Auf einen Blick
- EU-Botschafter Mavromichalis lobt Verhandlungsergebnis zwischen Schweiz und EU
- Er kontert die Kritik am Abkommen
- Schweiz zahlt jährlich 350 Millionen Franken für EU-Binnenmarktteilnahme
Petros Mavromichalis (60) ist Fussballfan. Als Blick ihn zum Interview trifft, ist der EU-Botschafter in Bern voller Vorfreude auf die Champions-League-Spiele am Abend. Ganz Europäer, unterstützt der Grieche den VfB Stuttgart – und die Young Boys.
Für Mavromichalis selbst läuft die Nachspielzeit in der Schweiz: Gemäss dem ursprünglichen Plan wäre er im letzten Sommer nach Brüssel zurückgekehrt. Doch sein Mandat wurde verlängert – und so durfte er im Dezember den Abschluss der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU miterleben.
Blick: Ende August werden Sie die Schweiz verlassen. Wie haben Sie die Jahre in Bern erlebt?
Petros Mavromichalis: Es war eine sehr schöne und spannende Erfahrung. Ich bin ein Fan der Schweiz.
Seit 2020 vertritt Petros Mavromichalis die Interessen der Europäischen Union in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein. Er wurde in Athen geboren und ist griechischer und belgischer Staatsbürger. Er studierte Jura in Frankreich und England und spricht sieben Sprachen. Seit über 30 Jahren arbeitet er im Dienst der EU und begleitete unter anderem bis 2003 die Beitrittsverhandlungen von neuen Mitgliedsstaaten.
Seit 2020 vertritt Petros Mavromichalis die Interessen der Europäischen Union in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein. Er wurde in Athen geboren und ist griechischer und belgischer Staatsbürger. Er studierte Jura in Frankreich und England und spricht sieben Sprachen. Seit über 30 Jahren arbeitet er im Dienst der EU und begleitete unter anderem bis 2003 die Beitrittsverhandlungen von neuen Mitgliedsstaaten.
Die EU wird in der Schweizer Öffentlichkeit fast nur kritisiert. Ist das als Botschafter nicht anstrengend?
Es gibt in der Schweiz ein grosses Interesse an der Europäischen Union. Einige lieben die EU, andere hassen sie. Wenige sind gleichgültig. Das macht meine Arbeit interessant. Obwohl ich manchmal doch überrascht bin, wenn ich gewisse Vorwürfe höre. Ich versuche jeweils, mit objektiven Informationen zu antworten.
Und damit dringen Sie durch?
Die Leute verstehen, dass diese Beziehung für beide Seiten wichtig ist. Die Schweiz ist unser viertgrösster Handelspartner. Wir sind mit Abstand der grösste Handelspartner der Schweiz. Wir teilen die gleichen Werte, und als Europa können wir in einer instabiler werdenden Welt nur Einfluss haben, wenn wir gemeinsam handeln.
Jetzt liegt das Verhandlungsergebnis zwischen der Schweiz und der EU auf dem Tisch. Wie bewerten Sie es?
Es ist ein sehr solides, gutes Ergebnis, mit dem beide Seiten zufrieden sein können. Wir haben einen Schritt vorwärtsgemacht. Damit können wir diese für beide Seiten wichtige Beziehung stabilisieren und stärken.
In der Schweiz hat man weder vom Bundesrat noch von den Parteien grosse Begeisterung gehört. Waren Sie enttäuscht, dass kaum jemand das Abkommen gelobt hat?
Der Bundesrat steht hinter dem Ergebnis. Auch deshalb bin ich schon ein wenig überrascht und enttäuscht, dass Parteien wie Mitte, FDP und SP, die den bilateralen Weg unterstützen, nicht mehr Enthusiasmus zeigen. Ich hoffe, dass das auf breiter Front noch kommt. Denn alles, was die Schweiz in diesen Verhandlungen gewünscht hat, hat sie eigentlich bekommen.
