Während sie die Schweiz kritisieren
So tricksen USA und EU bei den Russland-Sanktionen

Der Schweiz wird vorgeworfen, die Sanktionen gegen Russland nicht hart genug umzusetzen. Lücken und Kniffe gibt es auch in anderen Ländern.
Publiziert: 22.08.2023 um 21:24 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 13:49 Uhr
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Das Ausland erhöht den Druck auf die Schweiz: Bundesrat Guy Parmelin während einer Medienkonferenz zur Übernahme von EU-Sanktionen gegen Russland und Belarus im April 2022.
Foto: keystone-sda.ch
Stefan Barmettler
Handelszeitung

Das Schreiben, das die Botschafter der USA, Frankreichs, Italiens, Japans und Grossbritanniens am 6. April 2023 in der Schweiz deponierten, enthielt dicke Post. In dem Brief kritisierten sie, dass die Schweiz im Umgang mit Oligarchen-Geldern «ungenügend» durchgreife. Zudem sei man besorgt, dass die Schweiz zu wenig Russengelder einziehe.

Vergessen ging bei der schrillen Kritik, dass die Schweiz längst EU-Sanktionen übernimmt und durchsetzt – oft schneller und konsequenter als die meisten EU-Staaten. Auch der US-Botschafter in der Schweiz, Scott Miller (44), massregelte die Schweiz öffentlich.

Ein Blick in die Details zeigt jedoch, dass selbst die USA sowie ihre wichtigsten Verbündeten bei der Umsetzung der eigenen Sanktionen oft fragwürdig agieren. Es geht um Landesinteressen, Kulissenschieberei und gar um Sanktionsprofit. Im Folgenden sind sechs Beispiele beschrieben, wie die USA, die EU und Grossbritannien ihre eigenen Sanktionen aushebeln.

Wie der russische Konzern von der US-Liste verschwand

Die USA setzten im April 2018 den zweitgrössten Aluminiumhersteller der Welt, die russische Rusal, auf die Sanktionsliste. Worauf der globale Aluminiumpreis an den Warenbörsen um über 20 Prozent nach oben schoss. Die zuständige US-Sanktionsbehörde Office of Foreign Assets Control (Ofac) begründete die Sanktion Rusals mit deren «bösartigen Verhalten» («malign activities»).

Doch ein Jahr später drehte die Stimmung. Der US-Autobauer Tesla hatte interveniert und verlangte eine Streichung Rusals von der Liste, wie mehrere US-Medien schrieben. Tesla-Chef Elon Musk (52) führte ins Feld, die E-Auto-Firma habe einen Liefervertrag mit Rusal für das Model Y unterschrieben, und ein Ausfall würde Geld und Arbeitsplätze kosten. Und siehe da: Mitte April 2019 kassierte Donald Trump (77) die Sanktionen, die er ein Jahr zuvor gegen Rusal dekretiert hatte; bald darauf begann Rusal mit der Belieferung von Tesla.

Überrascht und erfreut dürfte Viktor Vekselberg (66) über den Entscheid gewesen sein, denn Vekselberg ist Mitgründer und Altaktionär von Rusal. Der Russe, der auch in der Schweiz investiert ist (Sulzer, Oerlikon, Züblin), figuriert seit Herbst 2018 auf der Sanktionsliste der USA, wegen angeblicher Geschäfte in der Energiewirtschaft Russlands – aus denen war er bereits 2012 ausgestiegen, als er seine Beteiligung am Joint Venture TNK-BP an den russischen Staatsbetrieb Rosneft verkaufte und Milliarden kassierte. Die britische BP stieg derweil nicht aus dem Russland-Geschäft aus. Im Gegenteil, sie beteiligte sich mit 20 Prozent an Rosneft – und blies erst im Februar 2022 zum Rückzug, nach der Invasion der Russen in der Ukraine.

General Electric als Sanktionsgewinnler

Seit Beginn des Angriffskriegs haben sich viele Westfirmen aus Russland zurückgezogen, darunter Siemens, Oerlikon oder Sulzer. Während Siemens und Sulzer hunderte Millionen abschrieben, blieb der US-Konzern General Electric mit reduzierter, aber prominenter Präsenz vor Ort. Die US-Firma fokussierte auch nach Kriegsbeginn auf Energie-Dienstleistungen und auf das Joint Venture Russian Gas Turbines, das Turbinen produziert und auf Expansionskurs ist.

Der Exit der Europäer war ein Fressen für die Amerikaner. Denn Siemens verkaufte sein Turbinengeschäft an den russischen Energiekonzern Inter RAO, welcher der Joint-Venture-Partner von GE bei Russian Gas Turbines ist. Gemäss «Wirtschaftswoche» übernahm GE in der Folge das Service-Geschäft von Siemens. Das ist offenbar auch bei der Tochterfirma Siemens Healthineers der Fall.

