Auf einen Blick
- Bund und Sozialpartner einigen sich auf Massnahmen zum Lohnschutz
- Kompromissvorschläge des Seco führten zum Durchbruch bei Verhandlungen
- Über 60 Gesprächsrunden wurden für die Einigung durchgeführt
Hat der Bund beim Lohnschutz endlich den Kniff raus? Nachdem sich Gewerkschaften und Arbeitgeber monatelang Saures gegeben haben, scheinen sie sich nun auf ein Massnahmenpaket geeinigt zu haben. Die «gemeinsame Verständigung», die Wirtschaftsminister Guy Parmelin (65) heute vor den Medien präsentiert, sei das Resultat von über sechzig Gesprächsrunden, teilt der Bundesrat mit.
Die Lösung sollten die Dachverbände der Sozialpartner eigentlich selbst aushandeln. Am Ende musste jedoch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) unter Leitung von Helene Budliger Artieda (60) mit Kompromissvorschlägen eingreifen. Mit Erfolg, so scheint es.
EU-Paket lockert Bedingungen für ausländische Firmen
Das ausgearbeitete Päckli soll jetzt sicherstellen, dass die mit dem EU-Paket drohende Schwächung des Lohnschutzes kompensiert wird. Denn die ausgehandelten Verträge liefern EU-Firmen, die in der Schweiz Aufträge fassen, einige Zückerchen: Ihnen ist es etwa erlaubt, für anfallende Spesen in der Schweiz den Angestellten die Ansätze ihres Herkunftslandes zu vergüten. Auch müssen sie nur dann eine Kaution hinterlegen, wenn sie bereits einmal beim Lohndumping erwischt wurden. Und sie können sich neu bis vier statt acht Tage vor Auftragsbeginn Zeit nehmen, um sich in der Schweiz anzumelden.
Die rund ein Dutzend Massnahmen, die das aktuelle Lohnschutzniveau absichern sollen, können laut Bundesrat in folgende Kategorien eingeteilt werden:
- Massnahmen, die Zugeständnisse an die EU – beispielsweise die Verkürzung der Voranmeldefrist – direkt kompensieren. So soll etwa ein digitales Meldeverfahren sicherstellen, dass die Unternehmen dennoch rechtzeitig kontrolliert werden.
- Massnahmen, die der Befürchtung entgegenwirken, dass die Dienstleistungssperre – also dass fehlbare EU-Unternehmen vom Schweizer Markt ausgeschlossen werden – als Sanktionsmöglichkeit unter Druck geraten könnte.
- Massnahmen, weil aussenpolitisch in einem Teilbereich keine Ausnahme erzielt werden konnte. Hier geht es laut Bundesrat um die EU-Spesenregelung, bei deren Übernahme der bestehende Spielraum innenpolitisch maximal genutzt werden soll.
Bund will auch bestehende Gesamtarbeitsverträge absichern
Wie der Bundesrat mitteilt, reichen diese Instrumente aber noch nicht. Denn zugleich sollen bestehende, respektive bereits als allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge (GAV) mit den neuen Bestimmungen weiterhin gewährleistet werden. Ebenfalls will der Bund den Rechtsschutz für inländische Betriebe stärken, die einem allgemeinverbindlichen GAV unterstellt werden sollen.
Die Massnahmen seien dabei gezielt auf diejenigen Bereiche ausgerichtet, in denen bezüglich Lohnschutz gehandelt werden müsse, teilt der Bundesrat mit. Damit meint die Landesregierung primär Betriebe aus dem EU-Raum, die Arbeitnehmende in die Schweiz entsenden. Für Schweizer Firmen würden keine neuen Belastungen anfallen. Auch der flexible Arbeitsmarkt würde mit dem Paket nicht eingeschränkt.
Wie der Bundesrat mitteilt, soll nun das Seco bis Ende März die Massnahmen zusammen mit den Sozialpartnern und den Kantonen detailliert ausgestalten und finalisieren.
Arbeitgeberverband erfreut, Gewerkschaften verhalten positiv
Der Schweizerische Arbeitgeberverband äussert sich erfreut: Wie er in einer Mitteilung schreibt, hätten sozialpartnerschaftliche Lösungen gefunden werden können, welche den Lohnschutz sicherstellten, ohne den flexiblen Arbeitsmarkt einzuschränken.
Auch bei den beabsichtigten Regelungen für Gesamtarbeitsverträge sei man mit den Plänen des Bundesrats mehrheitlich einverstanden. Nicht infrage komme jedoch, dass der Abschluss neuer allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsverträge vereinfacht werden soll.
Die Gewerkschaften zeigen sich derweil nur verhalten positiv. Für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) korrigiere der Orientierungsbeschluss des Bundesrates zwar einen Teil der Verschlechterungen beim Lohnschutz. Dennoch gebe es weiterhin bedeutenden Handlungsbedarf.
Erster Schritt soll bis Ende März finalisiert werden
Auch für den Arbeitnehmer-Verband Travailsuisse seien zwar erste konkrete Schritte in die richtige Richtung gemacht worden, schreibt die Gewerkschaft in einer Mitteilung. Ein Durchbruch sei das Resultat aber nicht. Es brauche zwingend weitere konkrete innenpolitische Kompensationsmassnahmen – insbesondere im Bereich der Allgemeinverbindlichkeit von Gesamtarbeitsverträgen.