Innenpolitisch ist der Lohnschutz ein grosses Thema. Da gibt es Bedenken.
Der Lohnschutz ist keine schweizerische Erfindung. In der EU gilt «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am selben Ort». Und auch EU-Länder schützen sich gegen Lohndumping, gerade diejenigen mit hohem Lohnniveau. Mit den bestehenden EU-Regeln sind in keinem Mitgliedstaat die Löhne gesunken. Warum sollte das in der Schweiz passieren?
Die Gewerkschaften sehen es anders.
Wir haben versucht, der Schweiz entgegenzukommen. Wir haben die aktuellen flankierenden Massnahmen in einer angepassten Form akzeptiert und zugesichert, dass es beim Lohnschutz keine Rückschritte geben wird. Wir sind so weit gegangen, wie es möglich war. Alle übrigen strittigen Fragen zur Ausgestaltung des Lohnschutzes sind innenpolitischer Natur. Da müssen sich die Schweizer Sozialpartner mit der Regierung einigen.
Bei der Spesenregelung befürchten die Gewerkschaften aber Lohndumping: Ein Arbeiter darf aus Rumänien in die Schweiz kommen und hier arbeiten, bekommt aber für die Hotelübernachtung nur die rumänischen Spesenansätze.
Ich höre von dieser Angst. Aber über 80 Prozent der entsandten Arbeiter kommen aus den Nachbarstaaten. Da gelten vergleichbare Spesenansätze wie in der Schweiz. Entsendete Arbeiter aus Niedriglohnländern machen einen verschwindend kleinen Anteil des Arbeitsvolumens aus. Die Spesenregelung, um die es geht, haben unsere Mitgliedstaaten nach zweieinhalb Jahre langen, schwierigen Diskussionen beschlossen. Sie müssen verstehen, dass die 27 EU-Länder diesen Kompromiss nicht wieder aufbrechen möchten. Und ich wiederhole: Der Lohnschutz funktioniert bei uns. Warum sollte es in der Schweiz zu Problemen kommen?
Im Dezember trafen sich die damalige Bundespräsidentin Viola Amherd (62) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66) in Bern, um den Abschluss der Verhandlungen zu feiern. Das sind die wichtigsten Punkte
- Mit dem neuen Abkommen sollen die Spielregeln genauer festgelegt werden: Bei einzelnen Abkommen, wie zum Beispiel der Personenfreizügigkeit übernimmt die Schweiz EU-Recht. Volk oder Parlament können das ablehnen – dann drohen Strafen. Darüber entscheidet schlussendlich ein Schiedsgericht, dass den EU-Gerichtshof beizieht. Entscheiden wird das Schiedsgericht.
- EU-Bürger können in die Schweiz ziehen und hier arbeiten. Der Bund hat hier aber Ausnahmen erreicht, zum Beispiel bei Landesverweisungen für Straftäter und dem Aufenthaltsrecht. Der Lohnschutz soll über ein dreistufiges Konzept gesichert werden. Künftige Anpassungen, die das Schutzniveau verschlechtern, muss die Schweiz nicht übernehmen.
- Die bisherige Schutzklausel bei der Einwanderung wird konkretisiert. Die Schweiz kann sie einseitig aktivieren.
- Künftig dürfen auch ausländische Bahnen wie Flixtrain auf Schweizer Schienen fahren.
- Neue Verträge gibt es unter anderem beim Strom, der Gesundheit oder Lebensmittelsicherheit.
- Die Schweiz darf wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
- Die Schweiz überweist ab 2030 jährlich 350 Millionen Franken. Das Geld fliesst in Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie Bulgarien, Estland oder Kroatien.
Zum ausführlichen Artikel geht es hier.
