Vabanque-Spiel bei Wahlen im Tessin
SVP-Chef Chiesa geht volles Risiko

Im Tessin sinnen Mitte und FDP bei den Ständeratswahlen auf Revanche. Vor vier Jahren wurden gleich beide Traditionsparteien aus dem Stöckli gedrängt, jetzt wollen sie zurück. Das wird auch für SVP-Chef und Ständerat Marco Chiesa zum Risiko.
Publiziert: 19.09.2023 um 01:15 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2023 um 08:14 Uhr
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SVP-Präsident Marco Chiesa holte 2019 überraschend einen Tessiner Ständeratssitz.
Foto: keystone-sda.ch
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

SVP-Präsident Marco Chiesa (48) spielt auf Risiko: Er tritt nur für den Ständerat an und verzichtet auf eine zusätzliche Nationalratskandidatur zur Absicherung.

Seine Wiederwahl dürfte er als einziger Bisheriger zwar schaffen. Doch die turbulenten Ständeratswahlen vor vier Jahren, die in der Abwahl des langjährigen CVP-Ständerats Filippo Lombardi (67) mündeten, zeigen: Ein Restrisiko bleibt – und plötzlich würde der Präsident der grössten Partei ohne eidgenössisches Mandat dastehen. In diesem Fall wäre es eine Frage der Zeit, dass er auch den Chefposten abgeben muss.

Chiesa setzt auf Vertrauen

Weshalb wagt Chiesa dieses Vabanque-Spiel? Das Stichwort heisst Vertrauen. «Wenn ich mir selber nicht vertrauen würde, dass ich die Wiederwahl schaffe, wie könnte ich dann die Bevölkerung um Vertrauen in mich bitten?», sagt Chiesa zu Blick. Eine gleichzeitige Nationalratskandidatur hiesse für ihn, bereits an eine Niederlage zu denken. Und das will er nicht, nachdem er vor vier Jahren überraschend als erster Tessiner SVP-Vertreter ins Stöckli einzog. Zwar erst im zweiten Wahlgang, dabei aber mit deutlichem Vorsprung.

Aber eben, ein Restrisiko bleibt. Denn die Tessiner Ständeratssitze werden traditionell von einem FDP- und Mitte-Vertreter besetzt. Erst dreimal schaffte es eine andere Partei ins Stöckli. Für eine Sensation sorgte dabei die Wahl 2019, als neben Chiesa die SP-Frau Marina Carobbio (57) das Rennen machte und erstmals in der Geschichte weder Tessiner FDP noch Mitte im Stöckli sassen.

45 Stimmen machten damals den Unterschied zwischen Carobbio und Lombardi. Ein Zufallsmehr. Die SP-Frau wurde dieses Jahr in die Tessiner Kantonsregierung gewählt, ihr Ständeratssitz ist seither vakant. Die Linke wird diesen kaum mehr verteidigen können.

FDP und Mitte sinnen auf Revanche

Nun sinnen FDP und Mitte auf Revanche und wittern ihre Chance auf eine Rückkehr ins Stöckli. Die Mitte tritt mit dem bisherigen Nationalrat und Gewerbeverbandspräsidenten Fabio Regazzi (61) an, die FDP steigt mit Nationalrat Alex Farinelli (41) in den Ring. Regazzi zählt zum rechten Flügel seiner Partei, Farinelli zum linken Flügel der FDP.

Eine Konstellation, die auch Chiesa plötzlich gefährlich werden könnte, wenn es zu einem zweiten Wahlgang kommt. Sollte er die Wiederwahl tatsächlich verpassen, wäre seine politische Karriere wohl trotzdem noch nicht vorbei. Chiesa könnte 2024 für das Stadtpräsidium von Lugano antreten, heisst es im Tessin.

Wer holt den Romano-Sitz?

Spannung verspricht auch der Kampf um die acht Tessiner Nationalratssitze. FDP und Mitte halten derzeit zwei Sitze. SVP, Lega, SP und Grüne jeweils einen. Der SVP/Lega-Rechtsblock möchte den dritten Sitz zurückerobern, den die Lega vor vier Jahren an die Grünen verloren hat.

Bei den Kantonsratswahlen vom April legte die SVP zwar zu, doch die Bündnispartnerin Lega verlor deutlich. Insgesamt blieben die Kräfteverhältnisse zwischen den Blöcken recht stabil. Deshalb dürfte auch bei den Nationalratswahlen die Sitzverteilung gleich bleiben.

Sollte es eine Sitzverschiebung geben, dann müsste die Mitte am meisten zittern. Denn der bisherige Mitte-Nationalrat Marco Romano (40), der einen eigentlichen Wackelsitz besetzte, tritt ab. Kommt hinzu: War die Partei vor vier Jahren noch in einer Listenverbindung mit FDP und GLP unterwegs, muss sie diesmal alleine zurechtkommen.

Sollte die Mitte ihren zweiten Sitz nicht mehr verteidigen können, könnte das Mandat nicht nur nach rechts, sondern – je nach Proporzglück – auch ins linke Lager fallen.

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