Wie der Bundesrat mitteilt, soll nun das Seco bis Ende März die bereits vereinbarten Massnahmen zusammen mit den Sozialpartnern und den Kantonen detailliert ausgestalten und finalisieren. Innerhalb einer Frist von drei Jahren ab dem Inkrafttreten des EU-Abkommens müssen sie endgültig umgesetzt werden.
Die Medienkonferenz ist zu Ende
Sprecher Andrea Arcidiacono verabschiedet die Anwesenden.
Meldesystem ausbauen sei komplizierter als es scheint
Die Massnahmen sollen innerhalb drei Jahren umgesetzt werden. So lange hat die Schweiz Zeit, die ausgehandelten EU-Bedingungen im Entsendebereich zu übernehmen. Insbesondere bei der Digitalisierung des Meldesystems für EU-Firmen brauche es diese Frist, sagt die Seco-Direktorin.
Schon alleine bei den Kantonen seien sowohl die Anforderungen als auch die Zuständigkeiten sehr unterschiedlich, sagt Budliger Artieda. Zudem müsse auch eine geeignete IT-Infrastruktur gefunden werden. Und dann müssten auch noch alle Sozialpartner an Bord sein.
«Niemand ist enthusiastisch»
Laut Budliger Artieda findet niemand der Beteiligten die EU-Spesenrichtlinie zufriedenstellend – weder die Sozialpartner noch das Seco. Es gebe jedoch einen grossen Handlungsspielraum bei der Umsetzung, sagt die Direktorin. Somit sei eine Lösung durchaus am Horizont. «Alle sehen den Weg nach vorne», sagt Budliger Artieda.
Spesenregelung: Drohen Konsequenzen?
Seco-Direktorin Budliger Artieda betont auf eine Frage, dass gemäss Verständigung bei der Spesenregelung der maximale Spielraum ausgenutzt werden soll. Dies soll also quasi trotz neuer EU-Regelungen das aktuell geltende Schweizer System widerspiegeln.
Wie dies gesetzlich ausgearbeitet werden soll, sei jedoch noch nicht klar. Mögliche Konsequenzen vonseiten der EU, die durch eine solche Regelung passieren könnten, will Budliger Artieda heute noch nicht an die Wand schreiben.
Kommt auch ein besserer Kündigungsschutz?
Die Gewerkschaften forderten in den Verhandlungen auch einen verbesserten Kündigungsschutz von Gewerkschaftern und anderen Arbeitnehmervertretern. Ob dieser nun aus dem Paket rausgefallen sei, wird gefragt. Parmelin antwortet, dass Gespräche dazu laufen. Der Kündigungsschutz gehöre jedoch nicht zu den heute präsentierten Massnahmen, die sich auf den Lohnschutz fokussieren.
«Die Massnahmen sind gezielt auf die Bereiche ausgerichtet, in denen Handlungsbedarf besteht»
Parmelin verspricht, dass durch die Massnahmen keine neuen Belastungen für Schweizer Unternehmen entstehen.
Abschliessend zeigt er sich sicher, dass die anstehenden Abschlussarbeiten mit dem «gleichen Engagement» durchgeführt werden. Bis Ende März soll das Paket finalisiert sein.
Drei Massnahmenkategorien
Wirtschaftsminister Parmelin präsentiert die Kategorien, in die entschiedenen Massnahmen für den Lohnschutz eingeteilt werden können:
- Massnahmen, die Zugeständnisse an die EU – beispielsweise die Verkürzung der Voranmeldefrist – direkt kompensieren. So soll etwa ein digitales Meldeverfahren sicherstellen, dass die Unternehmen dennoch rechtzeitig kontrolliert werden.
- Massnahmen, die der Befürchtung entgegenwirken, dass die Dienstleistungssperre – also das fehlbare EU-Unternehmen vom Schweizer Markt ausgeschlossen werden – als Sanktionsmöglichkeit unter Druck geraten könnte.
- Massnahmen, weil aussenpolitisch in einem Teilbereich keine Ausnahme erzielt werden konnte. Hier geht es laut Bundesrat um die EU-Spesenregelung, bei deren Übernahme der bestehende Spielraum innenpolitisch maximal genutzt werden soll.
Nach einer Fragerunde spricht Parmelin zum Lohnschutz
Zuerst beantwortet Parmelin themenfremde Anliegen der anwesenden Journalistinnen und Journalisten. Danach ergreift er zu den Lohnschutzverhandlungen das Wort.
«Dem Bundesrat ist der Lohnschutz wichtig», sagt er. Die «gemeinsame» Verständigung sei Ergebnis der Gespräche seit Ende 2022 zwischen dem Seco, den Kantonen und den Sozialpartnern, sagt Parmelin. Sie seien parallel zu den EU-Verhandlungen geführt worden. In den nächsten Wochen sollen die Diskussionen weitergeführt werden.
Die Medienkonferenz beginnt
Noch-Bundesratssprecher Andrea Arcidiacono begrüsst die Medienschaffenden.
Wirtschaftsminister Parmelin präsentiert «gemeinsame Verständigung» zum Lohnschutz
Um 14.00 Uhr treten Bundesrat Guy Parmelin und Seco-Direktorin Helene Budliger Artieda vor die Medien, um das Massnahmenpaket zu präsentieren, auf das sich Bund, Sozialpartner und Kantone geeinigt haben.