Was auch auffällig ist: Während die Europäer ihren ihr Geschäft mit Russland radikal runterfahren, steigert GE den Export. Die Vermutung der Deutschen liegt auf der Hand: GE, die nach dem Exit der Europäer profitiert, erhielt von der US-Sanktionsbehörde Ofac eine Ausnahmebewilligung, um in Russland weiter Geschäfte zu treiben. Ganz legal. Selbst das Joint Venture Russian Gas Turbines produzierte lange weiter. Erst dieser Tage, nachdem die USA die Sanktionen gegen die russische Energiewirtschaft verschärften, musste auch GE definitiv aus dem Russland-Mark aussteigen. Einen Schritt, den Sulzer und Siemens bereits vor einem Jahr einleiteten.

80 Ausnahmen für Londons Oligarchen

Grossbritannien zeigt sich besonders eilfertig beim Sanktionieren von Russen, von denen viele sich in «Londongrad» niedergelassen haben. So haben die Briten über 100 Millionarios aus Moskau auf ihre Sanktionsliste gesetzt und Vermögenswerte von gegen 20 Milliarden blockiert. Was man aber nie offenlegte: Das britische Finanzministerium vergibt Sonderlizenzen, dank denen sanktionierte Russen weiterhin einen (beschränkten) Zugriff auf ihre Vermögenswerte haben. Gemäss «New York Times» hat die britische Sanktionsbehörde Ofsi bislang 82 Lizenzen ausgegeben, zur Bestreitung der «Grundversorgung». Darunter fallen die Finanzierung von Villen, von üppigen Haushalten, von lokalem Personal, Bodyguards, Chauffeuren oder Köchen.

So können reiche Russen, deren Vermögenswerte eigentlich eingefroren sind, über bis zu einer Million Pfund pro Jahr verfügen. Ziel sei es, «individuelle und britische Geschäftsinteressen zu schützen», wie die Ofsi in ihrem jüngsten Rechenschaftsbericht schreibt. Dabei gehe es bei der Lizenzvergabe stets um «Grundbedürfnisse oder strategische oder administrative Wichtigkeit», eine Formulierung, die ziemlich viel zulässt. Was den US-Aktivist William Browder (59) toben lässt: «Die britische Regierung gibt den Oligarchen volle Unterstützung, um die eigenen Sanktionen umgehen zu können.»

Während die Briten und die Amerikaner unter der Hand Sondergenehmigungen gewähren, tun sich die Europäer schwer. Denn bei Sanktionen braucht es in der EU Einstimmigkeit, diese ist aber schwierig hinzukriegen. Der Grund: «Die nationalen Behörden haben viel weniger Spielraum, die Mitgliedsstaaten misstrauen sich gegenseitig», zitiert die «Wirtschaftswoche» Bärbel Sachs, Sanktionsexpertin bei der Anwaltskanzlei Noerr in Berlin. Ergo wenden die Europäer ihre Sanktionen viel strenger an als die USA oder Grossbritannien. Weil die Schweiz jene der EU umsetzen, gilt das auch für sie.

Belgien: Kein Handelsstopp mit russischen Diamanten

Antwerpen in Belgien ist seit Jahrhunderten der weltweit wichtigste Handelsplatz für Rohdiamanten, von denen ein Drittel aus Russland stammen. Seit Kriegsanfang streiten die USA mit der EU darüber, wie dieser Devisenbringer für Wladimir Putin (70) unterbunden werden kann, der jährlich 4,5 Milliarden Franken in seine Kasse spült. Denn einer der grössten Akteure im weltweiten Diamantengeschäft ist der russische Minenkonzern Alrosa.

Doch bis heute stemmt sich die Regierung Belgiens gegen ein Handelsverbot, mit dem Argument, ein Stopp würde die Wirtschaft Belgiens schädigen, zudem würde der Handel auf Indien, Dubai oder Abu Dhabi ausweichen. Die Belgier schlagen stattdessen eine globale Lösung vor, indem ein Rückverfolgungszertifikat sämtlicher Rohdiamanten im Rahmen der globalen Plattform Kimberley Process durchgesetzt wird.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Ein guter Plan, dagegen aber stemmen sich die Kimberley-Process-Mitglieder Russland, China, Weissrussland, Kirgisien, Mali und Niger. So ist es bis heute möglich, dass Rohdiamanten vom russischen Staatskonzern Alrosa in Antwerpen gehandelt, in Indien geschliffen und in den USA verkauft werden.

Selbst die Amerikaner machen bei diesem «Blood diamonds»-Geschäft mit, weil die Rohdiamanten in einem Drittland «substanziell transformiert» wurden und damit gemäss US-Embargo-Gesetz nicht mehr als russischen Ursprungs gelten. Es ist eine sonderbare Sanktions-Logik: Der Handel mit russischem Gold ist gemäss US- und EU-Sanktionen untersagt, der Handel mit Diamanten aus Russland aber nicht. Der Widerstand der Belgier hat gewirkt, die um ihre Profite fürchteten.

