Auf einen Blick
- Schweiz und EU verhandeln über Bilaterale III. Deal bis Jahresende erwartet
- FDP spielt Schlüsselrolle, ist aber gespalten zwischen Befürwortern und Kritikern
- Freisinn will Gewerkschaften keine grossen Zugeständnisse machen
Jetzt gilts ernst! Die Verhandlungen der Schweiz mit der EU befinden sich auf der Zielgeraden. Bis Ende Jahr soll ein Deal über die Bilateralen III unter Dach sein und könnte kurz vor Weihnachten unterschrieben werden.
Bis dahin muss der federführende FDP-Aussenminister Ignazio Cassis (63) die letzten Knackpunkte klären. Die sind happig – schon alleine die von der Schweiz geforderte Schutzklausel bei der Personenfreizügigkeit wird in Brüssel zum Drahtseilakt.
Nur, ein erneutes Scheitern kann sich Cassis nicht leisten. Schon 2021 hat er den Reset-Knopf gedrückt und das damalige EU-Rahmenabkommen platzen lassen. Der Bundesrat brach die Verhandlungen ab, Parlament und Volk blieben damit aussen vor.
FDP in Schlüsselrolle
Egal, wie das Resultat ausfällt: Diesmal wird die Landesregierung die heisse Kartoffel ans Parlament weiterreichen. Eine Chance hat ein neuer EU-Vertrag aber nur, wenn sich eine breite Allianz hinter das Abkommen stellt. Da kommt der FDP eine Schlüsselrolle zu. Die Wirtschaftspartei gilt als Hüterin des bilateralen Wegs. Doch das Bild bröckelt.
Offiziell gilt die Losung, dass sich der Freisinn erst zum neuen EU-Vertrag positioniert, wenn das finale Resultat auf dem Tisch liegt. Damit hat Präsident Thierry Burkart (49) vorerst Ruhe in die Partei gebracht. Vielleicht nur die Ruhe vor dem Sturm, denn Befürworter und Kritiker bringen sich langsam in Stellung.
Ypsomed-Michel kämpft zuvorderst für Bilaterale III
Als prominenter Verfechter der Bilateralen III gilt der Solothurner Nationalrat und Ypsomed-Unternehmer Simon Michel (47). Auf X erklärt er regelmässig die Vorteile eines neuen Abkommens und macht klar: «Das Nichtstun, die Erosion, das Auslaufen der Verträge ist keine Option.» Die Zuwanderungsproblematik will er notfalls mit einer einseitigen nationalen Schutzklausel entschärfen.
Eine solche Schutzklausel könnte entscheidend sein, um die Skeptiker zu besänftigen. Zu diesen gehört der frühere Jungfreisinnigen-Präsident Matthias Müller (32): «Ohne wirksame Schutzklausel ist das Abkommen tot», sagt der jetzige Vizepräsident der Zürcher FDP-Kantonalpartei zu Blick.
Keine Zugeständnisse an Gewerkschaften
Das Gleiche gilt für Müller, sollte der Bundesrat Linken und Gewerkschaften allzu grosse Zugeständnisse machen. Massnahmen wie einen verstärkten Kündigungsschutz oder eine GAV-Ausweitung lehnt er ab. «Der liberale Arbeitsmarkt ist ein Erfolgsfaktor für unsere Schweiz. Wir dürfen den Gewerkschaften beim Arbeitsrecht nicht nachgeben, sonst driften wir in eine sozialistische Richtung ab», warnt Müller. «Wir wollen ein Abkommen, aber nicht um jeden Preis.»
Der liberale Arbeitsmarkt dürfe nicht beschädigt werden, so der freisinnige Tenor. Gegenüber den Gewerkschaften will die FDP deshalb Härte markieren. Hört man sich in der Partei um, glauben viele, dass die Gewerkschaften am Schluss sowieso noch einlenken werden. Ein Spiel mit dem Feuer. Denn Gewerkschaftsboss und SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard (56) macht deutlich, dass es etwa beim Lohnschutz oder beim Service public weitere Zugeständnisse braucht, um die Gewerkschaften ins Boot zu holen.
FDP-Angst vor der SVP?
Im linken Lager wird daher bereits spekuliert, dass die FDP aus Angst vor der SVP ein Scheitern des neuen Abkommens in Kauf nimmt. Würden Freisinn und Gewerkschaften nämlich Schulter an Schulter für einen EU-Deal kämpfen, könnte die FDP einen Teil ihres EU-skeptischen Flügels an die SVP verlieren. Schon nur mit ein, zwei Prozent weniger Wähleranteil laufen die Freisinnigen Gefahr, ihren zweiten Sitz im Bundesrat zu verlieren. Dem Freisinn sei der Bundesratssitz II wichtiger als die Bilateralen III, so die These.
Vielleicht scheut die FDP den Pakt mit der Linken auch nur, weil der Leidensdruck der Wirtschaft zu klein ist und diese in der EU-Frage selber tief gespalten ist. So zeigt sich auch ein FDP-Insider gelassen: Die Bilateralen würden bei einem Nein zwar langsam erodieren und an Wert verlieren, «aber sie funktionieren noch».