Bei der SVP ist Zunder im Dach. Auslöser dafür ist ein Vorstoss von Mitte-Ständerat Erich Ettlin (60, OW), der die kantonalen Mindestlöhne kappen will. Zumindest dann, wenn die Sozialpartner in einem allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) tiefere Löhne vereinbaren. Das wünschen sich nämlich Gewerbler und Arbeitgeber, denen kantonale Mindestlöhne wie in Genf (23 Franken pro Stunde) oder Neuenburg (20 Franken) ein Dorn im Auge sind.
Eigentlich will auch die SVP von kantonalen Mindestlöhnen nichts wissen. Bloss: Diese wurden eben in kantonalen Abstimmungen vom Volk abgesegnet. Und genau solche Volksentscheide wollen Ettlin und Co. nun wieder aushebeln.
Das bringt die SVP in die Bredouille. Im Nationalrat könnte sie nämlich das Zünglein an der Waage spielen, wenn der Ettlin-Vorstoss in der anstehenden Wintersession zur Abstimmung kommt. Da dürfte es einen knappen Ausgang geben.
SVPler mit Linken im Boot
Schon in der zuständigen Wirtschaftskommission kam der Vorstoss nur mit elf zu zehn Stimmen durch. Linke und Grüne stellten sich gegen das Ansinnen, die bürgerliche Mehrheit war dafür. Gespalten war die SVP.
So sitzen nun plötzlich SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (43) und SVP-Unternehmerin und Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher (53, GR) mit der Linken im Boot. Letztere habe sich besonders stark gegen den Vorstoss ausgesprochen, heisst es. Nicht ohne Grund, denn der Vorstoss nimmt nicht nur Volksentscheide ins Visier, sondern attackiert auch den Föderalismus – und damit typische SVP-Werte.
Aeschi: «Volksentscheide respektieren»
«Wir sind tatsächlich im Zwiespalt», sagt Fraktionschef Aeschi zu Blick. Dass er den Vorstoss ablehnt, erklärt er so: «Föderalismus und kantonale Volksentscheide haben für mich Vorrang gegenüber privatwirtschaftlich abgeschlossenen Verträgen.» Erst recht, weil sonst Gesamtarbeitsverträge zusätzlich an Bedeutung gewinnen würden. «Ich finde es heikel, wenn Mindestlöhne oder 13. Monatslöhne quasi an Geheimgremien delegiert werden.»
Auch wenn die Sozialpartner einen GAV aushandelten, soll das Volk andere Bestimmungen beschliessen können, findet der Zuger. «Selbst wenn dies zu schärferen Regeln führt, die uns nicht gefallen, müssen Volksentscheide respektiert werden. Wir gewichten das staatspolitische Argument höher.»
Beim Nein-Lager dürfte auch mitspielen, dass die Glaubwürdigkeit der SVP als selbst ernannte Hüterin der Volksrechte flöten geht, wenn sie selber Volksentscheide nicht respektiert.
Friedli: «Bekenntnis zu Sozialpartnerschaft»
Ein Vorhalt, den sich SVP-Nationalrätin Esther Friedli (45) nicht gefallen lassen will. Sie erinnert an das Scheitern einer Volksinitiative für einen nationalen Mindestlohn, die 2014 beim Stimmvolk eine deutliche Ablehnung erfuhr. «Damit hat sich die Schweizer Bevölkerung für die Sozialpartnerschaft ausgesprochen», findet die St. Gallerin und macht ihrem Ärger Luft: «Die Linke umgeht diesen Volksentscheid nun mit kantonalen oder gar lokalen Mindestlöhnen.»
Damit würden die Gewerkschaften den Fünfer und das Weggli gleichzeitig wollen, ärgert sie sich. Den GAV und kantonale Mindestlöhne. Friedli versteht ihr Ja zum Vorstoss denn vor allem auch als «klares Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft». Dabei spielen auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Für schweizweit tätige Firmen werde es zur Herausforderung, wenn einerseits ein nationaler Mantelvertrag, in den Kantonen aber unterschiedliche Mindestlöhne gelten würden.
Auch Parmelin dagegen
Noch ist offen, auf welche Seite das Pendel in der SVP-Fraktion schlägt. «Ich gehe davon aus, dass die Meinungen wie in der Kommission in etwa halbe-halbe auseinandergehen», so Aeschi.
Mit einem Ja würde sie sich aber gegen den eigenen Bundesrat stellen. SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin (63) lehnt den Ettlin-Vorstoss nämlich ab. «Ein allgemeinverbindlich erklärter GAV geniesst nicht die demokratische Legitimation, wie sie ein kantonales Gesetz geniesst», schreibt der Waadtländer dazu. Würde die Motion umgesetzt, würde der Bund «den Volkswillen auf Kantonsebene, föderalistische Prinzipien und die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung aushebeln».