Italien lässt Oligarchensohn fliehen

Italiens Rechtsregierung tut sich seit jeher schwer mit Sanktionen gegen Russland. Innenminister Matteo Salvini (50) strahlte 2017 im Putin-T-Shirt vor der Kremlmauer und wiederholt bis heute, was ein Grossteil seiner Landsleute denken: «Wer sanktioniert wird, ist der Gewinner, wer sanktioniert, der Verlierer.» Diese Denke widerspiegelt sich in der Sanktionspolitik Italiens, die – je nach Interessen – vehement oder lasch ist. Beim Aushandeln des 10. Sanktionspakets der EU im Frühling 2023, als die Quote für den Export von synthetischem Gummi aus Russland gesenkt werden sollte, hielt Italien dagegen, zum Schutz des Mailänder Pirelli-Reifen-Konzerns. Und sie hatten Erfolg.

Lasch ist dagegen der Umgang mit Oligarchen. Zwar hat Rom – EU-sanktionskonform – den Oligarchensohn Artem Uss auf dem Flughafen Malpensa in Mailand verhaftet. Uss ist der Sohn des Putin-Vertrauten Alexander Uss und kaufte im Westen Kriegsgüter, die er über Umwege nach Russland schmuggelte.

Nach einem Gerichtsentscheid diesen Frühling vor einem Mailänder Gericht wurde dem von den USA gejagten Uss junior Hausarrest auf seinem Landgut gewährt. Von dort floh er Ende März via Serbien nach Russland, wie die «New York Times» dieser Tage enthüllte. Uss senior verkündete nach der geglückten Flucht im russischen TV: «Warme Worte des Dankes gehen an unseren Präsidenten.» Die USA hatten sich zu früh gefreut. Sie hofften, mit dem Pfand Uss junior den in Russland eingekerkerten «Wall Street Journal»-Journalisten Evan Gershkovich austauschen zu können.

Auch wird die Superjacht Scheherazade, die gemäss «Financial Times» Putin gehören soll, derzeit im Hafen von Marina di Carrara in der Toskana überholt. Nachgefragt haben die Behörden bislang nicht, so genau will man es gar nicht wissen. Italien hat russische Vermögenswerte von 2 Milliarden blockiert, genauere Angaben liefert die zuständige Banca d'Italia nicht.

Die Schweiz nannte letztes Jahr 7,5 Milliarden, dazu 15 Villen. Mittlerweile dürften es mehr sein. Während die Schweizer Zahlen publizieren, ist unbekannt, wieviel Vermögen von sanktionierten Russen die USA bislang blockiert haben. Das aber hindert Botschafter Scott nicht daran, harte Kritik am Verhalten der Schweiz zu äussern.

Griechenland schützt seine unheimliche Tankerflotte

Es ist in der Seelogistik ein offenes Geheimnis, dass eine Schattenflotte illegalerweise Rohöl und Erdölprodukte aus Russland durch die Weltmeere schippert. Der EU ist das längst ein Dorn im Auge; sie will dieses Treiben mit Sanktionen unterbinden, doch sie scheiterte bislang stets am Widerstand der EU-Staaten Griechenland, Zypern und Malta.

Besonders die Griechen sind tüchtig in diesem trüben Geschäft. Kürzlich haben sie sogar noch gepunktet: Um die 11. Sanktionsmassnahmen der EU einstimmig durchzubringen, musste Brüssel den Griechen ein Goodie gewähren, nämlich griechische Tankerfirmen von einer wichtigen Sanktionsliste zu kriegen.

Und das ging so: Brüssel machte mächtig Druck bei den Ukrainern, welche die Liste der «internationalen Kriegssponsoren» führen. Darauf haben die Ukrainer fünf Reedereien aus Griechenland aus der Schand-Liste gestrichen, darunter Dynacom, Delta Tankers oder Minerva Marine, alles Firmen, deren Tanker entgegen allen internationalen Sanktionen heisse Ware aus Russland in Drittstaaten liefern und so Aggressor Russland zu Devisen verhelfen.

Die Streichung von der Liste ist sehr geschäftsrelevant, denn die Kriegssponsoren-Liste der Ukrainer ist in die führende Datenbank «World-Check» eingebunden. Mit der World-Check-Liste prüfen Banken und Versicherungen in aller Welt das Gegenparteienrisiko. Wer darauf figuriert, hat schlechte Karten bei Versicherungen und Banken. Als die griechischen Tankerfirmen schliesslich von der Sanktions-Liste verschwanden, stimmte Griechenland im Juni dem 11. Sanktionspaket zu, das die EU am 23. Juni ankündigte, nachdem es «einstimmig» angenommen worden war. Ein Sieg für Griechenland.

Ohnehin kann das EU-Mitglied Griechenland wenig mit den EU-Sanktionen anfangen; bislang hat das Land, in dem sich viele vermögende Russen wohl fühlen, gerade mal russische Vermögenswerte in der Höhe von 212’201 Euro eingefroren. Also nichts.

Gleichwohl hat es Griechenland besser als die Schweiz: Während Bern letzten April an den Pranger gestellt wurde, erhielten die Griechen, die jede Russland-Sanktion torpedieren, bislang keinen Rüffel – weder aus Washington noch aus London oder Brüssel.

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