Der Bundesrat schreitet locker auf seinem Lockerungskurs voran. Homeoffice- und Quarantäne-Pflicht sind seit Donnerstag Geschichte. Und schon am 17. Februar steht der nächste – allenfalls grosse – Öffnungsschritt an.
Doch auch wenn Bundespräsident Ignazio Cassis (60) am Mittwoch von einem «schönen Tag» sprach, erinnerte er daran: «Die Pandemie ist noch nicht vorbei.» Auch wenn man ein Licht am Horizont sehe, betonte der Tessiner: «Impfen und Boostern ist nach wie vor das wirksamste Mittel, um Krankheit, Leiden und Tod zu vermeiden.»
Es sei nämlich nicht auszuschliessen, dass neue Varianten auftauchen und die Situation verschlimmern würden – gerade mit Blick auf den kommenden Herbst. Umso wichtiger sei eine hohe Immunität der Bevölkerung.
Impflücke als Problem
Und hier kommt der Impfung weiterhin eine grosse Bedeutung zu. Experten fürchten sich nämlich nicht nur vor neuen Varianten, sondern auch vor einer Rückkehr der gefährlicheren Delta-Variante im Herbst. Dann wird die Impflücke zum Risiko.
Genau davor warnt der deutsche Star-Virologe Christian Drosten (49) diese Woche in seinem «Coronavirus-Update» beim deutschen Radiosender NDR Info. Gerade für Ungeimpfte bleibt ein gewisses Risiko, auch wenn sie sich mit der Omikron-Variante infiziert haben.
Drosten macht im Podcast deutlich, dass eine Omikron-Infektion keinen Schutz gegen die früheren Corona-Varianten biete – insbesondere die heiklere Delta-Variante. Der Virologe verweist dabei auf eine Aussage des deutschen Gesundheitsministers Karl Lauterbach (58). «Omikron ist eben keine schmutzige Impfung, das ist kein Ersatz für die Impfung», zitiert er den SPD-Minister. Bei Omikron und Delta handle es sich eben um verschiedene Serotypen, so Drosten. Das «alte» und das «neue» Virus würden sich also unterscheiden.
Delta-Comeback im Herbst?
Um sich vor den Folgen einer Delta-Infektion weiterhin zu schützen, brauche es deshalb weiterhin die Impfung, redet Drosten den Ungeimpften ins Gewissen. Konkret: «Wenn man sich jetzt als nicht Geimpfter mit Omikron infiziert und sich dann sagt: ‹Na ja, jetzt habe ich es ja hinter mir, jetzt muss ich mich ja nicht mehr impfen lassen.› Das stimmt nicht.»
Trotz der Omikron-Welle ist nicht ausgeschlossen, dass frühere Corona-Varianten eben nicht ganz aus der Welt verschwinden – und im Herbst oder Winter zum Comeback ansetzen. Die Impflücke sei gerade bei den über 60-Jährigen mit 11 Prozent noch zu hoch, so Drosten: «Das ist das deutsche Problem, und daran wird sich der nächste Winter bestimmen.» Umso entscheidender sei eine weitere Steigerung der Impfquote.
Auch ein Schweizer Problem?
Fragt sich also: Ist das deutsche Problem auch ein Schweizer Problem? Schaut man sich die Impfquoten an, ist das Schweizer Problem sogar noch grösser. In Deutschland sind aktuell rund 74 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, hierzulande erst 68 Prozent. Immerhin liegt die helvetische Impfquote bei den über 65-Jährigen bei 91 Prozent, doch erst knapp 75 Prozent haben sich den Booster geholt.
Der ehemalige Basler Kantonsarzt Thomas Steffen (60) will noch nicht so weit gehen wie Drosten. «Das wird im Moment noch wild diskutiert», sagt er auf die Frage, ob die Omikron-Infektion allenfalls vor weiteren Ansteckungen schütze. «Man kann aber davon ausgehen, dass Omikron der Abwehr insgesamt hilft, da wir das Virus besser kennen und besser damit zurechtkommen.»
Steffen deutet Drostens Aussage so: «Wie weit das geht, ob das auch in ein paar Monaten noch hilft, das wissen wir nicht.» Deshalb sei Euphorie im Moment noch nicht angezeigt, sagt er, «auch wenn durchaus etwas Aufbruchstimmung uns gerade allen guttut».
Klar ist für ihn jedenfalls, dass man sich keinesfalls absichtlich mit Omikron anstecken lassen soll. «Sich mit etwas anstecken zu lassen, von dem man nicht genau weiss, was es mit einem macht, ist keine gute Idee», so Steffen. «Für die einzelne Person ist das schlicht ein zu grosses Risiko.»