Sie haben gezittert, sie waren nervös. Für die Parteipräsidenten war der 22. Oktober der Tag der Abrechnung. Doch welche Präsidenten gehen gestärkt aus den Wahlen? Blick macht den Check.
SVP: Marco Chiesa
Polenta für alle! Marco Chiesa (49) darf feiern. Trotz peinlichem Zahlen-Patzer des Bundes ist seine SVP die Wahlsiegerin. Doch wie viel daran ist Chiesas Verdienst? Die SVP hat in der Westschweiz an Sitzen zugelegt. Dies dürfte zumindest teilweise auch am lateinischsprachigen Präsidenten liegen, der auf Französisch als brillanter Rhetoriker gilt – ganz im Gegensatz zu seinen Deutschkenntnissen. Darum lässt er in der Deutschschweiz oftmals Fraktionschef Thomas Aeschi (44) den Vortritt.
Viel eher als Chiesas Wahlkampftalent sprach für die SVP, dass das Migrationsthema wieder topaktuell war. Sogar die eigene Basis beurteilt den Einfluss von Chiesa grösstenteils als «neutral», wie die SRG-Nachwahlbefragung zeigt. Es ist der zweitschlechteste Wert für einen Parteipräsidenten – nur Wahlverlierer Balthasar Glättli (51) liegt noch tiefer.
SP: Mattea Meyer und Cédric Wermuth
Die SP ist im Aufwind. Mit einem Plus von 1,5 auf nun 18,3 Prozent gehört die Partei zu den Wahlsiegerinnen. Das Co-Präsidium mit Mattea Meyer (35) und Cédric Wermuth (37) hat das Profil der SP geschärft und konsequent auf klassisch linke Themen gesetzt: höhere Prämienverbilligung, bessere Renten, mehr Kita-Plätze, mehr Gleichstellung. Das Duo als Personifizierung des Umverteilungsstaats.
Die beiden haben bewiesen, dass ein Co-Präsidium funktionieren kann. Mögen sie auch nicht immer einer Meinung sein, gegen aussen sind sie eine Stimme.
Mit ihrem Wahlsieg haben sie nicht nur die FDP auf die Ränge verwiesen, die sie als zweitstärkste Partei ablösen wollte. Vielmehr haben sie damit auch jede Debatte um einen SP-Bundesratssitz zugunsten von Grünen oder GLP im Keim erstickt.
Ein Wermutstropfen bleibt: Auch wenn die SP zwei Nationalratssitze hinzugewinnt, die Verluste im links-grünen Lager machen sie damit nicht wett.
FDP: Thierry Burkart
Wie schwer muss die Last am Wahlsonntag auf FDP-Präsident Thierry Burkart (48) gewogen haben: eine historische Wahlniederlage. Im Parlament hinter der Mitte zurück und – viel schlimmer – auch bei den Wähleranteilen knapp überholt. Dann die Erleichterung: Der Freisinn wurde nur wegen einer Datenpanne von der Mitte überflügelt. Jetzt sind die Verhältnisse wieder zurechtgerückt.
Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die Partei in der Krise ist. Burkart fährt das schlechteste FDP-Resultat aller Zeiten ein. Ausgerechnet im 175-Jahr-Jubiläum des von Freisinnigen gegründeten Bundesstaats. Auch der zweite Bundesratssitz steht infrage.
Dabei war Burkart so gut gestartet: Nachdem er 2021 die Parteispitze übernommen hatte, eilte er in den Kantonen von Sieg zu Sieg. Die FDP positionierte er wieder stärker rechts. Dann kam das CS-Debakel – und mit ihm der Knick. Angesichts der Kaufkraft-Thematik (von der SP besetzt) und der Migrations-Frage (von der SVP besetzt) vermochte Burkart im Wahlkampf keinen Pflock einzuschlagen. Auch wenn er geschwächt ist, steht er als Parteichef nicht zur Disposition.
Mitte: Gerhard Pfister
Gerhard Pfister (61) hat seiner Mitte-Partei das lästige «C» genommen, sie aus der christlichen Ecke gezogen und als Lohn dafür bei den Sitzzahlen die FDP überholt.
Doch damit zu prahlen, gar einen zweiten Bundesratssitz zu fordern, ist Pfisters Sache nicht. Man werde keine amtierenden Bundesräte abwählen, sagt er in der Blick-TV-Elefantenrunde. Nur um mit subtilen Bemerkungen die Diskussion über die Zauberformel anzuheizen.
Pfister versucht, sich als Schmied grosser Kompromisse darzustellen und muss gleichzeitig immer wieder mit lauten Sprüchen auffallen – mit Vorliebe gegen die SRG.
Sein grösstes Risiko: Pfister will die Kostenbremse-Initiative vor das Volk bringen. Welche Lösungen diese schaffen soll, ist unklar. Schliesslich ist keine Partei so sehr mit dem Gesundheitswesen verbandelt wie seine. Die Chancen der Vorlage sind ungewiss, es droht eine Schlappe. Hat Pfister auch das einkalkuliert?
Grüne: Balthasar Glättli
Meret Schneider (31), Natalie Imboden (53), Kurt Egger (67), Valentine Python (48), Isabelle Pasquier (50). Fünf Sitze haben die Grünen am Sonntag verloren, fünf Parlamentarier die fristlose Entlassung erhalten. Und seit Sonntag fragt man sich: Welche Schuld trägt Parteipräsident Balthasar Glättli? Er gilt als gewiefter Analytiker, aber sicher nicht als Wahlkämpfer. Seine öffentlichen Auftritte erinnern oft an eine Uni-Vorlesung. Jetzt sind die Grünen im Krisenmodus, auch der Parteichef wirkt angezählt.
Allerdings waren bei den Grünen als Wahlsieger 2019 Verluste fast vorprogrammiert. Trotzdem erreichen sie das zweitbeste Resultat der Geschichte. Vorerst scheinen sich die Grünen vor ihren Chef zu stellen. Die Frage ist: für wie lange? Glättli selbst sagte in einem SRF-Radiointerview, man müsse auch über die richtige Zusammensetzung des Teams sprechen.
GLP: Jürg Grossen
Es ist brutal: Die GLP gibt nur 0,2 Prozent an Wähleranteilen ab, trotzdem wird die Fraktion fast halbiert. Parteichef Jürg Grossen (54) verliert nicht nur sechs Nationalratsgspänli, sondern auch die Nerven. In einem «Nebelspalter»-Podcast beleidigt er SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (59) als «nicht die hellste Kerze auf der Torte» – wofür er sich im Nachhinein entschuldigt.
Die Entgleisung passt eigentlich gar nicht zum sonst so besonnenen Berner. Doch er schiesst nicht nur gegen die Linke, sondern biedert sich auch bei der Wahlsiegerin SVP an. Dass er nach rechts zieht, darüber dürften auch einige Parteikollegen den Kopf schütteln. Die GLP ist geschwächt. Stellt es Grossen aber geschickt an, kann seine Partei öfter mal zum Zünglein an der Waage und damit doch zum Machtfaktor werden.