Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard pokert weiter
«Ohne diesen Schritt wäre unser Nein jetzt schon definitiv»

Der Bundesrat hat ein Massnahmenpaket abgesegnet, mit dem der Lohnschutz gesichert werden soll. Für Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard stimmt zwar die Stossrichtung, pocht aber auf konkrete Verbesserungen. Ein Nein zum EU-Deal schliesst er weiterhin nicht aus.
Publiziert: 19.02.2025 um 15:16 Uhr
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Aktualisiert: 20.02.2025 um 08:37 Uhr
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Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard ist noch nicht zufrieden. Er pocht auf stärkere innenpolitische Massnahmen für einen besseren Lohnschutz.
Foto: FABRICE COFFRINI

Auf einen Blick

  • Sozialpartner und Kantone einigen sich auf innenpolitische Massnahmen zum Lohnschutz
  • Gewerkschaften fordern konkrete Massnahmen für Lohnschutz und Service public
  • Über ein Dutzend Vorschläge liegen auf dem Tisch für Verbesserungen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Die Sozialpartner und die Kantone haben sich beim Lohnschutz auf innenpolitische Massnahmen geeinigt. Von ihrer Verständigung, die unter Leitung von Wirtschaftsminister Guy Parmelin (65) erzielt worden ist, hat der Bundesrat am Mittwoch Kenntnis genommen.

Im Blick-Interview erklärt Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard (56), warum die Gewerkschaften trotzdem noch nicht Ja zum EU-Deal sagen können.

Blick: Herr Maillard, Ende Jahr haben Sie noch über den EU-Deal gewettert und dem Bundesrat vorgeworfen, den Lohnschutz zu opfern. War alles nur Show?
Pierre-Yves Maillard: Überhaupt nicht. Der Bundesrat bestätigt mit seinem Massnahmenpaket, was wir immer gesagt haben: Das Abkommen schwächt den Lohnschutz. Deswegen braucht es wichtige Korrekturen oder Ausgleichsmassnahmen. Endlich anerkennt er die Probleme, die wir seit Jahren vorbringen, und den damit verbundenen Handlungsbedarf.

Dann vollziehen die Gewerkschaften eine Kehrtwende und sind nun mit im Boot?
So weit sind wir noch lange nicht. Der Bundesrat macht einen ersten Schritt in die richtige Richtung, der gewisse Möglichkeiten eröffnet. Ohne diesen Schritt wäre unser Nein jetzt schon definitiv. Erst wenn die konkreten Massnahmen vorliegen, können wir aber entscheiden, ob wir das Abkommen mittragen. Wenn der Lohnschutz und der Service public im öffentlichen Verkehr und beim Strom nicht gewährleistet sind, werden wir den Deal ablehnen.

Ist der EU-Deal ein Fortschritt oder chancenlos?
40:55
Diskussion in voller Länge:Ist der EU-Deal ein Fortschritt oder chancenlos?

Über ein Dutzend Vorschläge liegen auf dem Tisch. Was ist Ihnen am wichtigsten?
Alle Massnahmen sind wichtig, aber drei Bereiche möchte ich besonders hervorheben. Erstens müssen die Gesamtarbeitsverträge geschützt und gestärkt werden. Die ganze Architektur der Arbeits- und Lohnkontrollen basieren auf diesen. Ob wir hier wirklich handfeste Verbesserungen erhalten, lässt sich noch nicht sagen. Zweitens braucht es bei der EU-Spesenregelung eine Lösung.

Diese ist das eigentliche Pièce de Réstistance. Reicht Ihnen da eine Regelung im Schweizer Gesetz, wie dies der Bundesrat vorsieht?
Eine Gesetzesänderung ist das absolute Minimum. Hier sind wir uns mit den Arbeitgebern komplett einig, dass es eine juristische Absicherung braucht. Zudem könnte das Parlament seinen Spielraum nutzen und hier direkt im Abkommen Verbesserungen vornehmen. Dafür werden wir uns einsetzen.