Im Dezember trafen sich die damalige Bundespräsidentin Viola Amherd (62) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66) in Bern, um den Abschluss der Verhandlungen zu feiern. Das sind die wichtigsten Punkte
- Mit dem neuen Abkommen sollen die Spielregeln genauer festgelegt werden: Bei einzelnen Abkommen, wie zum Beispiel der Personenfreizügigkeit übernimmt die Schweiz EU-Recht. Volk oder Parlament können das ablehnen – dann drohen Strafen. Darüber entscheidet schlussendlich ein Schiedsgericht, dass den EU-Gerichtshof beizieht. Entscheiden wird das Schiedsgericht.
- EU-Bürger können in die Schweiz ziehen und hier arbeiten. Der Bund hat hier aber Ausnahmen erreicht, zum Beispiel bei Landesverweisungen für Straftäter und dem Aufenthaltsrecht. Der Lohnschutz soll über ein dreistufiges Konzept gesichert werden. Künftige Anpassungen, die das Schutzniveau verschlechtern, muss die Schweiz nicht übernehmen.
- Die bisherige Schutzklausel bei der Einwanderung wird konkretisiert. Die Schweiz kann sie einseitig aktivieren.
- Künftig dürfen auch ausländische Bahnen wie Flixtrain auf Schweizer Schienen fahren.
- Neue Verträge gibt es unter anderem beim Strom, der Gesundheit oder Lebensmittelsicherheit.
- Die Schweiz darf wieder bei EU-Programmen wie dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus mitmachen.
- Die Schweiz überweist ab 2030 jährlich 350 Millionen Franken. Das Geld fliesst in Entwicklungsprojekte in EU-Ländern wie Bulgarien, Estland oder Kroatien.
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Neben den Gewerkschaften ist vor allem das rechtskonservative Lager kritisch. Die SVP spricht von einem «Unterwerfungsvertrag».
Heute reden die Kritiker vom Unterwerfungsvertrag, bei der EWR-Abstimmung 1992 benutzten sie das Schlagwort «Kolonialvertrag». Diese Wortwahl ist reine Polemik. Damit hat man die Schweizer Bevölkerung auf eine falsche Fährte geführt.
Was meinen Sie damit?
Nehmen wir den EWR. Norwegen ist ein reiches Land, dem die Souveränität am Herzen liegt. Zwei Mal wurde der EU-Beitritt abgelehnt. Aber Norwegen ist Teil des EWR und mit diesem sogenannten «Kolonialvertrag» sehr glücklich. Der Vertrag ist auch in Liechtenstein und Island breit akzeptiert. Das zeigt: Diese Schlagworte haben nichts mit der Realität zu tun.
Mit dem neuen Vertrag kann die Schweiz zwar neues EU-Recht ablehnen, doch es drohen Strafen. Das ist doch keine Gleichberechtigung.
Wenn ein Deutscher auf der Autobahn in die Schweiz fährt, muss er sich an die Schweizer Regeln halten. Er kann nicht sagen: «Ich komme aus Deutschland, dort gibt es kein Tempolimit.» Wenn die Schweiz am EU-Markt teilnehmen will, muss sie sich an die gemeinsamen Regeln halten, die dort gelten. Aber es gibt keine Strafen, das ist eine Lüge. Das sind Ausgleichsmassnahmen, damit ein fairer Wettbewerb gewahrt wird.
Bei der Streitbeilegung muss ein neues Schiedsgericht ganz zuletzt den EU-Gerichtshof anhören. Hat die Schweiz da überhaupt Chancen?
Das Schiedsgericht war ein Zugeständnis an die Schweiz. Dieses Gericht wird von beiden Seiten paritätisch besetzt und entscheidet selbständig. Nur wenn das Recht des EU-Binnenmarktes betroffen ist, muss es sich an die Interpretation des Europäischen Gerichtshofes halten. Denn der Binnenmarkt besteht aus einheitlichen Regeln für alle. Wenn in der Schweiz die gleichen Rechtsnormen anders interpretiert werden als in Deutschland oder Frankreich, ist das kein Binnenmarkt mehr.
Die Gegner aus der Wirtschaft befürchten, dass mit der dynamischen Rechtsübernahme viel Bürokratie auf die Schweizer Unternehmen zukommt.
