, aber wir sind in einer intensiven Phase und hoffen, dass wir die Verhandlungen zusammen mit den Efta-Staaten nach 15 Jahren zu einem guten Ende führen können.

Die Maschinenbaubranche will diesen Vertrag seit langem. Die Schweizer Pharma hingegen blockiert ihn, weil Indien keinen wirksamen Patentschutz garantieren wollte. Wer hat sich jetzt bewegt, die Pharmaindustrie oder Indien?
Indien ist bereit, sich zu bewegen. Das Land will der Schweizer Pharma entgegenkommen, weil es selbst eigene Erfindungen schützen will.

Wo stehen die Verhandlungen zum Ausbau des Freihandelsabkommens mit China?
Die Wirtschaft hat den Wunsch nach einer Modernisierung des Abkommens geäussert. Ich habe den Auftrag, neue Verhandlungen zu führen. Anlässlich des G20-Treffens konnte ich mit dem chinesischen Vizehandelsminister Wang Shouwen einen Termin vereinbaren und hoffe, dass ich noch dieses Jahr nach Peking reisen kann.

Wo stehen die Vorschriften zur Investitionskontrolle, die gegen chinesische Investoren gerichtet sind?
Die Bedeutung chinesischer Investitionen in der Schweiz wird massiv überschätzt. 2021 waren bloss 143 Firmen in der Schweiz im Eigentum chinesischer Investoren. Dies sind 0,85 Prozent aller Unternehmen in der Schweiz.

Das Seco wehrt sich gegen Investitionskontrollen, obwohl das Parlament ihm einen solchen Auftrag erteilt hat ...
Das Seco hat dem Parlament Vorschläge gemacht, wie man das Problem lösen könnte. Was am Ende herauskommt, ist offen. Wir sehen das skeptisch. Die Schweiz ist einerseits die zwanzigstgrösste Volkswirtschaft dieser Welt. Sie hat aber geopolitisch kaum Bedeutung. Bisher sind wir sehr gut damit gefahren, wirtschaftlich offen zu sein. Eine Investitionskontrolle wäre ein Abrücken vom Erfolgsmodell.

Kein Erfolgsmodell ist aktuell der Bankensektor. Die CS sorgt für negative Schlagzeilen. 3000 Angestellte sollen entlassen werden. Ihre Reaktion darauf?
Ich bedauere diesen Entscheid. Wir dürfen nicht vergessen, dass hinter jeder Entlassung ein Schicksal, eine Familie steht. Unser Leiter der Direktion für Arbeit, Boris Zürcher, war im Vorfeld mit den Sozialpartnern stark involviert, um die Folgen der Fusion im Arbeitsmarkt zu analysieren. Gleichzeitig sage ich auch: Wir befinden uns in einer Phase einer Fast-Vollbeschäftigung. Qualifizierte Fachkräfte sollten möglichst bald wieder eine neue Stelle finden – gerade im Bankensektor, wo gemäss unseren Angaben momentan mehr als 6000 Stellen nicht besetzt sind.

Sie sprachen von «Fast-Vollbeschäftigung». Hat Boris Zürcher in einer solchen Phase überhaupt noch Arbeit?
Ihm geht die Arbeit sicher nicht aus! (lacht) Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein Team Zürchers ist stark engagiert in der EU-Frage des Lohnschutzes in der Schweiz. Es ist das erklärte Ziel des Bundesrates, diesen Lohnschutz mit Brüssel zu sichern. Im Lead ist das Aussendepartement. Wir gehören zu dieser Arbeitsgruppe. Unsere Aufgabe ist es, innenpolitisch Kompromisse zu finden. Boris Zürcher und sein Team konsultieren intensiv die Sozialpartner und Kantone, damit das Verhandlungsresultat akzeptabel wird.

Die grosse Sorge von Arbeitnehmenden ist, ob die rasche Entwicklung von künstlicher Intelligenz viele Stellen in fünf bis zehn Jahren überflüssig macht. Hat das Seco Schätzungen zu den Folgen für den Arbeitsmarkt?
Nein, wir haben die Frage nicht studiert. Ich verstehe die Ängste, die KI auslöst. Aber meine Sorge ist nicht das, sondern eher der Mangel an Fachkräften und dass mit den Babyboomern immer mehr in Pension gehen und aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Ich sehe mit der KI sogar eher Chancen. Ich sage immer: Mein Lieblingsmitarbeiter heisst Jari.

Wer ist Jari?
Jari ist eine Prozessautomatisierung, die wir intern entwickelt haben, um die Corona-Darlehen zu bewältigen. Wir hatten anfänglich so viele Anfragen, dass wir sie unmöglich stemmen konnten. Also liessen wir Jari programmieren.

Eine Art Siri für das Seco?
So ungefähr. Die schwierigste Herausforderung für Jari war – Sie lachen jetzt bestimmt –, eine Personalnummer zu erhalten, damit er sich selbstständig in die Computersysteme und Datenbanken einloggen kann. Aber jetzt öffnet er Tag und Nacht selbstständig E-Mails, nimmt Gesuchsformulare entgegen, legt Dokumente ab und arbeitet, ohne je zu reklamieren. Er weist auf Fehler hin und erstellt Excel-Listen. Die Vorgesetzten lieben Jari.

Und sie mussten keine Zusatzstellen anfordern.
Genau. Eine solche Automatisierung schafft es, riesige Mengen an Daten zu verarbeiten, und ersetzt Menschen bei stark repetitiven, um nicht zu sagen, langweiligen Arbeiten. Ich sehe in der Anwendung eine Chance für die Schweiz, den Personalmangel zu lösen und die Migration zu begrenzen.

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