Auf einen Blick
- Schweiz und EU feiern Verhandlungsabschluss, innenpolitische Herausforderungen beginnen
- Gewerkschaften fordern Ausgleichsmassnahmen für Lohnschutz und Service public
- Zehn Forderungen präsentiert, darunter einfachere Allgemeinverbindlichkeit von Gesamtarbeitsverträgen
Nach dem Feiern beginnt die harte Arbeit. Kurz vor Weihnachten trafen sich Viola Amherd (62) und Ursula von der Leyen (60), um den Abschluss der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union zu feiern.
Gleichzeitig beginnt der Showdown um die innenpolitischen Massnahmen. Denn um eine Mehrheit für das Paket zu finden, braucht es einen Schulterschluss zwischen Gewerkschaften, SP, Mitte und FDP. Die Ablehnung der SVP gilt als sicher. Doch auch insbesondere die Gewerkschaften tun sich schwer mit dem Deal. «Der Bundesrat hat in Brüssel unseren Lohnschutz geopfert», sagt Gewerkschaftschef Pierre-Yves Maillard (56) im Blick-Interview. Will er den Preis hochtreiben, um innenpolitisch möglichst viel zu erreichen?
«Lohnschutz und der Service public gefährdet»
Am Freitag haben die Gewerkschaften nun ihren Forderungskatalog präsentiert. Auf vier Seiten schreiben sie, dass «der Lohnschutz und der Service public durch das Abkommen gefährdet würden». Diese Verschlechterungen seien nicht zu akzeptieren, so Maillard. Es brauche Ausgleichsmassnahmen.
Insgesamt zehn Forderungen finden sich in dem Papier, das unter den Augen von Seco-Chefin Helene Budliger Artieda (60) beschlossen wurden. Sie koordiniert die innenpolitischen Verhandlungen, zu denen auch die Arbeitgeber gehören.
Dabei geht es um Punkte, die den Kern der Gewerkschaftsarbeit betreffen. Zum Beispiel die Gesamtarbeitsverträge. Diese sollen einfacher für allgemeinverbindlich erklärt werden.
Hier könnte es Schnittmengen geben mit den Arbeitgebern, sagt Roland A. Müller, der Direktor des Arbeitgeberverbandes. So wollen die Arbeitgeber zumindest Hand bieten, zu prüfen, wie bestehende Verträge einfacher verlängert werden können.
Besserer Kündigungsschutz und Spesen
Dazu soll – so der Wunsch der Gewerkschaften – der Kündigungsschutz verbessert werden. Auf diese Forderung geht Müller vom Arbeitgeberverband nicht ein. Dies sei eine innenpolitische, ideologische Forderung, die mit dem EU-Dossier nun nichts zu tun habe und den flexiblen Arbeitsmarkt beeinträchtigen würde.
Geht es nach den Gewerkschaften sollen zum Beispiel nur jene Firmen Aufträge erhalten, die auch korrekte Löhne zahlen. Für die Durchsetzung brauche es schärfere Instrumente. Dazu müsse die Bearbeitungszeit der Kantone «spürbar» verkürzt werden – erst kürzlich wurde bekannt, dass ein Pilotprojekt des Bundes noch seine Tücken zeigt.
Auch die Spesenregelung ist den Gewerkschaften ein Dorn im Auge. Firmen aus Rumänien oder Polen können mit dem neuen Deal ihre Arbeiter in die Schweiz schicken, um Jobs zu erledigen. Bezahlen müssen sie aber nur die Spesenansätze aus dem Heimatland. «Wenn die Arbeiter zu wenig Geld haben, werden sie in Lieferwagen oder auf Baustellen schlafen und essen müssen.» Die Gewerkschaften fordern, dass die Schweiz bei der EU über die Spesen nachverhandelt. Das dürfte aber unmöglich sein. Die Verhandlungen sind materiell abgeschlossen.
Ziel: Abschluss Ende Februar
Müller, der Direktor des Arbeitgeberverbandes, zeigt sich nach der Resolution der Gewerkschaften zuversichtlich. In den technischen Fragen rund um Spesen und Lohnschutz könnte auf dieser Basis diskutiert werden. «Wir müssen das innerstaatliche Abwehrdispositiv stärken», spricht er Kautionen, die Haftung von Erstunternehmern oder Voranmeldefristen an. Er sei guten Mutes, dass man da Lösungen finden könnte.
Das neue Stromabkommen lehnen die Gewerkschaften ab. Und auch beim Schienenverkehr – künftig sollen auch ausländische Anbieter wie Flixtrain auf Schweizer Schienen fahren – brauche es Präzisierungen.
Bis Ende Februar sollen die Verhandlungen innerhalb der Schweiz abgeschlossen sein. Auch wenn erste Kompromisse sichtbar sind – der Weg ist noch lang.