Das stimmt überhaupt nicht. Die EU hat durch den Binnenmarkt sehr viel Bürokratie abgebaut! Denn EU-Recht bedeutet gleiche Regeln für 27 Länder. Stellen Sie sich vor, Firmen müssten für jedes EU-Land andere Normen beachten. Schweizer Unternehmen müssen sich sowieso – mit oder ohne Abkommen – an diese Regeln halten, wenn sie in den EU-Markt exportieren wollen. Und wenn sie Produkte nach China oder in die USA verkaufen wollen, müssen sie ihre Produkte an die Regeln dieser Länder anpassen.
Die Schweiz ist für die EU der viertgrösste Handelspartner. Warum müssen wir dafür jährlich über 300 Millionen Franken bezahlen?
Wenn Sie nicht wollen, dass alle Leute aus den ärmeren Regionen in die Schweiz kommen, ist es auch in Ihrem Interesse, das Wachstum in schwächeren Regionen zu stärken. Alle Länder, die am EU-Binnenmarkt teilnehmen, bezahlen in diesen Ausgleich. Warum sollte die Schweiz die einzige Ausnahme sein?
Es geht um sehr viel Geld.
350 Millionen sind 38 Franken pro Einwohner. Gleichzeitig profitiert die Schweiz wie kein anderes Land von der Teilnahme am EU-Binnenmarkt. Eine unabhängige Studie beziffert den Gewinn auf jährlich über 3000 Franken pro Kopf. Im Vergleich dazu ist das ein kleiner Beitrag.
Sie müssen mit der reichen Schweiz verhandeln. Betreibt die Schweiz Rosinenpickerei?
Es ist legitim, dass die Schweiz versucht, das Beste für sich herauszuholen. Wenn ich das Weggli bekommen kann, ohne das Fünferli zu geben, warum nicht? Aber leider gibt es Hotdogs in der Berner Altstadt nicht gratis. Verhandlungen sind immer ein Geben und Nehmen. Das vorliegende Ergebnis ist ein guter Kompromiss.
Man schätzt an der EU das freie Reisen, doch in Deutschland will Friedrich Merz die Grenzen stärker kontrollieren. Kann die EU dieses Versprechen des freien Reisens halten?
Ich glaube schon. Die Schengen-Regeln sehen keine Grenzkontrollen innerhalb der EU vor. Grenzkontrollen sind keine Lösung, das hat man während der Pandemie gesehen. Das Schengen-System sieht aber gleichzeitig Kontrollen an den Aussengrenzen vor. Die wird man verstärkt ausbauen müssen.
In der Schweiz geht jetzt die innenpolitische Debatte über das Verhandlungsergebnis los. Was würde passieren, wenn die Schweiz das ablehnt?
Unsere Beziehung würde erodieren. Wir würden keine neuen Abkommen abschliessen. Und die alten Abkommen würden stetig an Wert verlieren.
Der Status quo, den man heute hat, würde nicht bestehen bleiben?
Nein. Die jetzt vorliegenden Verträge sind die letzte Chance für die Fortsetzung des bilateralen Weges. Ohne eine Lösung der institutionellen Fragen werden die bestehenden Abkommen nicht mehr aktualisiert und keine neuen Verträge für den Marktzugang geschlossen. Natürlich wird die EU immer ein gutes Verhältnis zur Schweiz haben. Wir sind und bleiben Nachbarn und Freunde. Aber unsere wirtschaftlichen Beziehungen würden komplizierter und teurer werden.
Nun beginnt der innenpolitische Prozess in der Schweiz. Sind Sie froh, dass Sie das von weiter weg anschauen können?
Ich war sehr glücklich in der Schweiz. Aber ich glaube, dass es gut ist, dass Diplomaten nach vier, fünf Jahren ihren Einsatzort wechseln. Mein Nachfolger wird eine frische Sicht auf das Thema bringen. Ich werde das Dossier aber immer mit Interesse verfolgen – von Brüssel aus oder wo ich auch immer sein werde.