Sie will, dass die AHV-Abstimmung wiederholt wird
Kathy Steiner verklagt die Schweiz

Am Donnerstag entscheidet das Bundesgericht, ob die AHV-Abstimmung wiederholt werden soll. Geklagt hat unter anderem Kathy Steiner. Was treibt sie an? Ein Porträt.
Publiziert: 11.12.2024 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 11.12.2024 um 10:37 Uhr
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Kathy Steiner will erreichen, dass die AHV-Abstimmung wiederholt wird.
Foto: Kim Niederhauser

Auf einen Blick

  • Kathy Steiner klagt gegen AHV-Reform wegen falscher Zahlen im Abstimmungsbüchlein
  • Bundesgericht entscheidet über mögliche Wiederholung der Volksabstimmung zur AHV-Reform
  • Die Wiederholung einer Abstimmung wäre ein beispielloser Vorgang
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Als Kathy Steiner (61) Anfang August die Tagesschau einschaltet, erschrickt sie. «Mathematik ungenügend!», kündigt der Moderator den Beitrag an. Der AHV geht es deutlich besser als angenommen, das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat sich um Milliarden verrechnet. «Das darf nicht wahr sein!», dachte Steiner und erinnert sich an eine Abstimmung 2022.

Damals stimmt die Schweiz über eine AHV-Reform ab. Das Ziel: Frauen sollten ebenfalls bis 65 arbeiten. Steiner will das verhindern. Sie hilft beim Abstimmungskampf, verteilt Flyer. Vergebens. Mit 50,55 Prozent lässt das Volk Kathy Steiner länger arbeiten. «Die Enttäuschung war riesig. Das Resultat war so knapp – hätten wir nur etwas mehr gemacht, hätte es anders ausgesehen.»

Durch die Rechen-Panne schöpft sie nochmals Hoffnung. Im Abstimmungsbüchlein wurden die falschen Zahlen des BSV verwendet. Am Donnerstag entscheidet das Bundesgericht in einer öffentlichen Verhandlung, ob der Urnengang wiederholt werden muss. Geklagt haben Privatpersonen wie Steiner und Politikerinnen um Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone (36) oder SP-Nationalrätin Tamara Funiciello (34).

«Die Fakten waren falsch»

Sie sei keine schlechte Verliererin, sagt Steiner. Doch das finanzielle Argument sei der Hauptgrund für das Ja gewesen. «Die Fakten waren falsch. Darum muss die Abstimmung wiederholt werden.» 

«Das darf nicht wahr sein!», dachte Steiner, als sie vom AHV-Verrechner hörte.
Foto: Kim Niederhauser

Steiner selbst gehört zu den Direktbetroffenen. In der Übergangsgeneration soll sie neun Monate später als geplant pensioniert werden. «Ich klage nicht wegen mir, ich mag meinen Job», sagt die Geschäftsleiterin des links-grün geprägten Hausbesitzerverband Casafair. «Aber viele Frauen haben ihr Leben lang hart gearbeitet, hatten eine Doppelbelastung mit Familie und Beruf und dabei weniger verdient.»

Kaum Zeit für die Beschwerde

Als Steiner den Fernseher ausschaltet, beginnt der Stress. Nur drei Tage hat sie Zeit, um eine Abstimmungsbeschwerde einzureichen. Auf Social Media entdeckt sie den Post der Grünen. Diese überlegen sich ebenfalls eine Beschwerde. «So haben wir uns gefunden.» Steiner unterschreibt eine Vollmacht für die Anwältinnen, die Grünen übernehmen die Kosten. «Ohne eine Partei im Rücken hätte ich das nicht geschafft. Die Anforderungen an eine Beschwerde sind unheimlich hoch.»

Als Direktbetroffene ist Steiner für die Grünen wichtig. Sie ist Mitglied und sass bis 2020 im Zürcher Kantonsrat. Auch heute noch spricht sie rasch und klar über die Details der AHV-Reform und den politischen Prozess. Die Klage reiche sie aber explizit nicht als Politikerin ein. «Ich mache das nicht für meine Laufbahn, sondern für die Sache.»

Nun steht sie am Donnerstag vor dem Bundesgericht und verklagt die Schweiz. Zum ersten Mal, wie sie lachend betont. «Je näher das kommt, desto nervöser werde ich. Zuerst dachte ich, das ist ein administrativer Akt. Und jetzt wird es zum Erlebnis.» Eine Reise nach Lausanne, das Warten auf das Urteil: Für Kathy Steiner wird es ein grosser Tag. Einen Glücksbringer wird sie nicht dabei haben. «Ich habe aber meine Familie gebeten, mir kurz vor der Verhandlung Smileys zu schicken, damit ich nicht alleine bin.»

Noch keine Abstimmung wiederholt

Bekommt Steiner recht, würde die Schweiz Neuland betreten. Noch nie wurde eine Volksabstimmung wiederholt. 2019 annullierte das höchste Gericht zwar die Abstimmung über die Initiative gegen die Heiratsstrafe, doch die damalige CVP verzichtete auf eine Wiederholung. 2008 wies das Bundesgericht eine Abstimmungsbeschwerde gegen die Unternehmenssteuerreform II ab. Nicht weil es keine Fehler gegeben hat, sondern weil die Reform bereits in Kraft war.

Ähnliche Argumente dürften auch am Donnerstag eine Rolle spielen. Ähnlich wie bei der CVP-Initiative geht es um falsche Zahlen im Abstimmungsbüchlein. Doch der Fehler ist weniger gross als zuerst angenommen. Statt vier Milliarden stand die AHV nur noch 2,5 Milliarden Franken besser da. Die umstrittenen Zahlen waren zudem als Prognosen deklariert. Das darüber Unsicherheiten bestehen, ist klar. Dazu kommt, dass ein Teil der AHV-Reform – die Erhöhung der Mehrwertsteuer – schon in Kraft ist.

Das Bundesgericht hat aber eine öffentliche Verhandlung angesetzt. Ein Zeichen dafür, dass sich die Richter nicht einig sind? 

Hebt das Bundesgericht die Abstimmung auf, könnte der AHV rasch viel Geld fehlen. Für Steiner kein Problem. «Der Bund müsste rasch eine Lösung finden. Aber bei der CS-Rettung hat er bewiesen, dass es möglich ist.» Steiner hofft, dass das Parlament dann gleichzeitig auch bei der Gleichstellung zwischen Mann und Frau ansetzt. Dass es im aktuellen Parlament für solche Projekte schwierig wird, weiss auch sie. «Die Mehrheiten im Parlament werden mich aber nicht stumm machen.»

Blick berichtet am Donnerstag live über die Verhandlung. 

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