Im Jahr 2014 sagte das Stimmvolk Nein zur nationalen Mindestlohn-Initiative, welche einen monatlichen Mindestlohn von 4000 Franken forderte. Linke und Gewerkschaften haben sich von der Abfuhr aber nicht beirren lassen, sondern mit kantonalen Volksinitiativen die Einführung von Mindestlöhnen vorangetrieben.
So beispielsweise in den Kantonen Neuenburg, Jura, Genf, Tessin und Basel-Stadt. Und in verschiedenen Kantonen werden derzeit Unterschriften für entsprechende Volksbegehren gesammelt, und in Freiburg ist gerade erst eine Mindestlohn-Initiative eingereicht worden.
Diese Taktik sorgt bei den Bürgerlichen für rote Köpfe. So sehr, dass das Bundesparlament letztes Jahr einen Vorstoss von Mitte-Ständerat Erich Ettlin (61, OW) gutgeheissen hat, der die kantonalen Mindestlöhne kappen will. Zumindest dann, wenn die Sozialpartner in einem allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) tiefere Löhne vereinbaren.
Kaum Einfluss auf Arbeitslosigkeit
Dagegen wehren sich nicht nur Gewerkschaften, sondern auch die betroffenen Kantone. Denn frühere Befürchtungen, dass kantonale Mindestlöhne zu Jobverschiebungen und Arbeitsplatzverlusten führen könnten, werden nun durch eine Studie im Kanton Genf widerlegt.
Demnach hatte dort die Einführung eines Mindestlohns keinen nennenswerten Effekt auf die Arbeitslosenquote. Das zeigen die ersten Ergebnisse zu den Auswirkungen des Ende 2020 eingeführten Mindestlohns im Kanton Genf (24 Franken pro Stunde), welche am Donnerstag vom Departement für Wirtschaft und Beschäftigung vorgestellt wurden.
Die Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen scheint laut der Studie jedoch etwas höher zu sein, als sie es ohne die Einführung des Mindestlohns gewesen wäre. Darüber hinaus könnte die Zahl arbeitssuchender junger Menschen zunehmen, da der Arbeitsmarkt für sie attraktiver wird.
Andererseits hatte der Mindestlohn keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Arbeitslosenquote von Frauen. Weitere Studien sollen folgen.
Kanton Neuenburg als Pionier
In der Schweiz haben mittlerweile fünf Kantone einen Mindestlohn eingeführt. Pionier war der Kanton Neuenburg. Dort stimmte die Bevölkerung 2011 der Einführung eines Mindestlohns von zunächst 20 Franken zu. 2024 soll er bei 21.09 Franken pro Stunde liegen, in der Landwirtschaft, im Weinbau und im Gartenbau bei 17.93 Franken.
Die für die Beobachtung des Arbeitsmarktes zuständige tripartite Neuenburger Kommission verzeichnete keine allgemeine Unterbietung der Löhne. 2022 intervenierte sie trotzdem in sechs Fällen, was zu Lohnnachzahlungen von über 32'500 Franken führte, wovon 18'650 Franken Mindestlöhne betrafen.
Im Kanton Jura gibt es seit dem 1. Februar 2018 einen kantonalen Mindestlohn. Das Gesetz sieht derzeit einen Mindestbruttolohn von 20.60 Franken pro Stunde vor.
Auf dem Weg zu einem Mindestlohn ist auch der Kanton Freiburg. Eine entsprechende Gesetzesinitiative wurde vergangene Woche bei der Staatskanzlei eingereicht. Eine allfällige Volksabstimmung wird noch eine Weile auf sich warten lassen. Die Initiative, die von einer Koalition aus linken Parteien und Gewerkschaften ausging, fordert einen Mindestbetrag von 23 Franken pro Stunde.
Basel-Stadt sagte 2021 Ja
Basel-Stadt stimmte im Juni 2021 als erster Deutschschweizer Kanton an der Urne der Einführung eines Mindestlohns zu. Die Stimmbevölkerung entschied sich mit rund 54 Prozent für den Gegenvorschlag der Regierung und des Parlaments zur Mindestlohn-Initiative der Gewerkschaften.
Der Mindestlohn greift überall dort, wo kein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) oder Normalarbeitsvertrag besteht. Ausnahmen gibt es unter anderem für Angestellte mit Leistungseinschränkungen, Lehrlinge und Praktika. Der aktuelle Mindestlohn beträgt im Kanton Basel-Stadt aktuell 21.45 Franken pro Stunde. Per 1. Januar 2024 gilt wegen der Teuerung ein Mindestlohn von 21.70 Franken.
Im Tessin gilt seit dem 1. Dezember 2021 ein Mindestlohn, der schrittweise erhöht wird. Am 31. Dezember 2024 muss der Bruttomindestlohn pro Stunde im Südkanton zwischen 19.75 und 20.25 Franken betragen.
Die SP Tessin reichte im Februar 2022 zudem eine Initiative für einen «sozialen Mindestlohn» ein. Die Initiative soll nach Angaben der Partei verhindern, dass Firmen den Mindeststundenlohn mit einem Gesamtarbeitsvertrag unterwandern können. Sie sieht einen Mindestlohn von 21.50 Franken vor.
Kommunale Mindestlöhne
In der Stadt Zürich und in Winterthur haben die Stimmberechtigten in diesem Juni der Einführung von kommunalen Mindestlöhnen zugestimmt. In Zürich beträgt der Mindestlohn 23.90 Franken pro Stunde, in Winterthur 23 Franken.
Ob ein kommunaler Mindestlohn rechtlich überhaupt zulässig ist, steht nicht zweifellos fest. Das Bundesgericht hat in früheren Entscheiden kantonale Mindestlöhne als zulässig bezeichnet, solange diese sozialpolitische Ziele verfolgen. Für kommunale Mindestlöhne liegt hingegen kein solcher Entscheid vor. (SDA/rus)