Kurz vor dem G7-Gipfel in Italien und der Bürgenstock-Konferenz in der Schweiz ziehen die USA gegenüber Russland die Daumenschrauben weiter an. Weil die bisherigen Sanktionen zu wenig Wirkung zeigen, werden jetzt andere Massnahmen ergriffen. Diesmal, so prophezeien Experten, dürften sie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (71) richtig wehtun.
Diese sogenannten Sekundärsanktionen richten sich gegen 300 Personen und Unternehmen nebst in Russland auch in China, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emirate, die dem Kreml Hand bieten, die bisherigen Sanktionen zu umgehen. Es seien Stellen, die Russland unterstützten, Material fürs Schlachtfeld herzustellen, hiess es aus dem Weissen Haus. Dazu gehörten unter anderem Banken und Netzwerke.
Ein grosser Handel mit Russland erfolgt vor allem über China, das selber keine Sanktionen gegen Russland ergriffen, sondern vielmehr eine strategische Partnerschaft beschlossen hat. Laut den US-Behörden ist China der führende Lieferant wichtiger Komponenten für den Krieg und die Entwicklung des Energiesektors, etwa bei der Förderung von Flüssiggas in der Arktis.
Aus China werden nicht nur einheimische Produkte geliefert, auch westliche Waffen-Technologien finden via Umweg über China nach Russland.
Der Beschluss zu den Sekundärsanktionen erfolgte unmittelbar vor Joe Bidens (81) Besuch in Italien, wo die G7-Staats- und Regierungschefs von Donnerstag bis Samstag darüber beraten, wie man die Ukraine unterstützen könnte. Schon am ersten Tag wurde beschlossen, mithilfe von Zinsen aus eingefrorenem russischem Staatsvermögen ein Kreditpaket im Umfang von etwa 50 Milliarden US-Dollar zu finanzieren.
Inflation ist am Steigen
Für Ulrich Schmid, Russland-Experte an der Uni St. Gallen, steht fest: Russland wird diese Sekundärsanktionen zu spüren bekommen. Schon die bisherigen Sanktionen würden Moskau zu einem gewissen Grad schmerzen, meint Schmid. «Die Inflation ist wieder auf acht Prozent gestiegen. Das merken die Konsumenten.»
Mit den neuen Sanktionen werde es schwieriger für Putin, sein Normalitätsversprechen zu halten. Er hatte immer beschwichtigt, dass die «Spezialoperation nichts am normalen Leben» ändere. Weil die Sekundärsanktionen auch auf ausländische Kredite abzielten, werde es klar schwieriger, den teuren Ukrainekrieg zu finanzieren.
Mangel an Mikrochips
Auch Vasily Astrov, Russland-Experte beim Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), ist von der Wirksamkeit überzeugt. In seiner Frühjahrsprognose schreibt Astrov, dass die immer schärferen Sekundärsanktionen des Westens für Russland «kurzfristig zum Problem» werden dürften.
Astrov: «Wenn türkische Banken, wie kürzlich geschehen, plötzlich keine Zahlungen mehr für russische Importe annehmen und auch Transaktionen in chinesischen Yuan schwieriger werden, könnten Russland sehr bald wichtige Maschinen und Bauteile aus dem Westen wie etwa Mikrochips fehlen.»
Astrov warnt aber vor zu viel Hoffnung. Die Steuereinnahmen – vor allem aus dem Öl- und Gasgeschäft – sprudelten im ersten Quartal 2024. Putin werde das Geld nicht ausgehen, meint er – jedenfalls vorderhand nicht. Astrov: «Für die russische Wirtschaft stellt sich eher die Frage, was nach dem Krieg kommt, da sie momentan vollkommen von ihm abhängig ist.»
Und die Schweiz?
Die Schweiz hat sich bisher praktisch immer an EU-Sanktionen beteiligt. So sind auch russische Vermögenswerte in der Höhe von 5,8 Milliarden Franken, 17 Liegenschaften sowie Luxusautos gesperrt worden.
Sind nun auch die scharfen US-Sekundärsanktionen Bern ein Thema? Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) schreibt auf Anfrage, dass Sekundärsanktionen aus völkerrechtlichen Gründen schwierig anzuwenden seien. «Bis heute wurden US-Sanktionen von keinem europäischen Land übernommen. Dies gilt auch für die Schweiz.»