Basel-Stadt, Genf, Jura, Neuenburg, Tessin – sie alle kennen ihn bereits: den kantonalen Mindestlohn. Über kantonale Volksabstimmungen haben Linke und Gewerkschaften die Forderung zum Erfolg geführt. In weiteren Kantonen könnten Mindestlohn-Vorgaben hinzukommen.
In Freiburg und im Wallis wurden entsprechende Initiativen eingereicht. Und in Solothurn wurde diese Woche ein Volksbegehren übergeben, das 23 Franken brutto pro Arbeitsstunde als gesetzlichen Mindestlohn verlangt. Bei 42 Stunden Wochenarbeitszeit entspricht dies einem monatlichen Bruttolohn von knapp 4200 Franken.
Mindestlöhne unter Beschuss
Nicht gerade üppig also! Liegt doch der Medianlohn hierzulande bei 6788 Franken, wie die neuste Lohnstatistik zeigt. Trotzdem stehen die kantonalen Mindestlöhne unter Beschuss: Das Bundesparlament will die kantonalen Regelungen kappen. Zumindest dann, wenn die Sozialpartner in einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) tiefere Löhne vereinbaren und der Bundesrat den GAV für allgemeinverbindlich – also obligatorisch für die ganze Branche – erklärt.
Sowohl im National- als auch im Ständerat hat eine bürgerliche Mehrheit einer Motion von Mitte-Ständerat Erich Ettlin (61, OW) zugestimmt. Nicht nur gegen den Widerstand von links, sondern auch gegen jenen des Bundesrats. SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin (64) mahnte vergeblich, dass ein derart weitreichender Eingriff hinsichtlich Demokratie und Föderalismus problematisch wäre.
Kantone laufen Sturm
Das treibt nun auch die Kantone auf die Barrikaden. In der laufenden Vernehmlassung laufen sie Sturm gegen das neue Gesetz. «Nebst dem verfassungswidrigen Eingriff in die Kantonsautonomie und der Verletzung des Legalitätsprinzips mangelt es der vorgesehenen Änderung an Praxistauglichkeit», kritisiert die Volkswirtschaftsdirektoren-Konferenz in ihrer Stellungnahme, wie Zeitungen von CH Media berichten. Der Vorschlag «missachtet den Volkswillen», wehrte sich die Westschweizer Regierungskonferenz schon früher gegen das Ansinnen.
Ein Mindestlohn sei eine sozialpolitische Massnahme zur Armutsbekämpfung, gerade im Bereich der Working Poor, moniert die Sozialdirektoren-Konferenz. Die geplante Gesetzesänderung würde «mit hoher Wahrscheinlichkeit» ausgerechnet in Tieflohnbranchen wie etwa Hotellerie, Gastronomie, Personalverleih, Reinigung und der Coiffeurbranche zu einem Rückgang der Löhne führen.
Mehrere Hundert Franken weniger
Aktuell wären von der Bundesvorgabe zwar die Kantone Genf und Neuenburg betroffen. Doch die im Tieflohnbereich erreichten Verbesserungen würden wieder zunichtegemacht. Was die Vorlage für Arbeitnehmende bedeuten würde, zeigt eine Berechnung der Gewerkschaft Unia. Fällt der kantonale Mindestlohn, erhält eine Coiffeuse in Genf gleich mehrere Hundert bis 1000 Franken weniger – pro Monat. In Neuenburg gehen ihr bis zu 400 Franken monatlich flöten.
Ein derartiger Lohnrückgang «hätte deutliche Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der betroffenen Arbeitnehmenden und letztlich auf die Sozialhilfe», begründen die Sozialdirektoren ihre Ablehnung. Noch bis am 1. Mai läuft die Vernehmlassung. Bis dahin dürfte noch einiges an Kritik auf den Bund zukommen.