Die Zahlen des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit sind deutlich: Immer mehr Güter aus der Schweiz werden nach Zentralasien exportiert. Im vergangenen Jahr stiegen die Exporte nach Armenien um 170 Prozent, nach Kasachstan um 39 und nach Usbekistan um 24 Prozent. Sie sind vor allem auf Pharma-Exporte zurückzuführen, wie die SRF-«Tagesschau» zuerst berichtete.
Auch dieses Jahr wachsen die Exporte in diese Länder weiter – bis zu 30 Prozent und mehr. Zusätzlich zu den Pharmaprodukten liefern Schweizer Firmen vermehrt auch Uhren, Präzisionsinstrumente, Bijouterie und Maschinen. Auffällig: Alle Länder haben eines gemeinsam – sie befinden sich in unmittelbarer Nähe zu Russland. Das weckt den Verdacht auf Umgehungsgeschäfte.
Denn: Der Exportboom in besagte Länder ist hauptsächlich auf die Sanktionen gegen Russland zurückzuführen. Luxusgüter wie Uhren, Schmuck oder Kaviar stehen unter anderem auf der Russland-Sanktionsliste des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco).
EU und USA ebenfalls auf der Lauer
Auch in der EU beobachtet man, dass Exporte in russische Nachbarstaaten teils stark gestiegen sind. Das elfte EU-Sanktionspaket vom Juni soll darum in erster Linie die Umgehung bereits bestehender Sanktionen unterbinden.
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Und auch die USA sind alert. Nachdem sie vor Kurzem ein russisches Zahlungssystem für Geschäfte zwischen Russland und den Nachbarstaaten sanktioniert haben, stellten kasachische und usbekische Banken entsprechende Zahlungen ein.
«Anstiege in den Exportzahlen für bestimmte Güter können ein Anzeichen für Umgehungsversuche von Gütersanktionen sein», heisst es beim Seco zum Exportanstieg von Luxusgütern. Oft seien aber über die Jahre starke Schwankungen in den Exporten zu verzeichnen, und bei relativ kleinen Exportvolumen könnten auch einzelne Aufträge die Statistik massgeblich beeinflussen.
Seco hat bereits kritische Exporte verhindert
Exporte seien vielmehr dann besonders heikel, wenn sie Dual-Use-Güter beträfen. Das sind Güter, die sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden können. Für sie besteht eine Ausfuhrbewilligungspflicht. «Die Gesuche werden nebst auf Endverwendung und Endempfänger auch dahingehend geprüft, ob die Güter nach kritischen Drittstaaten weitergeleitet werden», heisst es beim Seco.
So seien etwa russische Beschaffungen von sensiblen Gütern über Kasachstan, Usbekistan und Armenien bereits verhindert worden. «Es handelt sich hier insbesondere um Werkzeugmaschinen und andere Industriegüter, die für militärische Zwecke eingesetzt werden können.»
Alberto Silini (49), Senior Director Global Consulting beim Exportförderer Switzerland Global Enterprise, bestätigt den Export-Trend. «Seit den Sanktionen gegen Russland verfolgen Schweizer KMU – vor allem in der Konsumgüter- und Med-Tech-Industrie – neue Strategien und versuchen auch ausserhalb von Russland, neue Märkte zu erschliessen.
Russische Firmen in Abnehmerländer
«Schweizer Firmen sind genügend sensibilisiert, um zu wissen, welcher Reputationsschaden neben den rechtlichen Konsequenzen droht, wenn sie sich an Umgehungsgeschäften beteiligen», beurteilt Silini die Lage.
Und doch: Man habe festgestellt, dass in verschiedenen Nachbarländern Russlands Firmen russischer Herkunft entstanden seien. «Wir raten darum den Schweizer KMU, Partnerschaften immer genau zu prüfen und den Leistungsausweis der Partner zu verifizieren.»
Auch bei Swissmem, dem Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, gebe es keine Hinweise darauf, dass Firmen aus der Branche bewusst Umgehungsgeschäfte getätigt hätten, wie es auf Anfrage heisst. «Wir schulen, sensibilisieren und beraten unsere Mitgliedsfirmen schon seit Beginn der Sanktionen gegen Russland regelmässig über die geltenden Exportbestimmungen und das Risiko von Umgehungsgeschäften.»
«Bundesrat muss endlich klar Stellung beziehen»
Die Schweizer Exporte in russische Nachbarländer ruft auch die Politik auf den Plan. Gemäss der Mitte etwa bestehe die Gefahr, dass die Sanktionen gegen Russland umgangen würden. Sie forderte darum: «Wir brauchen eine kohärente und umfassende Sanktionspolitik der Schweiz, die solche Umgehungsgeschäfte verhindert.»
«Das ist eine beunruhigende Entwicklung», findet die Aargauer Mitte-Nationalrätin Marianne Binder (65). Denn: «Die Schweiz steht derzeit durch ihr Verhalten international unter Beobachtung. Lavieren fällt uns auf die Füsse.» Neutralität schütze uns nicht vor dem klaren Bekenntnis, wohin wir gehörten. Nämlich zur westlichen Rechtsstaats- und Sicherheitsarchitektur.
«Ich erwarte endlich eine klare Strategie und eine transparente Kommunikation des Bundesrats. Das gehört zu seinen Führungsaufgaben», so Binder. Er müsse deklarieren, was er in der Kooperation tue, um die Interessen unseres Landes zu schützen. «Die Schweiz darf international nicht unter Druck geraten.» (oco)