Viele Einigungskonferenzen nötig
Ständerat und Nationalrat zofften sich wie nie zuvor

Der Nationalrat ist bei den Wahlen 2019 bunter geworden, der Ständerat konservativer. Das wirkt sich auch auf das Verhältnis zwischen den beiden Kammern aus. Sie zofften sich wie nie zuvor.
Publiziert: 30.09.2023 um 13:00 Uhr
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Der Nationalrat ist bei den Wahlen 2019 vielfältiger geworden.
Foto: keystone-sda.ch
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

So oft hat es im Bundeshaus noch nie geknallt zwischen National- und Ständerat wie in der laufenden Legislatur. Zumindest, wenn man die Zahl der Einigungskonferenzen zwischen den beiden Kammern als Massstab nimmt. 30 Mal musste sich in den vergangenen vier Jahren eine Delegation aus beiden Räten ins kleine Kämmerchen zurückziehen, um doch noch eine gemeinsame Lösung auf den Tisch zu bringen. Das ist ein neuer Rekord! 

Eine Einigungskonferenz wird erst nötig, wenn sich die beiden Räte derart in die Haare geraten, dass sie auch nach einem dreimaligen Hin-und-Her nicht einig geworden sind. Dann versucht ein gleichmässig aus National- und Ständeräten zusammengesetzter Sondertrupp, die Vorlage fertig zu basteln und so zu retten. Immerhin 27 Mal nickte das Parlament den Kompromiss schliesslich ab. Dreimal hingegen scheiterte ein letzter Deal am endgültigen Njet mindestens einer Kammer. Zuletzt war dies beim Asylcontainer-Vorschlag von SP-Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider (59) der Fall, welchen eine Ständeratsmehrheit aber von Beginn weg torpedierte und schliesslich versenkte. 

SP-Bundesräte unter Druck

Was auffällt: Geschäfte aus den von SP-Bundesräten geführten Departementen waren besonders heftig umstritten. Oft musste dabei Innenminister Alain Berset (51) zittern. Gleich mehrmals zofften sich die beiden Kammern um die Details seiner Covid-Gesetzgebung – mal ging es um Hilfsgelder, mal ums Covidzertifikat, mal um die Impfthematik. Auch bei den beiden grossen Rentenreformen – AHV und Pensionskassen – wurde bis in die letzte Sekunde um jedes Detail gestritten. Die AHV-Reform mit Frauenrentenalter 65 kam in der Volksabstimmung nur knapp durch, die Pensionskassen-Reform kommt erst nächstes Jahr an die Urne. 

Schon in der letzten Legislatur entpuppten sich die beiden Kammern als streitlustig. Nicht ohne Grund: Von 2015 bis 2019 stand ein von einer knappen SVP/FDP-Mehrheit dominierter Nationalrat einem Mitte-links-geprägten Ständerat gegenüber. Schon damals gab es immer wieder Stunk – was sich in 29 Einigungskonferenzen niederschlug. 

Nationalrat bunter, Ständerat konservativer

Dass die Knatsch-Bilanz nun noch einen obendrauf gesetzt bekommt, hat mit der neuen Ausgangslage nach den Wahlen 2019 zu tun. Im Nationalrat wurde das links-grüne Lager dank der grünen Welle massiv gestärkt. Ebenso die GLP, welche gerade in Umweltfragen mit der Linken zusammenspannt. SVP und FDP hingegen wurde zurückgebunden, womit die Mitte oft das Zünglein an der Waage spielte. Der Nationalrat ist bunter geworden – und die Koalitionsmöglichkeiten wurden damit ebenfalls vielfältiger. 

Auch im Ständerat hat sich die Konstellation verändert. Die Mitte gibt den Takt vor, doch ihre Ständeräte sind insgesamt konservativer geworden und nach rechts gerückt – gerade etwa in Finanz- oder Umweltfragen. So kam es dazu, dass sich die Mitte-Politiker in den beiden Kammern unterschiedlich stimmten.

Kommt hinzu, dass die SP im Stöckli mittlerweile von zwölf auf noch sechs Mandate halbiert wurde. Dafür halten die Grünen mit fünf Sitzen so viele wie nie zuvor. Das macht Absprachen schwieriger. Die Mitte-links-Allianz spielt damit seltener als noch in der letzten Legislatur.

Mitte-Bregy: «Mehr Unberechenbarkeit»

Das hat auch damit zu tun, dass der Linken im Ständerat wichtige Leitfiguren abhandengekommen sind: «Mit dem früheren SP-Präsidenten Christian Levrat hatten wir im Ständerat einen Ansprechpartner, mit dem man auch mal Mehrheiten schaffen konnte», sagt Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (45). Zudem habe die Verschiebung der Kräfteverhältnisse innerhalb des linken Lagers von der SP zu den Grünen zu mehr Unberechenbarkeit geführt.

Allerdings sieht der Walliser im neuen Knatsch-Rekord kein Problem. Jede Kammer habe ihr eigenes Verständnis, das sei bereichernd und von der Verfassung so gewollt, findet Bregy. Und: «Wir dürfen eine intensive Auseinandersetzung nicht scheuen, wenn daraus eine tragfähige Lösung resultiert.»

SP-Meyer: «Rechtsrutsch verhindern»

Gut möglich, dass es nach den Wahlen am 22. Oktober zwischen den beiden Kammern wieder friedlicher zugeht. Gemäss den jüngsten Umfragen dürfte nämlich auch der Nationalrat wieder stärker nach rechts rücken. Die beiden Kammern dürften dann etwas gleichförmiger ticken und weniger den Konflikt suchen. 

Ein Szenario, welches die Linke mit allen Mitteln verhindern möchte. «Wir müssen einen weiteren Rechtsrutsch verhindern», sagt SP-Co-Chefin Mattea Meyer (35). Gelingt dies nicht, werden vielleicht weniger Einigungskonferenzen nötig. Dafür könnte es an der Urne wieder öfter zum Showdown kommen. Meyer gibt sich kämpferisch: «Schlägt das Parlament einen stärkeren Rechtskurs ein, werden wir gezwungen sein, mit Referenden und Volksinitiativen umso stärker dagegenzuhalten.»

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