So sieht der EU-Deal aus

Im Dezember trafen sich die damalige Bundespräsidentin Viola Amherd (62) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66) in Bern, um den Abschluss der Verhandlungen zu feiern. Das sind die wichtigsten Punkte

  • Mit dem neuen Abkommen sollen die Spielregeln genauer festgelegt werden: Bei einzelnen Abkommen, wie zum Beispiel der Personenfreizügigkeit übernimmt die Schweiz EU-Recht. Volk oder Parlament können das ablehnen – dann drohen Strafen. Darüber entscheidet schlussendlich ein Schiedsgericht, dass den EU-Gerichtshof beizieht. Entscheiden wird das Schiedsgericht.
  • EU-Bürger können in die Schweiz ziehen und hier arbeiten. Der Bund hat hier aber Ausnahmen erreicht, zum Beispiel bei Landesverweisungen für Straftäter und dem Aufenthaltsrecht. Der Lohnschutz soll über ein dreistufiges Konzept gesichert werden. Künftige Anpassungen, die das Schutzniveau verschlechtern, muss die Schweiz nicht übernehmen.
  • Die bisherige Schutzklausel bei der Einwanderung wird konkretisiert. Die Schweiz kann sie einseitig aktivieren.
  • Künftig dürfen auch ausländische Bahnen wie Flixtrain auf Schweizer Schienen fahren.
  • Neue Verträge gibt es unter anderem beim Strom, der Gesundheit oder Lebensmittelsicherheit.
  • Die Schweiz darf wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
  • Die Schweiz überweist ab 2030 jährlich 350 Millionen Franken. Das Geld fliesst in Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie Bulgarien, Estland oder Kroatien.

Zum ausführlichen Artikel geht es hier.

Im Dezember beendeten Viola Amherd und Ursula von der Leyen die materiellen Verhandlungen.
AFP

Im Dezember trafen sich die damalige Bundespräsidentin Viola Amherd (62) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66) in Bern, um den Abschluss der Verhandlungen zu feiern. Das sind die wichtigsten Punkte

  • Mit dem neuen Abkommen sollen die Spielregeln genauer festgelegt werden: Bei einzelnen Abkommen, wie zum Beispiel der Personenfreizügigkeit übernimmt die Schweiz EU-Recht. Volk oder Parlament können das ablehnen – dann drohen Strafen. Darüber entscheidet schlussendlich ein Schiedsgericht, dass den EU-Gerichtshof beizieht. Entscheiden wird das Schiedsgericht.
  • EU-Bürger können in die Schweiz ziehen und hier arbeiten. Der Bund hat hier aber Ausnahmen erreicht, zum Beispiel bei Landesverweisungen für Straftäter und dem Aufenthaltsrecht. Der Lohnschutz soll über ein dreistufiges Konzept gesichert werden. Künftige Anpassungen, die das Schutzniveau verschlechtern, muss die Schweiz nicht übernehmen.
  • Die bisherige Schutzklausel bei der Einwanderung wird konkretisiert. Die Schweiz kann sie einseitig aktivieren.
  • Künftig dürfen auch ausländische Bahnen wie Flixtrain auf Schweizer Schienen fahren.
  • Neue Verträge gibt es unter anderem beim Strom, der Gesundheit oder Lebensmittelsicherheit.
  • Die Schweiz darf wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
  • Die Schweiz überweist ab 2030 jährlich 350 Millionen Franken. Das Geld fliesst in Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie Bulgarien, Estland oder Kroatien.

Zum ausführlichen Artikel geht es hier.

Was ist das Dritte, das Ihnen unter den Nägeln brennt?
Es braucht einen besseren Kündigungsschutz für jene Arbeitnehmenden, die in den Firmen für die Anliegen der Belegschaft eintreten. Beispielsweise für Vertreter in den Personalkommissionen. Die gewerkschaftliche Freiheit muss respektiert werden. Da braucht es einen besseren Schutz.

Hinter vorgehaltener Hand hört man aus bürgerlichen Kreisen, dass sich die Gewerkschaften am Schluss ja doch mit ein paar Happen abspeisen lassen.
Auf keinen Fall. Wir sind noch am Anfang des Prozesses und werden erst am Ende der Parlamentsdebatte definitiv Bilanz ziehen. Wir sind zu einem Nein bereit. Das haben wir bereits mit unserem Nein zum Rahmenabkommen 2021 bewiesen. 

Gerade von SVP, aber auch von der FDP dürfte im Parlament Widerstand gegen die Stärkung der gewerkschaftlichen Anliegen kommen.
Selbst wenn wir uns mit den Arbeitgebern finden, wird es im Parlament noch Ränkespiele geben, um unsere Anliegen zu schwächen. Das haben wir bei der Reform der beruflichen Vorsorge gesehen, bei der die bürgerlichen Parteien den Sozialpartner-Kompromiss vom Tisch gefegt haben. Das könnte auch jetzt wieder geschehen. Die Geschichte ist noch lange nicht gelaufen. Deshalb werden wir erst ganz am Schluss unsere definitive Position zum Gesamtpaket beziehen.

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